Cabaret Voltaire – Bonn. Rheinterrassen


Beim ersten und einzigem BRD-Gig des Elektronik-Trios aus dem britischen Sheffield gab sich so ziemlich alles ein Stelldichein, was die nötige Fähigkeit und Bereitschaft aufbrachte, sich mit einer Musik auseinanderzusetzen, die jenseits aller eingefahrenen Hörgewohnheiten liegt. Tatsächlich haben Cabaret Voltaire von Konzept, Inhalt und Aussage her, kaum noch etwas mit den zahlreichen Elektronik-Pop-Formationen gemein. Denn die Band arbeitet mit Synthesizer, Tapes und herkömmlichen Instrumentarium entschieden konsequenter als die meisten anderen Vertreter des Genres. Sie bauen konventionelle Rhythmusstrukturen und Rock-Klischees auf, um sie zu verfremden und schließlich wieder zu zerstören und auf einer neuen Ebene wieder zusammenzusetzen. Der Rhythmus kommt vom Band, eine dumpfe, pochende Rhythmusmaschine, gelegentlich von polyrhythmischen Percussion-Einschüben verstärkt. Darüber erzeugt eine sirrende, auf- und abschwellende Synthiefrequenz Spannungen, bohrt sich unbarmherzig ins Gehirn. Aber in dem Augenblick, da sich diese simple Melodie festzusetzen droht, wird schlagartig ausgeblendet. Schrille, nervtötende Dissonanzen folgen, Jaul-, Splitter- und Überlagerungsklänge geraten zur akustischen Folter, herkömmliche Taktschemen lösen sich auf. Minutenlang, dann setzt der erbarmungslose Rhythmus wieder ein, die Oszillatoren werden regeneriert, neue Spannungsfelder entstehen.

Der Gesang von Bassist Stephen Mall unterstützt die ruhelosen Klangkaskaden; sein Echo- und Booster-verfremdetes Organ artikuliert Worte, Gefühle und Visionen adäquat zum akustischen Inhalt, läuft auf Kollisionskurs mit der intonierten Melodie. Die Musik strahlt bei oberflächlichem Zuhören eine elementare Kälte aus, suggeriert ein akustisches Abziehbild unseres computerisierten Zeitalters, setzt durch ihre ungeheure Intensität Emotionen und Aggressionen frei.

Cabaret Voltaire betreibt ein kalkuliertes Spiel mit Vision, Zukunftsangst und Chaos, aber immer auf realistischer, nüchterner Ebene. Die impressionistische Art der plakativen Anprangerung von gesellschaftlichen Zuständen/Mißständen -projizierte Farbdias stellen einen Bezug zur Aussage her – entartet nie zur Effekthascherei, entbehrt der naiv inszenierten Mini-Dramen eines Mark Stewart (Pop-Group). Der einheitlich schwarze Outfit der Bandmitglieder und die brutal ins Publikum blendenden Strobelights, runden das Bild ab, vervollständigen das Gesamtkonzept. Es ist anscheinend heutzutage notwendig, eine reizgeile, passive Öffentlichkeit durch solche Provokationen auf die existenzbedrohenden Gefahren aufmerksam zu machen, die unser Gesellschaftssystem birgt. Und das geschieht hier mal nicht durch entrückte, surrealistische Klanggemälde, mit denenandere die Gegenwartsflucht antreten…