Gravenhurst – Rollenspiele im Schlafzimmer


Nach fünf Jahren Pause kehrt Nick Talbot mit Gravenhurst zurück. Dafür dürfen wir uns bei Maxïmo Park bedanken.

Nick Talbot ist ein auffallend freundlicher Mensch, doch dann platzt es aus ihm heraus: „Billy Corgan ist ein Arschloch! Egal, wie viele Millionen er verdient, wie viel Bewunderung er von seinen Fans bekommt, er fühlt sich immer missverstanden.“ Talbot selbst hält sich lieber an das Credo seiner guten Freundin, der 2011 viel zu früh verstorbenen Trish Keenan von Broadcast: „Nimm deine Musik ernst, dich selbst aber nie.“

Seit 13 Jahren veröffentlicht der englische Multiinstrumentalist Platten unter dem Namen Gravenhurst. Die Songs schreibt er spät nachts in seinem Schlafzimmer in Bristol, erzählt er: „Ich sitze mit meinen Kopfhörern da und erschaffe mir diese mystische Welt. Es ist fast wie ein Fantasy-Rollenspiel, wie, Dungeon & Dragons‘.“

Doch zwischendurch hatte Talbot die Lust am Musikmachen verloren. Es begann damit, dass er sich auf der Tour zum Gravenhurst-Album The Western Lands eine schwere Halsentzündung zuzog. Zurück in Bristol, merkte Talbot, wie erschöpft und ausgebrannt er ganz allgemein ist. Er beschäftigte sich mit anderen Projekten, wie der Veröffentlichung einer eigenen Laien-Comic-Reihe namens „Ultraskull“. Erst ein Anruf des Label-Kollegen und Maxïmo-Park-Sängers Paul Smith überzeugte ihn davon, Gravenhurst wieder zum Leben zu erwecken: „Paul suchte für seine Solotournee einen ‚leisen‘ Künstler fürs Vorprogramm“, erzählt Talbot. „Er motivierte mich auch, ein neues Album zu machen. ‚Bis Weihnachten muss es draußen sein!‘, sagte er.“

Mit Weihnachten wurde es zwar nichts, wir reden hier von Weihnachten 2010. Aber das Album, sein fünftes, wurde fertig. Auf The Ghost In Daylight erweitert Talbot sein Soundspektrum vorsichtig um elektronische Klänge, bleibt aber den sphärischen Shoegaze-Collagen und der geheimnisvoll-düsteren Grundstimmung vorangegangener Alben treu. Er kann einfach auch nicht anders. „Früher hat es mir manchmal leidgetan, dass meine Musik nicht gerade humorvoll ist“, gesteht Talbot. „Ich habe mir schon mal überlegt, ein Nebenprojekt zu starten, bei dem ich nur alberne Guided-By-Voices-artige Songs spiele. Ich glaube, jeder will heimlich bei Guided By Voices spielen. Das muss das Lustigste überhaupt sein.“ Reiner Reitsamer

Albumkritik S. 81