Hirnflimmern


Ich kenne einen „Blattmacher“, der gab gern die Ansicht zum besten, man könne ja von der Bild-Zeitung halten, was man wolle, aber die hätten es da auf jeden Fall drauf, kurz und knapp ihre Aussagen auf den Punkt zu bringen. Was natürlich ungefähr so ist, als würde man sagen, man könne ja von dem Schlägertypen von nebenan halten, was man wolle, aber der habe auf jeden Fall ziemlich kräftige Oberarme. Jetzt habe ich aber doch was gesehen in der Bild, wovon ich lernen will. Über einem Artikel, in dem Aussagen zweier Politiker gegenübergestellt werden, steht: „Lesen Sie mal, wie sich ihre Sprüche gleichen“ Das ist es! Was haben wir uns all die Jahre einen abgebrochen mit gewitzten Überschriften – dabei ist es so einfach, des Lesers Aufmerksamkeit zu dirigieren! „Lesen Sie mal, wie ich das Low-Konzert fand“. „Lesen Sie mal, was mir Josh Homme beim Interuiew erzählt hat“. Und was machen wir uns jeden Monat einen Kopf über ein attraktives Titelblatt! Warum nicht einfach: „Lesen Sie mal dieses Heft.“ Keine Ahnung, wie die Kollegen zu solchen Ansätzen stehen. Ich jedenfalls werde mich in Zukunft dieses genialen Kniffes bedienen, um meinen Artikeln jenen Zusatz-Boost an Leserinteresse und -feedback zu verschaffen, den man herkömmlicherweise nur abkriegt, wenn man schreibt, dass die neue David-Gilmour-CD schlecht ist oder – harr harr – androht, Red-Hot-Chili-Peppers-Poster zu verbrennen.

Lesen Sie mal, was passierte, als ich hier letztens schrieb, ich hätte super Chili-Peppers-Poster rumliegen, die keiner wolle, weswegen ich sie den Flammen zu überantworten gedächte. Eine Legion von EmailerInnen fiel mir in den Arm, von der Wahnsinnstat Abstand zu nehmen -und vielmehr die Poster an sie zu schicken. Und sie haben ja Recht. Es liegt mir als altem Messie ohnehin fern, nutzlosen Tand zu entsorgen, geschweige denn zu vernichten. Aber ach. wie verteilt man drei Poster auf eine Legion, ja: 27 Einsender? Wissen Sie was? Ich zerschneide die Dinger und verteile sie salomonisch gerecht (jetzt müssen bitte Mails kommen von Leuten, die das Alte Testament kennen oder einfach natural born moralisch überlegen sind: „Nein! Nicht! Lieber schick die Poster an den XY und ich gehe leer aus! Aber nicht zerschneiden.“ Und genau DIE kriegen die dann. Hm. Andererseits will ich die Sache jetzt auch nicht zu hoch hängen. Bereits passiert, ich weiß.)

Lesen Sie lieber mal, welcher Leserbrief mich letztens traurig stimmte. Es war eigentlich ein Demnächst-nicht-mehr-Leser-Brief. Er kam von einem Herrn Wolfgang J, der darin seine Entscheidung kundtat, sein ME-Abo zu kündigen. Solche Briefe finden wir natürlich nie so richtig dufte. Was mich an Herrn J.s Schreiben aber zusätzlich betrübt, ist die Tatsache, dass der Mann „unser“ Heft (Sie werden gleich merken, warum „unser“ in Anführungen steht) bereits seit 1968 las. Also: Seit 1968. Da hat Jimi Hendrix noch gelebt und Pete Dohertys Papi war ein pickliger Teenager. Und der Musikexpress war noch der „Muziek Express“ und erschien auf Holländisch. 1968. Und jetzt, ein Jahr, bevor die 40 voll gewesen wären, wendet sich Herr J. vom ME ab! Noch dazu in einem Brief, der mit dem 8.8.07 datiert ist! Ich war kurz davor, zu schreiben und ihm darzulegen, wie cool das wäre, wenn er noch ein Jahr warten könnte um dann am 8.8.08 ein 40 Jahre altes Abo zu kündigen. Aber vielleicht findet Herr J. ja gerade diese 8.8.07/39-Unebenheit cool. Man steckt ja nicht drin. Auf jeden Fall Danke für’s Dabeisein, Herr J.! Und Ihr anderen Abonnenten: Die Herausforderung steht. 39 Jahre gilt’s zu toppen. Dranbleiben!