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Unser Mann im Himmel


Wie David Bowie David Bowie wurde und die ganzheitliche Popmusik erfand, wie wir sie lieben. Eine Hymne auf sein Frühwerk, zuerst erschienen in unserem Jahresrückblicksheft 2013.

DAVID BOWIE aber, das Debütalbum von 1967, war nicht nur vom heiteren Varieté-Gesang beeinflusst. Pitt hatte von einem Ausflug nach New York von Andy Warhol eine Vorabpressung von THE VELVET UNDERGROUND & NICO mitgebracht, die Bowie ebenfalls als Eingebung empfing. Und auch die ersten Singles von Pink Floyd regten ihn an beim Songschreiben. 2006 bedankte er sich beim Konzert für den verstorbenen Syd Barrett mit seiner Version von „Arnold Layne“, dem Lied über die Tunte aus der Vorstadt. Bowie komponierte seine Songs auf seiner zwölfsaitigen Gibson, arrangierte sie im Studio selbst, und schon auf seinem ersten Album musizierte er so eigen wie Lou Reed oder Syd Barrett. Er lernte polnische Filmmusik kennen und Tony Visconti beim Tischgespräch über die Beatles, ihr erstes Stück hieß „Karma Man“. Dann wurde er Hippie und verlor vorübergehend das Vertrauen in seine Musik. Er spielte in dubiosen Filmen, warb für Eiscreme und fuhr mit dem Tänzer und Pantomimen Lindsay Kemp durch England. Seine eigene Theatergruppe nannte er Turquoise, er gründete ein Trio mit dem Namen Feathers, das mit dreistimmigen Folkweisen zu Kleinkunstabenden einlud. Hermione Farthingale, seine Geliebte, wirkte mit, und als sie ihn verließ, war dies das Beste, was der Popmusik passieren konnte. Während Bowie litt, verfasste er im Rausch und im Akkord die wunderbarsten Trennungslieder. „Space Oddity“ hielt er Anfang 1969 erstmals fest für Mercury als selbstmitleidiges Lamento an die Einsamkeit. Im Frühjahr kam die Single auf den Markt, im Sommer wurde sie in London, in den Trident Studios, überarbeitet. Mit Streichern, Okarina, Stylophone und einem Mellotron, an dem Rick Wakeman saß.

„Space Oddity“ war der Song, auf den alles hinauslief

In „Space Oddity“ steckte David Bowie mehr als sein privates Leid. Von Simon & Garfunkels BOOKENDS war er so ergriffen – in „Old Friends“ hörte er auch „The Inch Worm“ wieder –, dass er nicht umhin kam, bei „America“ zu klauen. Bowie hat „America“ 2001 gespielt, beim Konzert für New York. Und dann war da die Raumfahrt, die Apollo-Flüge mit dem Bild der Erde. Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ kam im Frühjahr 1968 in die Kinos. Kurz bevor Apollo 11 den Mond erreichte, auf ihm landete und seine Astronauten zum Spaziergang absetzte, veröffentlichte Mercury die Single. Wäre die Mission missglückt, hätte es Ziggy Stardust und die vielen anderen David Bowies nie gegeben. All die Bowies, die das Frühwerk seither überstrahlen und verstellen. „Space Oddity“ war der Song, auf den alles hinauslief. In ihm geht es um den Menschen und das Universum, er birgt die Musik, die Filme und die Bücher seiner Zeit. Der Renaissance-Künstler der Sechziger hieß David Bowie. In den Siebzigern kehrte er als großartiger Musiker zurück mit seinen Maskeraden. Als verrückter Lad, als dünner, weißer Herzog, als Mann mit dem Kokslöffel, als Berliner und als Amerikaner.

Wenn sich gerade etwas neu erfindet, dann die Popmusik. Marxistisch ausgedrückt: Distributionsbedingungen und Produktionsverhältnisse sind andere als 2003. THE NEXT DAY war Bowies vorletzter Beitrag. Das Comeback wurde getwittert. Auf der Weihnachtsedition hießen die zusätzlichen Lieder „Like A Rocket Man“ oder „Born In A UFO“, sie klingen wie Fußnoten zum Werk der späten Sechziger, vielleicht auch noch der frühen Siebziger. Ein Video hatte Bowie selbst gedreht für 12,99 Dollar, wie ein junger, armer Künstler: Man sieht ihn mit alten Bowie-Puppen spielen, in seinem Büroflur in New York. Dazu läuft der „Love Is Lost (Hello Steve Reich Mix)“ von James Murphy. Murphy hat zuletzt – bei Bowie schließen sich die Kreise – Arcade Fire bei REFLEKTOR unterstützt, dem jüngsten Album der Kanadier, das sich bowiesk aus Film, Literatur und Kunst speist. Bowies Stimme ist im Titelsong zu hören. Darin geht es um das Spiegelbild der Welt, um Discokugeln aus dem All. Über den frühen Bowie hat Charles Shaar Murray vom britischen „NME“ einmal geschrieben: „Wenn man bei Bowie durch die Vordertür kam, betrat man einen riesigen Spiegelsaal, ein wahres Spiegellabyrinth.“ Murray meinte das bildlich, und er meinte nicht den kostümierten Sänger, sondern seine Lieder. Unseren Mann im Himmel. Er ist wieder angekommen, ganz bei sich in seinem eigenen Museum.