Dass Turbonegro keine Diskurs-Popper sind, ist fast ein Wunder. Andererseits: Wer will schon erwachsen werden?


Diebeiden Herren tragen Rock’n Roll-Casual-Wear und grinsen mir schon von der gegenüberliegenden Straßenseite entgegen. Turbonegro-Sänger Hank von Helvete trägt Zopf zum weißen T-Shirt, Bassist Happy Tom hat trotz gefühlten 30 Grad im Schatten seine Lederjacke bis oben geschlossen. Zum Start der Interviews zum neuen Album REtox vor der Bar Jakob im Münchner Glockenbachviertel wird erst einmal Mineralwasser nachgeordert. Und das um ein Uhr mittags? Da müssen jetzt aber starke Sätze zur Image-Bildung her: „Bier ist das neue Heroin“, strahlt Hank. Aus dem Mund eines ehemals Heroinabhängigen klingt das fast schon gesund. „Wir schreiben Songs, während wir trinken“, erzählen sie: „Wir haben ein Riff-Laboratorium. Wir setzen uns mit unseren Gitarren hin, trinken Bier und schreiben Songs.“

So soll es sein. „Bier ist das einzige Rauschgift, das du bis zum Ende deines Lebens benutzen kannst, und der einzige Nebeneffekt ist, dass man einen dicken Ranzen bekommt.“ Spricht Hank und streichelt seine Plauze. Mit John Agnello, der auch schon Meat Loaf, Dinosaur Jr. und Sonic Youth produziert hat, haben sie ihr Album abgemischt: „Das war die perfekte Spannweite“, finden sie. „Wir wollten es trocken, sauber, stark und mächtig.“ Bis jetzt sind das die erwartbaren Rocker-Sätze. Angeblich fühlen sie sich oft missverstanden.“ Unser Humor ist dunkel. Wir sind keine Clowns mit verrückten Hüten und roten Nasen. Es ist keine Ironie in unserem Humor, sondern bitterer Sarkasmus, purer Hass. Unser Humor ist sehr ernst und schafft Missverständnisse, ohne sie den Leuten zu erklären.“

Im Rückblick ist das der Punkt in unserem Gespräch, an dem die Turbonegro-Jungs plötzlich eine andere Richtung einschlagen. „Unsere Kleidung ist ein Tribut an den Rock’n’Roll. Hank ist Alice Cooper, die Stones haben sich wie Seemänner angezogen “ – Happy Tom kommt langsam in Erklärlaune. Plötzlich fallen Wörter wie „Weimar-Punk“ und „Kabuki“. Moment, wo sind wir denn jetzt? „Ich glaube, es gibt viele Elemente der griechischen Tragödie bei Turbo. Der Held tritt vor, und der Chor antwortet“, findet Tom. Das meint ihr jetzt aber nicht ernst? „Du kennst doch die ‚Geburt der Tragödie‘ von Nietzsche. Da analysiert er die griechische Tragödie“, setzt Tom unverdrossen nach. Wagner-Referenzen gebe es natürlich auch, was den Aufstieg und Fall der Helden betrifft. „Wir sind halt die Loser-Helden. „Klar, dass diese Jungs auch an Ludwig II. und der Syphilis interessiert sind. Jetzt sind wir am Kern. So sieht das Reich des Turbonegro-Wahnsinns also von innen aus. Und wie kommt man jetzt zurück auf den Boden? „Natürlich haben wir nicht Syphilis, sondern nur Herpes“, erklärt Happy Tom freundlich. Elegante Landung.

Gibt es neue Figuren auf der Theater-Rock-Bühne? „Wir konsolidieren uns. Wirsind Cartoon-Charaktere geworden, und diese Charaktere wollen wir entwickeln.“ Was das deutsche Humorverständnis betrifft, haben sie so ihre Zweifel: Deutschen Humor finden sie „übererklärt“. Unverschämtheit. Da lasse ich mir doch gleich mal erklären, wieso sich eine Band zu Beginn ihrer Karriere „Nazipenis“ nennen wollte, warum sie als Turboneger mit Afro-Perücken tourte und heute noch mit der Totenkopf-Mütze ihres Gitarristen für Diskussionen sorgt. Na, Tom? „Es gibt einen totalitären, autoritären Aspekt des Rock’n ‚Roll, der Teil unserer Rock’n ‚Roll-Karikatur ist. Das heißt aber nicht, dass wir Nazis sind.“ Schlau und knapp gelöst. Und was machen die schwulen Matrosen bei euch in der Band? „Die Nazis wollen nicht darüber reden, aber es gab immer schon ein schwules Element in dieser Bewegung“, sagt Tom, „Du kriegst die Nazis, wenn du den Homo-Knopf drückst.“

Nazis, Nietzsche, Wagner, Syphilis: so viel zum Selbstverständnis der Band als Kunstprodukt. Hank soll Christ sein. Die Frage ist privat, und ich spüre das Zögern bei der Antwort: „Rock kommt aus der Gospelkukur. Du findest viele Christen unter den Rockstars. Zugegeben, viele Priester würden wohl nicht zustimmen, dass ich Christ bin.“ Nein, Hank ist nicht bereit, über das Innerste seines Glaubens zu plaudern. Das ist sympathisch. „Ich habe eine persönliche Erfahrung gemacht, aber ich habe kein Problem damit, Songs zu singen, die andere religiöse Menschen für satanisch halten würden.“ Satanismus ist für ihn sowieso Bullshit. Rock’n’Roll sei eine Feier des Lebens. Das behauptet Satanismus allerdings auch.

Kann man in diesem Stadium des Gesprächs noch über die neue CD reden? Die Bierbauchsprüche sind abgefallen wie eine Maske, jetzt wird in einer anderen Liga gespielt. Tom: „Erneuerung ist bourgeoise.“ Hank: „Stagnation ist Revolution.“ Tom: „Es ist viel härter, in einem festgelegten Konzept zu arbeiten.“ Hank: „Künstler zu sein, heißt nicht unbedingt Grenzen zu durchbrechen, sondern Grenzen zu finden.“ Und schon sind sie wieder bei den festen Regeln der griechischen Tragödie. Dass diese Band nicht Diskurs-Pop spielt, ist mir langsam ein Rätsel. Andererseits ist ihnen ausgestellter Intellektualismus so fremd wie teurer Rotwein. Stur und kindisch zu sein, aber auf professionelle Art, das sei das Ziel: „Wir haben unsere Karriere darauf aufgebaut, dass wir uns weigerten, erwachsen zu werden.“

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