CD- Platten


Das Pop-Business ist ja bekanntlich sehr schnellebig, aber im Vergleich dazu nimmt sich das CD-Geschäft geradezu chaotisch aus, weil die Jungs in den A & R-Abteilungen immer noch rätseln, mit welchen Aufnahmen sie ein wie breites Spektrum unter CD-Käufern ansprechen.

Mit dem Resultat, daß etliche der besten Pop-CDs des Jahres ’84 praktisch schon wieder vergriffen sind, weil ohnehin nur in Mini-Auflagen gefertigt oder importiert. Das gilt für David Sylvians BRILLIANT TREES genauso wie für Joni Mitchells WILD THINGS RUN FAST oder GAUCHO von Steely Dan.

Um nur ja keine „Ladenhüter“ bei den teuren Plättchen zu produzieren, taktiert die Industrie extrem vorsichtig. Außerdem scheint die Kapazität noch ziemlich begrenzt (immerhin hat sich das Marktverhältnis Pop- zu Klassik-CDs auf 70 % zu 30 % umgekehrt!), und noch wandern zwischen 20 % und 30 % der in den Fabriken gefertigten Laserplättchen als defekt in den Abfallcontainer. Nach wie vor ist nur ein winziger Bruchteil des Pop-Plattenangebots aus gut 20 Jahren StereoÄra auf CompactDisc greifbar. Und zugreifen muß man, wie gesagt, sobald die bescheidenen Auflagen in die Läden kommen.

Das lohnte sich im vergangenen Jahr insbesondere bei Aufnahmen, die nun mal auf CD besser überspielt worden waren als auf schwarzer Scheibe, etwa bei Bob Dylans BLOOD ON THE TRACKS (CBS CDCBS 69097), FOR YOUR PLEA-SURE von Roxy Music (EG 823 018-2) oder UPSTAIRS AT ERICS von Yazoo (Vogue 600015). An solchen Wiederveröffentlichungen auf CD kann man erkennen, in welchem Umfang sich die Techniker bei den Plattenkonzernen die Schlampereien früherer Jahre verkneifen, um dem CD-Käufer (der die LP ja oft schon im Regal stehen hat) einen entsprechenden Gegenwert fürs Geld zu bieten. In Ausnahmefällen – siehe die Stones-Oldies der sechziger Jahre, die bei der Teldec neu erschienen, oder die Jimi Hendrix-Kompilation KISS THE SKY (823 704-2) – profitierte auch der nach wie vor auf LP eingeschworene Rockfan davon, weil die Firmen die überarbeiteten Bänder parallel auf Analogplatte herausbrachten.

Was selbst bei alten Mono-Aufnahmen dabei herauskommen kann, wenn man sich nur die Mühe macht, die vorhandenen Aufnahmen nach dem letzten Stand der Technik zu transferieren, dafür ist die gerade bei RCA begonnene CD-Edition der frühesten Elvis-LPs ein wirklich rühmenswertes Beispiel. Anstelle von scheußlich verhalltem Pseudo-Stereo hört man bei ELVIS PRESLEY (RCA PD81254), ELVIS (RCA PD81382) und 50000000 ELVIS FANS CANT BE WRONG (RCA PD89429) die Aufnahmen in ursprünglichem Mono-Mix, und zwar direkt von den Original-Mutterbändern überspielt.

Daß bei den neu geschnittenen und über den modernsten Sony-Editor bearbeiteten Bändern der Rauschabstand erstaunlich gut ist, muß nicht überraschen: Bei RCA machte man ab 1954 genauso wie bei Decca sogar schon stereofone Klassikaufnahmen in fabelhafter Klangqualität; und beide Firmen gehören unbestritten zu den Pionieren in Sachen Aufnahmetechnik.

Davon profitierten nicht nur die Klassik-Stars der RCA, sondern auch die Rock’n’Roller, die man mit demselben Equipment aufnahm. Bei den Vierkanai-Maschinen Mitte der fünfziger Jahre verwendete man eine Spur für den Monosummen-Mix und konnte die übrigen drei im Zweifelsfall für die Stereo-Abmischung benutzen.

Das Gegenbeispiel, nämlich eines für immer noch praktizierte Schlamperei, liefert die CD-Veröffentlichung von Billy Joels Debüt mit COLD SPRING HARBOR (CBS 35DP108/Japan-Import), mit der nun sämtliche zehn Langrillen-Werke des Superstars auf Compact Disc vorliegen. Für die 1972 in den USA auf Family/Philips erschienene LP hatte man bei der Plattenüberspielung die Bandlaufgeschwindigkeit idiotischerweise um etwa 12 Prozent erhöht – vielleicht um dem neuen Singer/Songwriter-Talent ein gewisses McCartney-Falsett im Timbre der Stimme zu verpassen.

Auf Platte klang die Stimme plötzlich ganz anders als in natura: dünn, weinerlich und unnatürlich „hoch“, fast schon kastraten- oder engelhaft. Kaum zu glauben, daß der Long Island-Rocker darüber sonderlich glücklich war.

Trotzdem wurde diese „beschleunigte“ Bandkopie auch für die Sony-CD verwendet, und entsprechend ist der Klang. Beim Analogplattenspieler mit Tonhöhen-Regulierung kann man wenigstens noch um minus zehn Prozent die Geschwindigkeit reduzieren: bei CD nicht…

Billy Joels erster Monster-Seiler THE STRANGER (CDCBS 34987) und das Live-Album SONGS IN THE ATTIC (CBS/Sony 35DP19 Japan-Import) bieten auf CD geringfügig besseren Sound. In dieser Hinsicht sind allerdings die klanglichen Unterschiede beim eingangs genannten Dylan-Klassiker im positiven Sinne noch größer.

Ohne Einschränkungen empfehlenswert sind THE SILVER COL-LECTION von Billie Holiday (Verve 823 449-2) bei mehr als 60 Minuten Spieldauer und exzellenter Aufnahmequalität, das Rhythm & Blues -Tex/Mex-Meisterstück BORDERLI-NE von Ry Cooder (Warner Bros. 256. 864), das ich immer noch besser finde, je öfter ich es höre (trotz des merkwürdig „dünnen“ Baßbereichs einiger Songs, paradox bei einer Digitalaufnahme!), und THE MAGAZINE von Rickie Lee Jones (Warner Bros. 925 117-2). Aus unerfindlichen Gründen singt sie hier allerdings nicht den (französischen) Text des neunten Titels („Rorschachs“); wieso wurde da eine andere Mischung auf CD überspielt? Wie die Beach Boys schon sangen: „God Only Knows…“