Chemical Brothers: Ein Trip gefällig?


Sie hätten Oasis remixen sollen, aber wollten nicht. Woran man sieht: Die Chemical Brothers haben ihre Prinzipien. Und garantieren Satisfaction all jenen, die auf natürliche Weise high werden wollen.

Dance-Musiker gelten oft als langweilige und gesichtslose Studiobastler, die ihr Gesicht aus allem heraushalten und Musik für sich sprechen lassen. Nicht so Tom Rowlands (30), die eine Hälfte der Chemical Brothers. Sein Markenzeichen war stets eine lange Mähne, mit der er normalerweise eher Zutritt zur Rock’n’Roll Hall Of Fame als zu irgendeinem Tanzpalast fand. In der Dance-Welt aber mag man kurze, möglichst grell gefärbte Haare, keine Matte. Das hat Rowlands wohl selbst bemerkt. Jetzt trägt er die Haare kurz und zieht sich eine Mütze drüber, um Geheimratsecken zu verdecken. Das allerdings blieb nicht lange unbemerkt. Szene-Fotografen in London machten sich im letzten Sommer einen Spaß und knipsten den Musiker auf dem Weg vom Einkauf zurück ins traute Heim. Solche Ablichtungen finden in Dance-Kreisen eigentlich nur statt, wenn sich ein Öffentlichkeitsliebendes Kaliber wie Goldie einen neuen Glitzerzahn hat verpassen lassen. Aber Rowlands hat sich als ebenso markantes Gesicht etabliert, das sogar schon auf dem Cover des Rockmagazins „Q“ abgebildet war. So einen zeigt man dann schon einmal ganz gerne, wenn sich bei ihm etwas Äußerliches verändert. Und: „Irgendetwas musste mit ihm geschehen. Wenn wir live spielten, flogen mir seine Haare bei ungünstiger Windlage im Freien ständig ins Gesicht. Oder sie versperrten den Blick auf Knöpfe, an denen wir ganz schnell drehen mussten. Ich war erleichtert, als er zum ersten Mal mit seinem Kurzhaarschnitt ankam“, amüsiert sich Rowlands‘ musikalischer Bruder Ed Simons (31).

Die alten Zöpfe sind ab. Das gilt aber nur für den Kopfbewuchs. Musikalisch gesehen hatten die Chemical Brothers keine Veranlassung, ihre Musik in Frage zu stellen. Die Chemie bei ihnen stimmt, auf die Mischung aus elektronischen Sounds und robusten Beats können sich Rock-Fans, Techno-Anhänger und Hip-Hopper gleichermaßen einigen. Warum? Rowlands und Simons sampleten in der Vergangenheit alte Rap-Helden wie Schoolly D und Rockmaster Scott & The Dynamic Three und fügten die Teile in die Hits „Block Rockin‘ Beats“ und „Hey Boy Hey Girl“ ein. Auf ihren bisherigen drei Alben tauchen mit Noel Gallagher von Oasis, Bernard Sumner von New Order oder Jonathan Donahue von Mercury Rev leibhaftige Kultstars des Rock als Gastmusiker auf. Alles führte zu einem energetischen Tanzvergnügen, das regelmäßig Hallen in Europa und inzwischen auch den LISA füllt. Warum also an sich zweifeln? Mit ihrem neuen Album „Come With Us“ machen die Chemicals folgerichtig da weiter, wo sie mit ihrem letzten, „Surrender“, aufgehört hatten: Sie wollen dem Zuhörer einen Fluchtpunkt bieten. „Wem kann man als Mann von der Straße schon noch trauen?“, fragt sich Rowlands. „Politiker machen Mist, Sportler denken nur noch ans Geld, Firmenbosse nutzen einen sowieso aus. Wir sind bestimmt nicht die neuen Helden, aber zu dem ganzen Bullshit eine echte Alternative. Wenn wir die Leute nun auffordern, mit uns zu kommen, dann müssen sie sich vor nichts fürchten. Sie sollen alles um sich herum vergessen und sich gehen lassen, dann werden sie glücklich. Dafür gebe ich sogar eine Garantieerklärung ab.“

Damit der Flug in eine friedvoll-feierliche Sounddimension auch schön reibungslos abläuft, haben sich Rowlands und Simons für „Come With Us“ die Dienste von Beth Orton und Richard Ashcroft gesichert. Die Vorzeichen für diese beiden Kollaborationen waren allerdings höchst verschieden. Neo-Folk-Lady Orton ist eine alte Bekannte der Chemicals, sie hatte schon auf dem Debütalbum „Exil Planet Dust“ mitgewirkt. Ashcroft hingegen begegneten sie als Studiogast zum ersten Mal. Der ehemalige Sänger von The Verve war ein Wunschkandidat. „Wir mochten The Verve, aber es war fast noch interessanter, Richards Interviews zu lesen, in denen er über die übernatürliche Kraft von Musik referierte. Er sprach davon, wie es ist, wenn ihn Klänge einfach wegblasen. Das stimmt mit unserer Meinung von Musik voll überein. Wir haben dann vernommen, er würde auf,Surrender‘ stehen, also haben wir ihn angerufen. Man muss uns nämlich erst etwas Liebe zeigen, bevor wir jemand fragen“, erzählt Simons mit einem Augenzwinkern. Das Resultat der gemeinsamen Bemühungen ist der Song „The Test“, in den sich Ashcroft immer mehr hineinsteigert, bis er die alles entscheidende Frage stellt:

„Did I pass the acid test?‘ Klar hat er die Feuerprobe bestanden, möchte man ihm antworten. Dieses Stück ist ein kommender Chemicals-Klassiker, hat es neben den obligatorisch ineinander fließenden Stilelementen doch auch eine richtige Melodie zu bieten. „Im Gegensatz zu unseren bisherigen Produktionen, bei denen eine Soundidee stets der Ausgangspunkt war, haben wir diesmal bei vielen Songs mit einer Grundmelodie angefangen. Die Sounds bauten erst dann darauf auf. Für uns gibt es keine scharfe Trennung zwischen Songwriting, Sound und Produktion mehr. Es ist alles eins geworden“, so Rowlands.

Nachdem die Chemical Brothers die „Surrender“-Tour im Jahr 2000 mit einigen Festivalauftritten wie im englischen Glastonbury abgeschlossen hatten, zogen sie sich wieder ins Studio zurück und tüftelten neue Tracks aus, die sie dann in kleinen Londoner Clubs öffentlich uraufführten. Einer dieser Tracks war „It Began In Afrika“, die erste Singleauskopplung aus „Come With Us“. Als dieser Song zum ersten Mal lief, war das Partyvolk aus dem Häuschen. Das auffällige Sprachsample und die anpeitschende Tribal-Perkussion schienen eine musikalische Veränderung zugunsten von ethnischen Stilen anzudeuten. Doch nach Durchhören des Albums ist klar, dass es sich um einen Einzelfall handelt. „Wir würden niemals ein geschlossenes Konzept wie die Rückbesinnung auf Afrika über ein ganzes Album ausbreiten. Da müssten wir zu viele andere Ideen über Bord werfen. Die Worte ,It Began In Afrika‘ lenken das Interesse in eine bestimmte Richtung, animieren die Fantasie. Daraufkommt es uns an. Man hört etwas und denkt sich seinen Teil hinzu. Jeder kann diesen Track als eigenen Trip benutBeatz-Dealer

zen. Durch diese Musik soll man auf natürliche Weise high werden“, erklärt Simons.

Die Chemical Brothers sind verspielt und richten sich nicht nach Regeln. Eine haben sie dann aber doch aufgestellt: Sie wollen keine alten Songs anderer Interpreten neu aufnehmen oder remixen. Seit Jahren, berichtet Rowlands, werde das Duo zu Neuabmischungen von Dance-Klassikern wie „Planet Rock“ von Afrika Bambaataa gedrängt. Solche Angebote lehnen die lungs freundlich, aber bestimmt ab. Nicht ganz so einfach war es im Fall Noel Gallagher. Der Ältere der beiden Oasis-Brüder besang einst „Setting Sun“, die erste Nr. 1 der Chemicals in Britannien, und später „Let Forever Be“ von „Surrender“, ist also ein guter Bekannter des Duos. Schwierig wurde es, als Gallagher zum ersten Mal um eine Gegenleistung bat, nämlich die Oasis-Version des Beatles-Stücks „Helter Skelter“ für eine B-Seite zu remixen. Doch auch er erhielt von den Chemicals eine Abfuhr. „Es war nicht in Ordnung von ihm, das von uns zu verlangen. Er kennt unsere Prinzipien und wusste, dass er uns damit in die Enge treibt. Er hat sich deswegen öffentlich über uns beschwert, was noch weniger in Ordnung war. Warum haben es Oasis überhaupt nötig, ein Beatles-Stück aufzunehmen? Wir hatten zuvor einen neuen Track der Band namens ,Hindi Times‘ gehört. Der hat uns fast vom Hocker gerissen. So etwas müssen sie uns anbieten, dann gibt es keine Probleme“, weiß Simons. Ein grundsätzliches Problem mit Gitarrenmusik haben die Chemicals nicht. Die jüngste Rock-Renaissance mit Bands wie den Strokes und White Stripes haben sie wahr genommen. Sie können sie zum Teil sogar verstehen, wenngleich Simons eine Einschränkung macht: „Man kann den Strokes keinen Fortschritt attestieren, lehnen sie doch alles ab, was mit Technologie zu tun hat. Sollen diese dünnen Typen aus New York die alleinige Antwort auf die Frage nach der Musik der Zukunft sein? Ich glaube kaum.“ So werden die Chemicals in ihrem Studiolabor weiter an möglichen Formeln für das futuristische Soundgemisch schlechthin arbeiten – bis zum großen Knall.