DJ Koze: „Ich liefere seit 25 Jahren wie ein Pizzajunge“


Stefan Kozalla alias DJ Koze feuert seit einem Vierteljahrhundert schon glückseligmachende Elektronik in alle Richtungen ab – mit KNOCK KNOCK macht er nun, unterstützt von einer beeindruckenden Liste von Gästen, seine musikalische Sozialisation zum Baukasten des eigenen Sounds im Angesicht des Älterwerdens. Wir haben ihn in Hamburg getroffen.

Beim Berliner CTM­-Festival gab es das stramme Set in diesem Jahr mit Ansage: die Gabber-Party zwischen der Elektro-­Avantgarde. Endlich stumpf tanzen zu etwas, das auch bewusst ein bisschen scheiße ist.

Hochkulturelles und Stumpfsinn liegen dicht beieinander. Bei Wolfgang Voigt oder Kippenberger zum Beispiel. Sollte auch so sein – es macht mich fertig, wenn es nur das eine oder andere Extrem gibt. Wir lachen hier und machen Späße, aber gleichzeitig auch was Ernstes, dieses Interview nämlich. Auf meiner Platte hört man ja, dass mir die Musik sehr ernst ist. Ich möchte immer spüren, was menschlich ist am Künstler, und das sind meistens die primitiven Impulse.

Hast du beim Musikmachen solche Impulse?

Es muss mein Herz in Schwingung versetzen. Meistens durch die Harmonien. Ich muss die Melodie mysteriös finden, die Essenz sehen. Ein Herz, Soul, Schmerz: Das muss in jedem Lied drin sein. Und eigentlich suche ich danach immer. Ich kann auch oberflächliche Musik gut finden. Ein kalter 80er-Jahre-Elektro-Beat kann geil sein, abstrakt und maschinell, der will nicht warm sein, der soll punkig und „in your face“ sein. Trotzdem: Das berührt mich nicht. Super Musik, aber eigentlich suche ich nach einem Mysterium und Soul. Nicht im Curtis-Mayfield-Sinne, sondern nach Akkorden, Schmerz, Melancholie und Euphorie.

Du stürzt dich damit recht mutig in die Satisfaction. Da schickt es sich nicht, immer noch einen Schritt weiterge­hen zu wollen.

Total. Das habe ich auch bei diesem Album als meinen Auftrag angesehen. Die ganze Platte ist sehr kondensiert. Kein Wasteland, keine Blendraketen, hinter denen ich mich verstecke. Alles kommt in vier Minuten auf den Punkt. Das zum Beispiel liebe ich an Soul-Singles. Die sind immer zu früh zu Ende – man muss sie gleich noch mal von vorne hören. Ich versuche das, was ich kann, zu perfektionieren. An diesem Punkt bin ich jetzt.

Du bist jetzt also der alte weise Mann Kosi Kos.

Vielleicht wird sich das auch wieder ändern. Ich höre es der Musik an, wenn versucht wird, Next-Level-Shit zu machen, aber am Ende fühle ich dabei oft nichts. Aber wenn ich schon die Gabe habe, mit meiner Musik Gefühle auszulösen, warum sollte ich da dann nicht dranbleiben? Wobei: Satisfaction? Nee, mir verbietet schon meine subversive Grundhaltung, da Puderzucker drauf zu streuen. Auf dem ganzen Album ist kein Chorus!

„Die Refrains fehlen auf dem ganzen Album. Ist ja genial. Ich mache Popmusik und habe das wichtigste Element vergessen!“

Krass, ja.

Róisín Murphy habe ich geschrieben: „Unser Lied ,Illumination‘ ist super geworden, damit kommen wir zu ,Top Of The Pops‘!“ Sie hat mir geantwortet: „My Dear, es gibt kein ,Top Of The Pops‘ mehr, seit zehn Jahren, und außerdem hat das Lied keinen Refrain.“ Da ist mir erst aufgefallen: Die Refrains fehlen auf dem ganzen Album. Ist ja genial. Ich mache Popmusik und habe das wichtigste Element vergessen! Das Schwerste und das Beste! Vielleicht ist das aber genau der richtige Aggregatzustand für meine Musik.

Oder du musst mal mit Andreas Dorau reden, der im vergangenen Jahr für ein Projekt nur Refrains geschrieben hat.

Das klingt nach Dorau – ohne ihn diskreditieren zu wollen. Das ist ja so erfrischend bei ihm, dass er ein Spiel daraus zu machen scheint. Aber er hat mir auch mal gesagt: „Die Strophen sind das Schwerste! Einen Slogan, den kriegst du noch hin, aber da dann eine Geschichte draus zu machen – damit steht und fällt alles!“

Woran erkennst du, was ein musika­lisches Material für dich ist? Die Stim­me von Bon Iver ist ja recht szenefremd, du hast sie im Track „Bonfire“ mit Samples aus Vernons „Calgary“ aber doch in etwas ganz Eigenes umgedeutet.

Mir ist es am liebsten, wenn es aus einem ganz anderen Pop-System kommt. Ich will auf so einer Platte wie in einem Garten ganz viele Schäfchen vereinen, die eigentlich auf anderen Wiesen rumlaufen würden – und eigentlich ist sogar ein Zaun dazwischen. Ich bin gern ein guter Schafirte, der alle zusammenführt – und trotzdem fühlen sie sich da wohl, weil ich ihnen nicht meinen Scherenschnitt verpasse, sondern sie so lasse, wie sie sind, aber ihnen vielleicht ein neues Jäckchen schneidere.

KNOCK KNOCK, dein Schafhirten­-Album. Das finde ich schön. Welche Slogans hast du gefunden für das, was du mit der Platte gemacht hast?

Keine Slogans. Aber es ist ein Album über die Zeit. Lebenszeit. Ich höre darin schon deutlich meine Jugendsozialisierung, Hip- Hop, House, aber auch Hippietum und Psychedelic.

Vielleicht ist deine ganze Generation jetzt an dem Punkt, den eigenen Weg zu reflektieren – Tocotronic haben das erst im Januar mit DIE UNENDLICHKEIT gemacht.

Du hast recht. Aber Tocotronic haben es inhaltlich gelöst, chronologisch. Bis auf „Unwiderbringlich“ – ein fantastisches Lied – klingt das Album homogen. Wie immer bei Tocotronic: Die Grundfarbe ist gleich, aber die Texte schweben von einem zum anderen Thema, auf fantastische Art und Weise. Bei mir ist das andersrum, bei mir ist es immer die Musik, die von einem zum anderen Genre schwebt. Trotzdem versuche ich, diesen komischen Gemischtwarenladen noch irgendwie homogen zu gestalten. Natürlich spielt auch das Älterwerden eine Rolle. Ich gehe auf die 50 zu, da muss ich … Ja, ich brauche einen Slogan!

Dein Label nennt dich gerade einen „Weltenbauer“.

Ja, das mag ich. Das ist, auf das Album bezogen, eine manische Verteidigung der eigenen Idee – ohne die Modernität reinholen zu müssen. Außer wenn es organisch passt. Kein Auto-Tune, kein Trap-Beat, die Klangästhetik der Beats ist nicht glasklar 808, obwohl ich das auch gerne höre. Ist aber alles nicht drin, denn: Das bin nicht ich, und aus der Perspektive meiner persönlichen Timeline ist all das erst in den letzten fünf Minuten dazugekommen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Sounds auch noch in einem halben Jahr relevant sein werden und möchte nicht mit einem Trend sterben.

Eigentlich absurd, dass du dir pünkt­lich zum neuen Album einen Insta­gram­-Account angelegt hast, mit dem du offensichtlich noch nicht so warm geworden bist.

Ach, man hat mir gesagt, dass ich das machen soll – ich verstehe gar nicht, wie das geht. Ich hab’ auch kein Facebook, ich habe eine Facebook-Seite, da gibt es einen Administrator, dem schicke ich ab und an Fotos und einen Satz. Wie das wohl gewesen wäre, wenn ich mich vor Jahren schon bei Facebook angemeldet hätte? Wie viele tausend Stunden ich dadurch jetzt gespart habe! Und trotzdem habe ich das Gefühl, zu wenig Zeit für alles zu haben und abhängig vom Telefon zu sein. Ich habe schon genug Probleme ohne Facebook! Vielleicht lasse ich den Instagram-Account ja auch einfach so, wie er jetzt ist: mit zwei Bildern – die totale Bruchlandung.

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