Bitte nicht weinen!


Mit akustischen Rock"n Roll-Songs über Honigbienen, kleine Flugzeuge und Marsmenschen wurde Jonathan Richman zur Indie-Ikone. Dass das vor 30 Jahren erschienene Debüt seiner Modern Lovers auch Punk- Geschichte schrieb, wird allerdings gerne vergessen.

Boston, frühe 70er, irgendeine Studentenparty: Mädchen in gebatikten Kleidern, Jungs mit Jerry-Garcia-Bärten, vorne auf der kleinen Bühne ein schmächtiger Kerl, der so gar nicht hierher passen will. Die dunklen Locken gestutzt, das Hemd gebügelt, die Hose ohne Schlag – und sein Markenzeichen: eine weiße Kunstlederjacke. Allein dieses Outfit muss den Partygästen suspekt erscheinen, und erst recht sind es die Botschaften, die er ihnen da mit nasaler Stimme durch die marijuanageschwängerte Luft schickt. „I’m Straight“ heißt ein Song, in dem er sich über einen gewissen „Hippie Johnny“ lustig macht. Der sei „allways stoned“, vermerkt der Sänger verächtlich, er selbst hingegen ziehe es vor, einen klaren Kopf zu behalten. Vor der Bühne macht sich Unmut breit: Will der uns Moralpredigten halten? Den jungen Mann mit dertürkisfarbenen Fender Straf kann das nicht aus der Ruhe bringen. „I know you don’t like us „, sagt Jonathan Richman grinsend, „but The Modern Lovers love you anyway.“

Gut, dass Hippies friedfertige Menschen sind. Sonst hätte er es damals wohl so manches Mal nicht heil von der Bühne geschafft. „Er legte es auf Konfrontation an. Insofern war Jonathan ein echter Punk, lange bevor irgendwer sonst so auftrat. Viel von seiner teenage angst war in seinen Songs direkt zu spüren. Er scheute sich nicht, zu sagen, was erfühlte und dachte. Und wenn sich jemand dadurch auf den Schlips getreten fühlte, war das haltso“, erinnert sich der frühere Modern-Lovers-Gitarrist John Feiice -und beschreibt damit einen ganz anderen Richman als den, der später mit sich naiv gebenden, akustischen Rock’n’Roll-Songs über Honigbienchen, Marsmenschen und kleine Dinosaurier zur Indie-Ikone wurde. 1998, da ging er auf die 50 zu, wurde er sogar ein bisschen berühmt, als er mit seinem Drummer Tommy Larkins in der Komödie „Verrückt nach Mary“ auftrat, um als Bänkelsänger die Handlung zu kommentieren. Verrückt nach Jonathan? Na ja: In Deutschland wurden diese Filmsongs komplett von irgendeinem Schlagersänger synchronisiert.

Alles andere als eine Rockstar-Geschichte also. Obwohl sie genau wie eine begonnen hatte – mit einem einsamen Jungen und einer lebensrettenden Platte: the velvet Underground AND NICO. Einer aus der Schule mochte die nicht und wollte tauschen. Für Jonathan dagegen wurde das, was da eines Nachmittags 1967 aus den Boxen kam, eine „unheimliche Begegnung der dritten Art“ ein verstörendes Erlebnis, das er sich noch Jahre später in dem Song „Velvet Underground“ (auf 1, ION athan, 1981) nicht so recht erklären kann: „Twangy sounds of the cheapest types/Sounds as stark as block and white stripes /Bold and brash, sharp and rude I Like the heats turned off/ And you’re low on food/How in the world were they making that sound? /Velvet Underground.“

Velvet Undeground wurden fortan Jonathans Leitstern. Als er 1969 endlich den High-School – Abschluss hatte, zog er nach New York, um in der Nähe seiner Helden zu sein. Die schlössen den jungen Mann, der sich bei ihren Shows in der Boston Tea Party scheu vor der Garderobe herumgedrückt hatte, um ihnen seine Songs vorzuspielen, schnell ins Herz. „Wenn wir jemals einen Protege hatten“, sagte Velvet-Gitarrist Sterling Morrison, „dann war es Jo nathan.“ Sie besorgten ihm einen Schlafplatz auf dem Sofa ihres Managers Steve Sesnick und Gelegenheitsjobs. Jonathans Versuche, seine eigene Karriere in New York in Gang zu bringen, schlugen jedoch fehl. Es war stets die gleiche Mischung aus Amüsiertheit, Begeisterung, Verwirrung und Feindseligkeit, die ihm aus dem Publikum entgegenschlug.

Daran sollte sich auch nichts ändern, als Richman, 1970 nach Boston zurückgekehrt, mit einer kompletten Band auftrat. The Modern

Lovers klangen – mit monoton sich wiederholenden Beats und bis zum Anschlag verzerrten Gitarren – vor allem live oft wie ein nicht so arg weit entfernter Verwandter von The Velvet Underground. Mit der distanzierten Kaltschnäuzigkeit jedoch, mit der Lou Reed von Huren und Heroin erzählte, hatte Jonathan nichts am Hut. Wenn er in Songs wie „Girlfriend“, „Hospital“ und „Someone I Care About“ von seiner Sehnsucht nach wahrer Liebe sang, dann tat er das mit einer so unverstellten, schutzlosen Direktheit, dass er auf der Bühne, überwältigt von seinen Gefühlen, oft in Tränen ausbrach.

„Die Mädchen warfen ihm ihre Taschentücher zu und sagten: Jonathan, bitte nicht weinen!“, erzählt David Berson von Warner Records. „Das Besondere an Jonathan war, dass er so was mit einer ganz naiven Ernsthaftigkeit tat. Es war nicht so, dass er dann grinste, weil er die gewünschte Reaktion hervorgerufen hatte.

Er war dankbar für die Taschentücher! Die Tränen liefen ihm nur so runter, und er wischte sie sich damit ab.“

Auf ungeteilte Zustimmung stießen die Modern Lovers überraschenderweise an Orten, an die sich Rockbands doch eher selten verirren: in Krankenhäusern, Kinder- und Altenheimen, wo sich Jonathan sichtlich wohl fühlte. „Da machteer dann so richtig Show“, sagt Gründungsmitglied John Felice, „und die alten Leute liebten ihn dafür. Ergab da vorne so eine Art Charles-Aznavout-Vorstellung, und wir standen hinten und spielten fast gar nicht mehr.“

Dass es mit der Urbesetzung der Modern Lovers vorbei sein sollte, bevor es überhaupt richtig losging, zeichnete sich in solchen Momenten bereits ab. 1973 produzierte die Band zusammen mit fohn Cale ihr Debüt the modern LOVERS. Es kam, als es nach ewigen Querelen zwischen Band und Plattenfirma drei Jahre später veröffentlicht wurde, gleichzeitig pünktlich und viel zu spät. Pünktlich, weil Jonathans Songs offenbar genau den Nerv trafen, der sich bald darauf in den Zuckungen des Punk entlud. Johnny Rotten, der die Platte in Malcolm McLarens Boutique auf der Kings Road hörte, nannte „Roadrunner“, Richmans Hymne an Highways, Stop ’n‘ Shops und Neonlicht, seinen Lieblingssong (und coverte ihn bei den ersten Proben – nachzuhören auf THE great ROCK’N’ROLL S windle). Von The Clashs Mick Jones wird berichtet, wie er sich zusammen mit dem Pistols-Gitarristen Steve Jones an einem von Richmans „Pablo Picasso“ inspirierten Song über Jackson Pollock versucht habe.

Zu spät kam die Platte, weil Jonathan Richman selbst schon wieder einen Schritt weiter war und keine Musik mehr machen wollte, „die so laut ist, dass kleine Kinder oder Tiere davon Angst bekommen“. Dass er mit THE MODERN lovers Punk-Geschichte geschrieben hat, hat ihn nie besonders interessiert: „Für mich waren das damals einfach bloß Demoaufnahmen.“