Grönemeyer: Der letzte Ritter des Seitenscheitels


DUISBURG. Ein regnerischer Tag im Juni. Schimanski-City, finstere Rock ’n‘ Roll-Diaspora. in die sich der internationale Rock-Adel nur selten verirrt.

Anders unser Herbert. Er kommt — und mit ihm kommen 40.000 seiner Getreuen. Es ficht sie nicht an, daß Herbie ohne neue Platte erscheint. Er kann ja aus dem Vollen schöpfen. „Ist er nun größenwahnsinnig oder einfallslos? Gehen ihm die zündenden Ideen aus oder wiegt er sich in der trügerischen Sicherheil, daß alter Lorbeer so schnell nicht welkt?“, fragte ein konsternierter Kollege von der „Kölnische Rundschau“.

Die Antwort kennen wir bereits: Herbert G., „Künstler des Jahres „92“, kann es sich erlauben, die Gesetze der Musikbranche zu ignorieren. L’etat c’est moi, gibt er mit der gebotenen Bescheidenheit zu verstehen.

This is Grönemeyer-County. Und die Fans ziehen mit. Sie lieben diesen „letzten Ritter des Seitenscheitels“ ob seiner Integrität, ob seiner vergleichsweise sozialen Eintrittspreise, ob des (in Duisburg zumindest) manierlichen Sounds und ob der von überall her gut einsehbaren Bühne. Es goß zwar zeitweise wie aus Kannen, doch dem Maestro machte das nichts. Älteres, gut durchgezogenes Songmaterial kredenzt er seinen Lieben — und die danken’s ihm mit tosendem Beifall. Standing Ovation nach „Bochum“.

Ein verschwitzter Held, der sich so diebisch freut, als habe er eben einen gelungenen Schulbubenstreich vollführt.

Grönemeyer, Mann des Rechts und Garant für zivilen Ungehorsam, tadelt die Prolos, die sich in der Wedau aufs Maul hauen und vom Ordnungsdienst aus der ansonsten friedlichen Menge gezogen werden.“.Ich will mehr“ (Songtitel), aber nicht davon!

Sagt’s und macht weiter mit seinem Oldies but Goldies-Programm. in dem (nach langer Abstinenz) auch die „Currywurst“ nicht fehlt.

Und die schmeckt als SchJemmerplatte rot-weiß genial nach 6 Sternen im MSV Stadion.

Genau wie das übrige Musikmenü. Jede Menge „Luxus“, der auch größere „Sprünge“ möglich macht. Stilecht kräht sich Grönemeyer, der alles gerne macht, was er eigentlich nicht kann (Singen nämlich und Tanzen), durch sein dreistündiges Programm, in dessen Verlauf er seinen treuen Anhängern den Spiegel vorhängt. Wie immer: Prädikat besonders wertvoll, wenn Gröni. der windpockengeplagte Ruhrpott-Tourist, den Besser-Wessies kundtut, man solle sich im Osten doch nicht wie die Axt im Walde aufführen. Der abgekämpfte Musik-Krieger mit der geballten Faust, die Menge an der unsichtbaren Leine; glücklich wie ein Gesamtschullehrer, der unartigen Kindern mal so richtig die Leviten lesen darf.

Was das soll, weiß er allein. Aber ansonsten war Grönemeyer, der gute Mensch von Duisburg, wirklich sein Geld wert.