DJ Koze: „Ich liefere seit 25 Jahren wie ein Pizzajunge“


Stefan Kozalla alias DJ Koze feuert seit einem Vierteljahrhundert schon glückseligmachende Elektronik in alle Richtungen ab – mit KNOCK KNOCK macht er nun, unterstützt von einer beeindruckenden Liste von Gästen, seine musikalische Sozialisation zum Baukasten des eigenen Sounds im Angesicht des Älterwerdens. Wir haben ihn in Hamburg getroffen.

Die letzten Wintertage in St. Pauli, ein Hinterhof, vielmehr eine Gasse, unter der Unterführung durch, dann die Gittertür links, da klopfen – so hat man es uns geschrieben. Hier öffnet André Luth, Gründer und lange Jahre Chef des supereinflussreichen Labels Yo Mama, in den 90ern eines der Zentren des deutschsprachigen Hip-Hops. Auch DJ Koze hat hier früher Platten veröffentlicht. In Hinterzimmern und Fluren stapeln sie sich. Auf dem Klo bitten Fettes Brot, die hier die Hausherren sind, per handschriftlichem Zettel „auch die Damen“ darum, sich zum Pinkeln zu setzen. Es ist das Heimstudio der Brote, nebenan hat Rocko Schamoni ein Atelier, und die Agentur Typeholics, die die Gestaltung nahezu aller Platten der Hamburger HipHop-Szene macht, sitzt schräg gegenüber. Zwischen Dachdeckern, Umzugsunternehmern und Menschen, die hier seit Jahrzehnten wohnen: in der Bernstorstraße 117. Natürlich hängen „Bernstor 117 bleibt“-Schilder in den Fenstern, natürlich gibt es einen Investor, der hier am liebsten radikal umbauen würde, wo die Szene noch funktioniert, wie sie einmal in Hamburg funktioniert hat, als es noch nicht um tanzende Türme ging.

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Es klopft erneut, Samy Deluxe steht in der Tür und erzählt wirres Zeug von Schiffen und Fantasie-Instrumenten, was sich als Vorbereitung auf seine „MTV Unplugged“-Show herausstellt. DJ Koze ist mittlerweile auch da. So stehen sie beieinander: drei hochgewachsene Männer, die so vermutlich seit 30 Jahren beieinander stehen, immer wieder mal, und heutzutage nicht mehr reinpassen in das, was hier passiert, obwohl sie noch immer mittendrin sind, wo es passiert. Dass es in unserem Gespräch um das Altwerden gehen wird, darum, einfach nicht mehr mitmachen zu wollen, um ein Lebensgefühl irgendwo zwischen konservativ und klug, lässt sich zunächst nur erahnen.

Musikexpress: Du machst seit Jahrzehnten Musik, die sehr weit vorne ist, aber dein Name hängt immer noch fest in den 90ern!

DJ Koze: Ja, total! Ich teile das Los von Campino, Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni. DJ Koze – das ist einer dieser bescheuerten Namen, die man als 17-Jähriger erfindet, die im Positiven reinknallen: einmal gehört, nie mehr vergessen. Im Negativen muss man die im Alter dann mit Würde tragen und im „Cipriani“ in Venedig den Tisch mit diesem Namen reservieren.

Alternativ könntest du immer noch auf deine erwachsenen Pseudonyme zurückgreifen: Adolf Noise, Monaco Schranze…

Nee, man muss die Marke ja auch füllen. Das war eine Schwierigkeit für mich: dass das kein Spaß-Punk-Quatsch bleibt, sondern der Name mit Inhalt eingefärbt wird.

Humor ist ein Markenkern von dir geblieben, auf deinem letzten Album gab es den Track „Track ID Anyone?“, und KNOCK KNOCK endet mit „Drone Me Up, Flashy“.

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Ich bin sehr humorlos, was meinen Humor angeht. Auf die Dosierung kommt es an! Aber ich bin auch ein gebranntes Kind: Die Majorität ist komplett humorlos in Bezug auf elektronische Musik oder Musik überhaupt. Ist ja auch ein schweres Thema. Manchmal rettet eine Prise Humor vor Pathos. Ich suche immer nach dem Gegengewicht zu großer Schönheit oder gar Pathos – das muss aber nicht Humor sein. Das kann Schmerz, Dreck oder etwas Brüchiges sein, das dem Perfekten gegenübergestellt ist. Humor ist ein schnelles Tool, um das zu erreichen, aber es führt das andere schnell ad absurdum. Die meisten Leute können das dann nicht zusammen denken. Bei mir geht es mehr darum, zu verwirren oder zu irritieren, den Hörer bloß nicht in Sicherheit wiegen zu wollen. So höre ich ja auch Musik. Wenn etwas Unerwartetes mitschwingt, dann ist es für mich: Wow!

Ist das in der elektronischen Musikszene verloren gegangen?

Schon. Leider ist sie sehr formel-orientiert. Vielleicht nehme ich das auch nur aus Produzentensicht so wahr, weil ich die meisten Formeln kenne. Früher war diese Szene ja nur ein paar Privilegierten vorbehalten, die mit teuren Synthesizern rumexperimentierten, heute kann jeder Musik machen, die so klingt wie „andere“ Musik.

Ist ja auch ganz geil.

Ist auch ganz geil, ja. Erst mal. Allerdings wird es so schwerer, das Destillat herauszufiltern. Es war für den Menschen früher angenehmer, weniger konsumieren zu müssen, aus weniger selektieren zu dürfen, mit weniger Happen auszukommen. Heute wissen wir das alles gar nicht mehr zu schätzen, was es alles im Überfluss gibt. Wann hattest du denn im letzten Jahr mal Zeit, dir ein Album wirklich ans Herz wachsen lassen zu können?

Ich glaube, das war nur das Debüt von Sophia Kennedy, die ja hier irrerweise im Schlusstrack deinen Hildegard- Knef-Fetisch vermutlich besser befriedigt als das Original. Mir bleibt rein zeitökonomisch nichts anderes übrig, schließlich müssen jede Woche ein paar Alben besprochen werden …

… und du musst ja auch die neue Serie gucken und dir das neue Buch besorgen. Versteh das nicht als Kritik, aber: Alles ist dann auch immer gut.

Dj Koze

Vieles ist ja auch wirklich gut, was du hörst. Die meisten Alben sind vier von sechs Sternen. Ich bin eher umgekehrt froh, wenn alle zwei Jahre mal etwas passiert, was dann bleiben will.

Wir sind früher ja schon bei ganz Mediokrem durchgedreht, das würde man sich heute gar nicht mehr anhören … Warte mal, ist diese Wasserflasche hier von innen bedruckt? Das ist der Real Shit, Digger! Das ist sicher so ein sich erinnerndes Wasser!

Ja, komm, trinken wir einen Schluck.

Endlich Punkrock!

Tob’ du dich mal aus, ich hol’ währenddessen aus: Mir kommt es so vor, als wäre die Elektro-Szene zerbrochen in Teile, die sich kaum noch berühren. Da gibt es alternde Raver, die sich freuen, wenn zum Beispiel Steffi mal ein Album macht, das man gemütlich zum Rotwein hören kann, ohne dass man dafür ins „Berghain“ muss. Dann die Avantgarde, zu der aber niemand tanzen geht, die in den Clubs kaum verhandelt wird. Und die eigentliche Club-Szene mit einem Haufen DJs, deren Namen ich mir nicht merken kann, die immer schon bei der „Bar 25“ dabei waren. Du gehörst zu den wenigen, die da vermitteln.

Wenn man sich auf mich einigen kann, dann vermutlich, weil ich seit 25 Jahren liefere wie ein Pizzajunge. Auf verschiedensten Baustellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich einer mal kurz bei mir eingeklinkt hat und etwas mochte in diesem komischen farbenfrohen Verlauf, ist groß – das ist ja ganz anders als bei einem 21-jährigen Typen, der sein zweites House-Album macht. Man kennt mich vielleicht noch von Fischmob oder International Pony oder Adolf Noise. Die ganzen Szenen habe ich aber auch irgendwann einfach nicht mehr verstanden. Mir kommt es so vor, als buche man mich oft als Enfant Terrible. Man kauft mit mir die Katze im Sack, und mit der Masche komme ich durch.

Verstehst du Veranstalter, die eher homogen und formelhaft buchen?

Klar. Ich würde auch Ben Klock und Marcel Dettmann buchen, aber ich hätte eben auch Lust auf Jamie xx, der mal einen HipHop-Track oder eine Soul-Nummer spielt und trotzdem die Leute zum Tanzen bringt. Das ist etwas, was die auch mit mir assoziieren und was ich ausfülle. Aber nicht als Störenfried. Ich gehöre nirgendwo dazu und mache aus der Not eine Tugend. Ich bin meine eigene Insel.

Wie intensiv setzt du dich beim Auf­legen damit auseinander, in welcher Umgebung deine Musik stattfindet?

Ich versuche schon mitzudenken, was im Umfeld passiert, was das für Leute sein werden, aber auch: Wie kann ich mich herausfordern? Was möchte ich von mir selbst hören? Ich bereite mich gut vor. Aber oft ist es dann doch so, dass du irgendwo hinkommst und siehst: Hier stehen jetzt tausend Jungs vor der Bühne, die druff sind wie die Flieger. Dann kann ich mein Gamelan-Intro in die Tonne treten und muss keinen Bildungsauftrag abliefern – das würde ich auch von mir nicht hören wollen. Das zu erkennen, ist eine Fähigkeit, die DJs nach ein paar Jahren entwickeln – ein Radar für die Vibes. Also gibt’s ein strammeres Set, das ergibt dann einfach mehr Sinn.

Robin Hinsch