Betty Davis


Es ist bestimmt nicht übertrieben: Tina Turner wirkt neben ihr wie eine biedere Betschwester. Betty Davis hat Tina was Show und Stimme betrifft schon überrundet. Jetzt bliebe nur noch abzuwarten, ob sie damit einen ähnlichen Popularitätsgrad erreicht. Denn zur zeit hat sie offenbar noch nicht das richtige Maß gefunden, Musik und Show so gesund abzuwägen, daß eines von beiden nicht auf der Strecke bleibt, in diesem Falle die musikalische Seite.

Die attraktive dunkelhaarige Raubkatze, Ex-Fotomodell und Ex-Gattin von Miles Davis, hat eine harte, schroffe Funkband um sich geschart. Die Gruppe ist ein wahnsinniger Anheizer für das, was kommt. Aber auch der schärfste Bassist, der vor Feeling nur so vibriert, hat kaum noch eine Chance, wenn Betty die Bühne einnimmt: knappe Hotpants, überknielange Silberstiefel oder andere Mini-Kostümierung und Netzstrümpfe geben nur den ersten optischen Kick. Wenn Betty loslegt, ist alles gelaufen, man sollte nach dem Auftritt mal das Risiko eingehen und das Publikum nach der Musik fragen…

Betty wütet über die Bretter, faucht, krächzt, stöhnt und beherrscht alles: hin und wieder mit ihren Songs — aber nur, wenn sie mal fünf Sekunden ruhig stehen bleibt in der Hauptsache mit einer aufreizend erotischen und sexgeladenen Show. Wer sich für ihr musikalisches Potential interessiert, dem ist mit ihrer neuen LP „Nasty Gal“ auf jeden Fajl besser gedient, denn Betty hat auch musikalisch einiges zu bieten: Funk, Blues, Soul. Nur geht das live in einer derart heißen Show unter, die bis auf wenige Vokalfetzen kaum etwas Zusammenhängendes ans Ohr bringt und visuell völlig ablenkt. Betty hat unbestritten einen kleinen Jim Morrison im Nacken. Und wenn sie behauptet, ihr Auftreten hätte absolut nichts mit Sex zu tun, dann müßte Alice Cooper öffentlich erklären, daß er mit Horror nie etwas am Hut hatte!

„Säääx. oh no!“

Einer ganzen Ansammlung von Popjournalisten blieb dann auch tatsächlich die nächste Frage im Halse stecken, als Betty sich nach ihrem Auftritt im Londoner RonnieScott’s Club zu einer Pressekonferenz eingefunden hatte und auf das Thema Sex auf der Bühne beim besten Willen nicht festzunageln war. Da war nichts zu machen: Betty Davis wich fröhlich und unbefangen plaudernd aus und fuhr laufend ihre kleinen Ablenkungsmanöver. „Ich kann es eben nicht haben, wenn ich bei der Arbeit zu viel anhabe“, erklärte sie. Nun, auf die sparsame Kostümierung hatte es eigentlich keiner abgesehen. Nochmals auf das Thema angesprochen, erläuterte sie gestenreich, daß sie auf der Bühne eben nur ihr Temperament austobe. Das tun andere aber auch, die temperamentvolle Toberei war also auch nicht angesprochen, und so verzog sie das Gesicht: „Säääx, oh no! Ich bin überhaupt nicht sexy! Mein Gott, ich weiß halt, wie ich aussehe, ich kenne meine Ausstrahlung, aber sexy – nein. Marylin Monroe war sexy, und Cher — da kann man von Sex reden!“ Froh, wieder einmal vom leidigen Thema ablenken zu können, pries sie den superschlanken US-Star, der gegen sie wie eine leblose Schaufensterpuppe wirkt, als Sexsymbol schlechthin. Die Story mit der Farbigen-Organisation, die sie einst „als Schande für die gesamte Rasse“ mit dem Bannstrahl strafte, konnte sie aber doch nicht für sich behalten. Ehe jemand auf die Idee kommt, zu fragen, warum, ist jetzt aber endgültig das Thema „Musik“ angesagt.

Alle reden nur von Bettys Sex – warum?

Sie mochte jetzt endlich über ihre Musik sprechen und nicht immer nur „those physical things“ bereden. Hilfestellung für die entsprechende Überleitung gab rührend ihr Begleiter: „Wir verstehen das nicht ganz“, fing er an. „Überall, wo wir (er sagt immer ,wir‘) zum erstenmal, auftreten, schreibt jede Zeitung nur über Betty’s physische Ausstrahlung. Keiner spricht über ihre Songs. Woran meinen Sie, liegt das?“

Alles grinst, auch dem eifrigsten Frager fiel nichts mehr ein. Betty Davis hatte wieder mal allen die Sprache verschlagen. Diesmal nicht mit einer offenherzigen Show, sondern knöchellang verhüllt und hochgeschlossen. Ende dieser Vorstellung.

„Meine Musik ist wichtig für mich“.

„Meine Musik ist wichtig für mich“, erklärt Betty Davis immer wieder mit Nachdruck. Sie will als total eigenständige Figur akzeptiert werden. So schlug sie auch das Angebot ihres Freundes Eric Clapton aus, der eine LP mit ihr produzieren wollte, wie sie erzählt. „Ich mache das eine – und du das andere“, hatte sie damals abgelehnt. Sie wollte sich nicht an die Rockschöße irgendeines Superstars hängen, was ihr vielleicht einen spektakulären Start verschafft hätte, aber auf Kosten ihrer Persönlichkeit gegangen wäre. Außerdem hätte sie über ihren Ex-Ehemann wohl dasselbe haben können. Sie will, daß die Leute von Betty Davis sprechen und nicht von Miles‘ Frau oder von Claptons Neuentdeckung. Nur ist sie dabei, sich ein Image zu bauen, das eher dem eines sexgeladenen Raubtieres gleicht als dem einer talentierten Sängerin.

„Ich muß auf die Bühne“.

Was ihre Bühnenshow angeht mag sie im Moment nicht den rechten Überblick haben, um Ursache und Wirkung richtig einzuschätzen. Sie sagt auch, daß sie zwar die Reaktionen im Publikum ständig beobachtet — der Film laufe jedoch so schnell an ihr vorbei, daß sie nach dem Auftritt nur noch wisse, wie die Band war. Ansonsten sieht sie ziemlich klar, was das Business mit sich bringt. „Jimi Hendrix war ein guter Freund von mir. Ich habe gesehen, wie das Geschäft, in dem ich arbeite, diesen Freund getötet hat. Ich war mit Miles verheiratet und habe gesehen, was dieses Leben ihm und den anderen Musikern angetan hat, ich weiß, was für ein Dasein sie führten.“ Und noch etwas hat sie mit Schrecken beobachtet: „Die Leute, die nicht physisch gestorben sind, sind seelisch vor die Hunde gegangen.“ Um nicht selbst von dieser Mühle aufgerieben zu werden, meditiert sie jeden Tag zweimal. Doch nur, um cool zu bleiben, betont sie und nicht aufgrund irgendeines Guru-Kultes à la Carlos Santana oder John McLaughlin. „Du mußt dem Publikum immer ein Stück von dir geben, dem ein Stück und jenem einen Teil. Und wenn du eines Tages dazu nicht mehr in der Lage bist, dann weißt du auch nicht mehr, wer du eigentlich selbst bist.“