Boom Box


Die HipHop-Kolumne von Davide Bortot

Guter Junge, böse Stadt

Die größte Hoffnung des HipHop: Kendrick Lamar

Kendrick Lamar ist die größte Hoffnung des HipHop. Spätestens seit seinem Internet-Album Section.80 aus dem vergangenen Sommer werden die unterschiedlichsten Sehnsüchte projiziert auf den schmächtigen Jungen aus Compton, jener mit Mythen und Rap-Historie schwer beladenen Heimat von Dr. Dre und N.W.A. Den einen gilt er als begabtester Hood-Reporter seit Nas, den anderen als einzig legitimer Thronfolger in der Ahnenlinie der vorgenannten Gangstarapper. Wieder andere sehen in ihm das Universalgenie, das alle Strömungen des Splittergenres Rap wieder vereinen kann. Schlauer Straßenrap, Hits für Nerds, alte Tugenden und neue Sounds. Wie viel Druck kann ein Rapper eigentlich aushalten?

Offenbar ziemlich viel. Denn mit good kid, m.A.A.d city (TDE/Aftermath) hat Kendrick Lamar nun genau die Platte vorgelegt, die all die Verheißungen auf wundersame Weise einlöst. Der Titel ist schwer, aber programmatisch zu lesen. Kendrick ist wie Tre in „Boyz In The Hood“ und Caine in „Menace To Society“: der eigentlich gute Junge, der sich seiner kaputten Umgebung aber nicht mit einem Heiligenschein und den Sprüchen eines Vertrauenslehrers nähert, sondern mit zutiefst menschlichen Bedürfnissen und Träumen. Wie wir alle sucht er Anerkennung, Sex, Identität. Und wie wir alle begeht er dabei Fehler. Aber er hat Herz, Hirn und lässt uns teilhaben an seinen inneren Kämpfen und Hoffnungen. Dabei offenbart er ein erstaunliches Gespür für Timing und erzählerische Details.

Der Soundtrack zu diesem semibiografischen Hood-Narrativ kommt von lokalen Größen (Scoop DeVille), aktuellen Hitgaranten (Hit-Boy) und unverbrauchten Talenten (Sounwave). Er klingt mal nach düsterem Arthouse-Kino und mal nach der Schlussszene in einem Hollywood-Film. Er ist voll mit B- und C-Teilen, popkulturellen Zitaten, dynamischen Wendungen. Aber er wird zusammengehalten vom Spannungsbogen der Erzählung und einem zarten Schleier der Melancholie – irgendwo zwischen sonnendurchflutetem Tagtraum, nächtlichem „Mulholland Drive“ und dem modernen R’n’B von Frank Ocean.

good kid, m.A.A.d city klingt, wie es klingen muss. Auch deswegen funktioniert es nicht nur als kurzzeitig fesselnder Thriller aus einer fernen Welt. Es ist ebenso ein Spiegelbild und eine herrlich unprätentiöse, universalistische Abhandlung über das emotionale Minenfeld namens Leben.