Boom Tschak


Die Electro-Kolumne von Albert Koch

Eno, Warp, Berghain

Im Gegensatz zu anderen Spielarten des Pop ist die elektronische Musik ein vergleichsweise junges Genre. Vielleicht ist das der Grund, weshalb man sich hier jahrelang mit der Traditionspflege schwer getan hat. Tradition in der elektronischen Musik, das waren im Wesentlichen Kraftwerk, aber gehört wurden die auch nicht. Im Rock dagegen wird – frei nach dem Komponisten Gustav Mahler – traditonell gerne die Asche angebetet, anstatt sich denen zu widmen, die das Feuer weitergeben. Da wird in einer Nibelungentreue an denen festgehalten, die ihre besten Zeiten schon seit Jahrzehnten hinter sich haben.

Der selbstauferlegte Innovationsdruck in der elektronischen Musik ist auch als Trotzreaktion auf den Konservatismus und die Traditionspflege des Rocklagers zu sehen. Dort werden „traditionell“ Vorurteile gegenüber der elektronischen Musik bewahrt: nicht „handgemacht“, steril, kalt, monoton. Bis Ende der 90er-Jahre hat es auf der Seite der Produzenten von elektronischer Musik praktisch keine nennenswerten revivalistischen Strömungen gegeben. Und die DJs spielten keine Tracks, die älter als zwei Monate waren. Seit Ende der Neunziger allerdings wird auch in der elektronischen Musik zitiert, rückbezogen und wiederbelebt, was das Zeug hält.

Im August sorgte die geleakte Nachricht, Brian Eno werde sein nächstes Album SMALL CRAFT ON A MILK SEA auf dem Warp-Label veröffentlichen, bei der Internetgemeinde für freudige Erregung. Auf der einen Seite Eno, der Mitte der 70er-Jahre das Ambient-Genre miterfunden hat und damit als Innovator auf der selben Stufe steht wie Kraftwerk. Auf der anderen Seite Warp, das 1989 in Sheffield gegründete Elektroniklabel, das in den Neunzigern mit Künstlern wie Aphex Twin, Autechre, LFO, Squarepusher und Boards Of Canada bei den Ahnungslosen einiges dafür getan hat, den Techno aus der Kirmesecke zu holen.

Die Verpflichtung Brian Enos ist ein großer Schritt für das Warp-Label, das nach einer Schwächeperiode vor ein paar Jahren heute mit Künstlern wie Flying Lotus, (Chris) Clark, Gonjasuvi, PVT und Hudson Mohawke wieder diverse Zukunftsmöglichkeiten der elektronischen Musik aufzeigt, die ohne die Innovationen Brian Enos nicht möglich wären.

Apropos Vorurteile. Das „Berghain“ in Berlin gilt ja unter manchen Zeitgenossen als Hedonistentempel, als das Sodom und Gomorrha unter den Technoclubs. Am Mittwoch, dem 18. November, gibt es dort im Rahmen der Reihe „Elektroakustischer Salon“ einen Live-Auftritt des britischen Elektronik- und Avantgardekomponisten David Cunningham (The Flying Lizards). Das ist auch eine sehr gute Gelegenheit, um die Verbindungslinie von Tradition zur Moderne abzuschreiten.