Ein Käfig voller Narren


Einsatz in Manhattan^ walk on the wild side. A/M Lieutenant Lydon (Deckname Johnny Rotten) geht's auf Patroullie durch den härtesten Beton-Dschungel der weit. Vier Jahre lang lebte Lydon im "Big Apple", aß, trank, saß vor der Glotze und gab gelegentlich

… ein Konzert, ging ab und an auf Tournee und zog in seinem Lagerhaus-Loft auf der Lower West Side zusätzliche Trennwände hoch. „Eine gottverlassene Gegend“, sagt er und nickt mit seinem stacheligen Karotten-Kopf. „Nur Lagerhallen und Discos. Mein Loft ist über tausend Quadratmeter groß, ein Raum ist ’ne Bühne, groß genug für ein Konzert. Der Sound ist toll, weil die Wände aus echtem Ziegel sind. Nicht dieses Hollywood-Plastikzeugs, das jetzt verwendet wird.“

Würdest du gern in einem Palast leben?

„Ich wollte immer in einem Schloß leben. Das ist schließlich etwas, wovon man träumen kann. Aber wenn du dann dein Schloß hast, kannst du es nicht mehr genießen. So wie es vor ein paar Jahren Bryan Ferry mit seinem Great-Gatsby-Trip in Bei Air ging: Es funktioniert einfach nicht! Wenn du ein Schloß hast, dann solltest du es auf jeden Fall zum Haus der offenen Tür erklären; dann läuft das vielleicht.“ Er gießt Bier nach. Langsam sammeln sich die leeren Flaschen auf dem Tisch.

Lydon unterbrach seinen New York-Aufenthalt und ging nach Rom – um dort einen Film über New York zu machen: „Copkiller“ mit Harvey Keitel. „Harvey hat mir mit seinem ,Method Acting‘ sehr geholfen: Er war privat genauso mies wie auf der Bühne.“ Der Film war kein guter Film.

Lydon selbst kommt aus London.

„Klar, ich bin durch und durch ein Cockney. Und da wird sich auch nichts dran ändern.“

Und wie sieht London jetzt aus, von Johns loftiger Warte in New York aus betrachtet?

„Fürchterlich. Grau. Deprimierend. Apathisch. Traurig.“

Merkwürdig, denn trotz der ständigen Hetzerei in New York geht es dort erstaunlich träge zu. Vermutlich ein Resultat davon, daß sich die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen hier auf zwei Stimulanzen reduziert: Geld und Geltungssucht. Früher gab’s nebenbei noch Sex, aber den hat AIDS gekillt.

„Naja, ich muß zugeben, es gibt hier ne Menge Schleimer. Die sagen:. Wow, du bist toll. Ich muß unbedingt mit dir arbeiten!‘ Und das geht so die ganze Zeit! Alle wollen sie eine Scheibe von deinem Kuchen. Sie sind so offensichtlich schmierig.

Die Leute hier sammeln Berühmtheiten. Sie wollen sich nur mit dir unterhalten, wenn eine Kamera dabei ist oder ein Reporter, der alles der Nachwelt überliefert. Alles ist falsch, übel und ekelerregend, aber die meisten Amerikaner mögen es anscheinend so. Die möcht‘ ich nicht mal kennen.

Es gibt auch ein paar gute Leute hier; sie sind nur schwer zu finden. Ich hab‘ ein paar Kumpels, ich hab‘ mich mit Amis angefreundet. Hätte nie gedacht, daß ich das kann.“

Eines ist sicher: Man erreicht in New York nichts, wenn man sich einfach zurücklehnt. Diese Stadt packt dich am Schopf, bringt dich auf Touren – und die Rohheit ihrer Triebe kann sehr befreiend wirken.

Andererseits: Wenn man die Stadt nach den Maßstäben beurteilt, die sie selbst an andere Städte anlegt (Was ist neu? Was ist hip? Was ist angesagt?), dann ist die New Yorker Szene erstaunlich provinziell, kein wirklicher Bestandteil der Achtziger. – London – ja. Mailand – ja. Tokio – ja. Berlin – ja. New York City? Es versucht immer noch, das alte Saturday Night Fever abzuschütteln. Lydon, der wirklich nicht besonders extravagant angezogen ist (pastellblaue Jacke zur hellrosa Hose), sieht in den Straßen von Manhattan nichtsdestotrotz seltsam deplaciert aus. „Die ziehen sich hier ganz schön öde an“, stimmt er zu. „Zuviel Denim. Aber als ich in London war: Gott, eine einzige beschissene Modeparade!“

Man sieht kaum Freaks und ausgefallene Frisuren in New York. Die Nightclubs haben vorwiegend Vorort-Charakter. Der einzig originelle Popsound, der aus dieser Stadt kommt, ist der schwarze Electro-Funk, knackig aber limitiert. Selbst Michael Jackson, diese hysterische Angst & Panik-Stimme einer Kreatur, die in der Falle steckt, selbst dieser Jackson wirkt inzwischen banal und ist folglich in einer Sackgasse gelandet.

Fängst du leicht an zu weinen, John?

„Nein.“

Wann hast du zuletzt geheult?

„Weiß ich nicht mehr. In diesem verdammten Film habe ich verzweifelt versucht zu heulen, aber es hat nicht geklappt. „Nein, schieß nicht auf mich, Harvey!‘ Sie wollten, daß ich an dieser Stelle in Tränen ausbreche, die italienische Masche, aber ich sagte ‚Roberto, es muß doch glaubhaft bleiben, Roberto‘.“

Wer ist Roberto?

„Er war der Regisseur, ein komischer Kauz, so ein italienischer Intellektueller; er unterrichtet Medien-Manipulation in Mailand. Wenn ich durch diesen Film etwas gelernt habe, dann ist es, daß man nie mit dem Kopf durch die Wand gehen sollte.“

Alle Arten von Kultur tauchen in New York auf, und hier werden sie auch zu Kitsch degradiert. Das höchste Lob in dieser Stadt ist „Hot Shit“. Aber alles Neue ist normalerweise nichts als Masche oder Witz. Der letzte hiesige Beitrag von Bedeutung war wohl Warhols Pop-Art-„Empire“. Zur Zeit bestehen New Yorks Beiträge zum Zeitgeist aus Heroin und AIDS. (Und im Gefolge davon Sex per Telefon, auf Kreditkarte).

Was sind deine Laster, John?

„Fernsehen. Faulheit. Essen. Zigaretten. Alkohol.“

Wie steht’s mit Kokain?

„Ach, vergiß es! Das kann sich doch niemand leisten. Dafür mußt du Multimillionär sein.“

Was ist gut am amerikanischen Fernsehen?

„Das es so extrem schlecht ist! Die Quiz-Shows hier könnte ich wochenlang sehen! Die Leute sind sowas von Mattscheibe! Der helle Wahnsinn. Und TV gibt’s rund um die Uhr. Ich find’s angenehm, daß ich mich noch morgens um vier in einen Film einklinken kann, wenn ich nicht schlafen kann. Tagsüber bin ich nicht zu gebrauchen; ich bin ein Nachtmensch.“

Was natürlich günstig ist in New York, daß am Tag die Hölle ist und sich erst nach Einbruch der Nacht in Phantasie verwandelt.Was ist momentan in New York angesagt?

„Englische Musik. Das macht das Leben leicht für mich. Ich muß mich überhaupt nicht anstrengen und wirke trotzdem hyperhip und exzentrisch. Und was noch gut ist an New York: Es ist einfach, hier zu arbeiten. Du muß nicht drei Monate warten, bis dein Telefon angeschlossen ist.

Außerdem brauchst du nicht deine Seele verkaufen, um Geld zu verdienen. Im Gegenteil: Dann funktioniert es erst recht nicht! Du kannst hier nur nach deinen ureigenen Bedingungen gewinnen, aber du mußt durchhalten können. Es braucht seine Zeit. Aber am Ende ist es das wert.“

Langweilt dich Johnny Rotten?

„Ne, das bin ich. Ich langweile mich nicht mit mir selbst. Ich liebe mich. Ich bin das Beste, was ich zu bieten habe. Aber ich sag‘ dir, wer hier gerade Staub aufwirbelt: Quintin Crisp.“ Crisp ist ein Schlagzeilenträchtiger englischer Homosexueller mit violettem Haar, etwa 75 Jahre alt. Er schreibt Bücher wie „How To Become A Virgin“ (Wie werde ich eine Jungfrau). „Die New Yorker lieben ihn. Er spielt die englische Herzogin in Vollendung.“

War es einfach für Leute wie euch, die Aufenthaltserlaubnis für die USA zu bekommen?

„Ja, typisch für New York: Wenn du Geld verdienst, dann lieben sie dich. Sie wollen dich um jeden Preis. Sie grabschen nach dir, sie bestehen darauf, daß du bleibst.

Ich glaube, Quintin wohnt im Chelsea Hotel. Da wohnen ’ne Menge Matschköpfe, Fixer, alles mögliche. Das ist das Hotel, in dem Sid Vicious seine Angebetete ins Jenseits beförderte. Angeblich spukt sein Geist immer noch im zweiten Stock. Es ist ein schleimiges Hotel, auf der Seite der Straße, wo die Sonrs nie hinkommt.“ Zur Zeit entsteht gerade ein Film über Sid und Nancy. Sid wird zum Mythos, während John vor der Glotze einschläft.

Amerikaner kommunizieren mit Geld, nicht mit Sprache oder Spontanität. Wenn etwa Szene-Poet William Burroughs in town ist (freitags hält er Lesungen im YMCA), dann zieht er ein biederes, studentisch

beflissenes Publikum – und macht für sie den Komödienstadl. Er vermeidet offene Sexualität und Blasphemie, während er dieses Element auf seinen Lesungen in Europa hochspielt.

Burroughs eröffnete auch den Area Nightclub, der einer von New Yorks heißesten Tips ist.

Die unbarmherzige Verkommerzialisierung aller Dinge wird durch Manhattans Geografie noch begünstigt. Die Straßen sind numeriert, die Stadt ist übersichtlich, alles paßt in ein einziges Telefonbuch; du weißt immer, wo du bist und wie du deinen Gegenüber einzuschätzen hast. New York ist der am wenigsten mysteriöse Ort der Erde. In New York kennt man keine Klaustrophobie; es ist zwar von Wasser umgeben, und am Ende der langen, geraden Straßen sieht man immer den Himmel und Seemöven.

Businessmäßig ist John nicht allzu sehr auf Vordermann. Es gibt ein PiL-Büro in Los Angeles. Und was Konzerte betrifft, sagt er:

„Ich möchte so wenig wie möglich spielen. Dadurch wird die Show besser. Jede Show ist ein Ereignis, gutes Theater. Außerdem langweilen mich meine Songs, wenn ich sie Nacht für Nacht spiele.“

Wie würdest du deine Musik beschreiben?

„P/l Musik.“

Was ist zur Zeit dein größtes Problem?

“ Ich habe keine Probleme. Wo ich mich niederlassen soll, das ist vielleicht ein Problem, wenn du es als solches bezeichnen willst. Ich könnte es in Berlin probieren. Ich war mal zwei Wochen dort, hat mir gut gefallen. Ich war auch in Irland. Keine Stunde war vergangen, da saß ich schon im Knast. Japan ist ein großartiger Ort. Aber nur für maximal zwei Wochen. Ich werd‘ wohl nach Australien ziehen.“

Lydons größtes Problem besteht wohl darin, daß er zwar ständig seinen Wohnsitz ändert, kreativ aber auf der Stelle tritt. Ein Problem, das er wohl auch in New York nicht lösen wird. Alles, was New York ihm gebracht hat, ist die Reduzierung auf seine Avantgarde-Rock-Pose. PiL besteht im Moment praktisch aus amerikanischen Sessionmusikern. Auf der Bühne versucht John, provokativ zu sein, aber man spürt die Leere eines kommerziellen Produktes.

John lebt mit Nora zusammen, einer intelligenten, leicht mütterlichen Deutschen, die gern in die Danceteria geht. „Gestern abend waren wir dort“, sagt er. „Fürchterlich. Gerammelt voll mit Vorstadt-Fuzzies. Und die ganze Zeit ging es: ,Oh sieh‘ mal, das ist Johnny Rotten.‘ Nach zehn Minuten hatte ich die Nase voll und bin gegangen. Irgendein Penner quatscht dich immer an. Und es gibt ne Menge Spinner in dieser Stadt, viele Leute, die mit sich selbst sprechen.“

Es stimmt, sogar Rechtsanwälte und Zahnärzte erwischt man dabei. Nach einiger Zeit fängst du selbst damit an. Um ja nicht dumm aufzufallen. So jemanden überfällt man halt nicht so leicht. Die überlegen sich’s zweimal, bevor sie einen brabbelnden Spinner anmachen. Da gibt’s z. B. diesen Jongleur, der immer auf seinem Fahrrad rumgurkt und dabei jongliert. Einmal fährt er ohne zu jonglieren. Da brüllt ihn doch ein New Yorker an: „Jonglier, du Arsch, jonglier!“

Das Interview findet vorübergehend in einer Bar des Warwick Hotels statt, gegenüber vom Museum of Modern Art. In der Bar hier ist es genauso duster wie in jeder anderen Bar in New York. Auf den Tischen stehen ein paar Kerzen, die aber auch kein Licht liefern. Warum sind eigentlich die amerikanischen Bars innen rabenschwarz? Was ist der Grund, Sigmund?

Bekommst du manchmal Angst in New York?

„Nein. Ich weiß, wo man besser nicht hingeht. Ich würde nicht um vier Uhr morgens durch die Bronx laufen. Oder dort unten, wo die Junkies sind. Verdammt viele Junkies. Ich bin nie überfallen worden.“

Was macht dir Angst?

„Autozusammenstöße. Flugzeugzusammenstöße. Zugzusammenstöße.“

Wann bist du dem Tod am nächsten gewesen?

“ Vor vielen Jahren: Meine Mutter fuhr mit ihrem Mini Cooper unter einen Lastwagen.

Der Laster schleifte uns noch 100 Meter weiter. Kein angenehmes Gefühl.“

Also wird die Gefahr, in New York überfallen zu werden, hochgespielt. Aber was anderes: Wo sind die ganzen Kakerlaken, von denen man immer liest?

„Willst du damit sagen, du hast noch keine gesehen?“ Er reißt ungläubig die Augen auf. „Mein Gott, sie sind überall! Ekelhafte Viecher, dicke, fette, schwarze Dinger, die nachts durch die Toilette hochkrabbeln. Einmal wachte ich auf, weil ich pissen mußte: ich hatte keine Lust, Licht anzumachen. Es war ekelhaft! Es knirschte fürchterlich – und das ganze Zeug spritzte raus. Uuuh!

Du solltest mal ein Interview mit Martin Scorcese über New York machen! Er haut sich den Kopf mit Speed voll, turnt dann oben auf den Wolkenkratzern rum, hängt sich aus dem Fenster und schreit:, Oh Gott, sieh dir diese Qual an, dieses Laster, diese Entartung an, diese Gewalt! Ich muß sofort noch einen Film machen. Wo ist Robert de Niro?'“

De Niro ist ein öder Schauspieler.

„Danke. Toll. Ein verdammt langweiliger Schauspieler, nicht wahr? Da frißt er sich das ganze Gewicht an, um ,Raging Bull‘ zu spielen – was ist daran genial? Und Richard Gere, puh, platter geht’s nimmer. Mein Lieblingsschauspieler ist Peter O Toole. Ich mag seinen Charakter. Er ist natürlich sehr irisch – wie ich.“

Hast du für deinen Film auch zugenommen?“

„Bist du verrückt! Sie haben mich fast verhungern lassen. Und sie wollten auch noch, daß ich mit dem Trinken aufhöre. Aber ich sagte:, Genug ist genug, Roberto. Als ich mich dann im Film sah, waren da natürlich überall meine Schwabbelringe zu sehen. Ich dachte: ,Oh ne, zum Sexsymbol wird’s wohl nie reichen‘.“

Nora ruft in der Bar an. Jemand kommt rüber und richtet es ihm aus. Er sagt: „Sag ihr, ich bin schon weg. Sag ihr, ich bin schon aufm Weg. “ Er sieht wieder auf den Tisch. „Schlimm, diese Nora. Diese Deutschen, weißt du, die sind so fordernd, so anspruchsvoll. Laß uns noch n Bier trinken.“

Was vermißt du an Europa?

„Nichts. Naja, den Reggae in London. Ich mag Reggae, und es ist schade, daß ich ihn mehr oder weniger aufgeben mußte, seit ich hier bin. In New York gibt es nur zwei Läden, die aus Jamaica importieren. Und die Leute, die von Jamaica nach New York ziehen, die machen nur noch diesen Disco-Reggae, weil das mehr Kohle gibt. Und da ist noch was, das ich vermisse – das Essen in Italien.“

Und was ist mit den Sex Pisto s?

„Ich glaube, ich bin ein ruhiger, normaler Mensch – auf meine eigene Art. Aber ich hatte die Chance zu explodieren, und das habe ich denn auch getan. Es hat wahnsinnig Spaß gemacht – aber es war auch schmerzhaft. Ich wurde als ignorantes Arschloch abgestempelt. „

Du wurdest als unbequem abgestempelt, nicht unbedingt als Arschloch …

“ Man hat mich ganz schön mit Kot beworfen.“

Aber war das nicht der Sinn der Sache? Provokation?

„Ja, vielleicht war ich selbst auch etwas bösartig. Das ganze Popmusik-Geschäft ist sowas von durchsichtig, die nackte Gier. Und ich versuchte, das der ganzen menschlichen Rasse klarzumachen. Aber sie wollen es nicht wissen! Es interessierte sie nicht, weil es ihre Illusionen zerstört hätte. Aber wie ich ’s die ganze Zeit gesagt habe: Es sind nur Platten. Musik wird die Welt nicht verändern. „

Nora ruft in der Bar an und läßt ausrichten, daß sie zur Danceteria geht. Und daß John nachkommen soll.

„Siehst du“, sagt John, „Ich will gar nicht in die Danceteria. Ich hasse die Danceteria. Ich will jetzt in ein italienisches Restaurant gehen und mir den Bauch vollschlagen. „

Lydon hat inzwischen New York verlassen, um in Los Angeles sein Glück zu versuchen.