Interview: Paul McCartney


Soll er weinen? Oder doch lieber trotzig lachen? Immerhin bricht seine laufende Welt-Tournee alle Rekorde - selbst jene, die er vor 30 Jahren mit den Beatles aufgestellt hat. Ein Ärgernis bleibt: Die Leute wollen eigentlich nicht ihn hören, sondern ein Potpourri aus Pilzkopf-Tagen. Paul McCartney (51) über die Schizophrenie, seine Existenzberechtigung noch immer aus der Vergangenheit beziehen zu müssen.

ME/SOUNDS: Du bist seit 30 Jahren im Geschäft und machst nicht den Eindruck, als würdest du demnächst in den Ruhestand treten wollen. Was hält dich bei der Stange?

McCARTNEY: Für mich hat immer nur die Musik gezählt, sonst gar nichts. Und es gibt immer wieder Neues, das mich interessiert und das ich ausprobieren will. Außerdem liebe ich es, auf der Bühne zu stehen – schon damals mit den Beatles, obwohl es in den sechziger Jahren gerade erst losging mit großen Konzerten und alles noch furchtbar chaotisch war. Im Shea Stadium etwa spielten wir über die Lautsprecheranlage, die normalerweise für die Ansagen verwendet wurde! Man dachte noch nicht soviel darüber nach, ob einen die Zuschauer auch ordentlich hören können – von Videoleinwänden und so etwas mal ganz abgesehen. Und daß der Sound meistens furchtbar war, fiel bei dem Gekreische sowieso nicht weiter auf. Mich erinnerte das immer an Möwengeschrei, dieses WIIIEK, WIIIEK, eine Unmenge Möwen, die sich alle schrecklich über irgend etwas aufregen …

Später, während der Zeit mit den Wings, wurde es dann ein bißchen wild, die ganze Band hob ab, und es ging ziemlich aggressiv zu. Es gab Abende, an denen ich hinter der Bühne auf den Gitarristen losging, und das ist nicht gerade typisch für mich. Aber es paßte in die Zeit – es gehörte zum guten Ton, sich vor dem Auftritt vollzudröhnen. Das Problem ist nur – wenn ich völlig benebelt bin, fallen mir die Songs nicht mehr ein.

ME/SOUNDS: Auf dieser Tour spielt ihr zum Abschluß „Hey Jude“ – ein rauschendes Finale, bei dem alle mitsingen. Nur Show, oder liegt dir an dem Stück besonders viel?

McCARTNEY: „Hey Jude“ ist euier dieser Songs, bei denen die Erinnerungen und Emotionen nur so herausgesprudelt kommen. Ich will nicht unbescheiden sein, aber er ist ein Meilenstein, so wie „Purple Haze“ oder „Satisfaction“. Ich erinnere mich, daß ich ihn Mick Jagger vorspielte, in einem kleinen Club in der Nähe der Tottenham Court Road. Das Publikum lag auf Kissen herum, und das Stück ging immer weiter, endlos, und Jagger sagte: .Meine Güte, das sind ja mindestens zwei Songs!‘ Als wir dieses Jahr in Hollywood spielten, kam Ringo bei „Hey Jude“ auf die Bühne und sang mit. Dieses Mal war er rechtzeitig da – im Gegensatz zu den Aufnahmen damals, wir spielten das Stück x-mal ein, und irgendwann verschwand Ringo in der Toilette. Weil wir in getrennten Kabinen aufnahmen, hatte ich das nicht bemerkt. Ich fing also noch einmal an, es lief glänzend, ich sang dieses lange Intro, und auf einmal hörte ich Ringo murmeln: ,Himmel, er hat ja schon angefangen‘, und dann sah ich, wie er verzweifelt versuchte, in seine Kabine zu schlüpfen und rechtzeitig zu seinem Einsatz am Schlagzeug zu sitzen. Und er schaffte es! Das war die Aufnahme, die dann auch auf die Platte kam.

ME/SOUNDS: Von den 32 Songs, die ihr auf dieser Tour spielt, stammen 18 aus der BeatlesÄra. Läuft man nicht Gefahr, sich zu sehr auf seinen Lorbeeren auszuruhen, wenn man derartig in der Vergangenheit schwelgt?

McCARTNEY: Zunächst hatte ich schon Bedenken. Als die Beatles damals auseinandergingen, waren wir uns alle einig – unabhängig voneinander -, keine Beatles-Songs mehr zu spielen. Aber seitdem ist soviel Zeit vergangen …

Man kann zwei Standpunkte einnehmen: Entweder breche ich völlig mit dieser Phase meiner Vergangenheit und tue so, als wäre ich niemals jung gewesen und es hätte die Beatles nicht gegeben. Oder ich gestehe mir ein, daß es eine tolle Zeit war und den Leuten an diesen Stücken immer noch sehr viel liegt. Jedenfalls geht es mir persönlich so!

Natürlich hätte es keinen großen Spaß gemacht, mit einer Sixties-Revival-Show durch die Lande zu ziehen, aber die Band hat glücklicherweise keine Probleme damit, diese Songs zu spielen. Und was vielleicht ebenso wichtig ist: Sie werden von der richtigen Person gesungen. Wenn du jemand anderen „Yesterday“ oder „Hey Jude“ singen hörst, paßt es irgendwie nicht, weil es nicht die gewohnte Stimme ist. Meine Stimme ist „authentisch“, und deshalb besteht auch keine Gefahr, daß das Ganze zu einer Varietenummer verkommt. Erstaunlich ist nur, daß meine Stimme so lange gehalten hat…

ME/SOUNDS: „Pflegst“ du sie denn auf irgendeine Weise?

McCARTNEY: Nein, überhaupt nicht. Als wir das „Liverpool Oratorium“ vorbereiteten, war ich sehr erstaunt, wie akribisch die Sänger – zum Beispiel die Sopranistin Kiri Te Kanawa – auf ihre Stimme aufpassen. Das hätte ich eigentlich auch tun sollen, aber jetzt ist der Zug schon lang abgefahren. Ich gehe einfach auf die Bühne und malträtiere meine Stimmbänder – wenn es eine Ballade ist, singe ich sanft, und wenn nicht, dann eben laut.

ME/SOUNDS: So eine lange Tour ist ja auch ßr jüngere Semester schon ganz schön anstrengend. Wie entspannst du dich zwischen den Konzerten?

McCARTNEY: Dieses Mal bm ich sehr viel gesegelt, wenn sich die Gelegenheit ergab. Nicht mit so einer großen Hochseejacht, nur eine kleine Jolle. Als wir in Australien waren, fuhr ich einmal mit meinem Sohn James raus, und plötzlich war das Boot von Delphinen umringt. Es war fantastisch – sie schwammen um uns ¿

herum, tauchten unter dem Boot durch… Am nächsten Tag gingen wir mit Linda und den Mädchen an derselben Stelle schwimmen, und sie waren tatsächlich wieder da! Es war das erste Mal, daß ich hörte, wie sich Delphine unterhalten, mit diesen klickenden Lauten – unglaublich!

ME/SOUNDS: A propos – es gab bei dieser Tour einige Diskussionen um einen Film, der vor Beginn des Konzerts gezeigt wird und erschütternde Bilder von gequälten und getöteten Tieren enthält. Manche Leute waren der Meinung, er sei zu brutal und hätte nicht gezeigt werden dürfen.

McCARTNEY: Mir ist klar, daß es Szenen in dem Film gibt, die einen unter Umständen aus der Fassung bringen können. Als ich ihn das erste Mal sah, konnte ich es selbst kaum ertragen, ich mußte mehrmals wegschauen – Wale, die harpuniert werden, Bilder aus Schlachthöfen… Es gibt sogar altes Material, in dem Edison an einem Elefanten die Wirkung von Stromschlägen demonstriert. Sie bringen diesen Zirkuselefanten herein, er trägt sogar ein Papphiitchen auf dem Kopf, führen ihn auf eine Metallplatte und jagen ihm Stromstöße durch den Körper, bis seine Füße zu rauchen anfangen und das arme Tier, das keine Ahnung hat, was mit ihm passiert, schließlich tot umfällt.

Natürlich ist das furchtbar. Aber es beweist, daß wir unser Verhalten gegenüber den anderen Lebewesen, mit denen wir diesen Planeten teilen, gründlich überdenken müssen, und deshalb haben wir den Film gezeigt. Er ist nur eine Fortsetzung unseres Engagements für Greenpeace und andere Umwelt- und Tierschutzorganisationen.

Davon mal abgesehen, was ist schockierender – daß Tiere getötet werden oder daß man einen Film zeigt, in dem genau das dargestellt ist? In unserer Gesellschaft anscheinend das letztere, leider. Wir Menschen haben den Kampf um die Erde gewonnen, kein Hase oder Elefant kann sie uns wegnehmen, und als Sieger sollten wir uns, denke ich, ein bißchen nobler verhalten, anstatt weiterhin auf alles einzuschlagen, das sich bewegt. Tiere können sich nicht wehren, sie können nicht protestieren, das müssen wir selbst übernehmen, deshalb der Film.

Glücklicherweise stehe ich mit dieser Einstellung nicht allein da. Es gibt immer mehr junge Menschen, die ähnlich denken, und unsere Leute haben mir erzählt, daß ein großer Teil des Publikums am Ende des Films klatscht. Das ist ein gutes Zeichen, hoffe ich.

ME/SOUNDS: Linda ist auch diesmal wieder ab Bandmitglied dabei Ist die ständige Zusammenarbeit auch das Geheimnis eurer langjährigen Ehe?

McCARTNEY: Ich weiß nicht, bei uns hat es jedenfalls funktioniert. Linda ist in der Band, weil ich sie dabeihaben will. Früher war so etwas ganz normal, man tourte nicht mit abgebrühten Studiomusikern, sondern einfach mit ein paar Leuten, mit denen man gut zurecht kam. Als es mit den Wings losging, wollte ich einfach einen Freund um mich haben, einen Kumpel… ich hätte auch Eric Clapton haben können, er hat mir mal gesagt, er wäre eingestiegen, wenn ich ihn gefragt hätte.

Bei dieser Tour haben Linda und ich unseren 24. Hochzeitstag gefeiert, in Sydney. Wir gingen aus, tranken Champagner, sie bekam ein kleines Geschenk von mir, aber ein bißchen beängstigend war es schon. Nächstes Jahr feiern wir Silberhochzeit, und sowas kenne ich nur von unseren Großeltern! Wir haben vier fast erwachsene Kinder, das jüngste ist 15, und dabei fühlen wir uns irgendwie selbst noch wie Kinder.

Ich weiß nicht, warum Linda und ich noch zusammen sind – es muß wohl Liebe sein. Einem Mann fällt es schwer, das zu sagen, normalerweise sind dafür die Frauen zuständig… Wir sind sehr ehrlich miteinander und versuchen, Probleme immer so schnell wie möglich zu lösen. In den ersten Jahren unserer Ehe gelang uns das nicht so gut, manchmal schleppte sich ein Streit drei Tage hin, und so etwas ist nicht gut für mich.

weil ich mich dann einfach nicht mehr auf andere Dinge konzentrieren kann.

Aber damals war die Situation auch ganz anders. Apple ging den Bach hinunter, die Beatles bröckelten auseinander – und Linda mußte den ganzen Mist ausbaden. Ich kam von der Arbeit nach Hause und sagte: , Weißt du, was sie heute wieder angestellt haben? Weißt du, wieviel wir verloren haben? Fünf Millionen!‘ Das war nicht nur irgendein kleiner Job, ich mußte zusehen, wie mein gesamtes Vermögen draufging, und das war nicht gerade angenehm.

Es hilft aber ungemein, wenn man ehrlich miteinander ist. Und die Kinder sind natürlich auch sehr wichtig. Wir verbringen unglaublich viel Zeit miteinander; die Leute fragen immer, ob es uns nicht allmählich langweilig wird. Manchmal ja, mitunter zieht sich jeder ein bißchen zurück, Linda fotografiert und ich male, damit wir uns nicht zu sehr in die Quere kommen. Aber im allgemeinen sind wir gerne zusammen.

ME/SOUNDS: Was halten die Kinder davon, daß ihr immer noch auf Tour geht?

McCARTNEY: Die Kinder sind großartig. Wir hatten immer Angst, daß irgendwann mal der Punkt kommt, an dem sie sagen: , Wir stehen auf Kap, eure Musik ist öde‘, aber das ist nicht passiert. Sie haben uns immer unterstutzt. James mag Hendrix, Steve Miller, Ray Charles – er hat einen wirklich guten Geschmack, genau die Sachen, auf die ich auch abfahre… Er lernt jetzt Gitarre, und manchmal kommt er nach der Show und sagt: ,Papa, ‚Sergeant Pepper klang heute abend wirklich klasse‘, und das macht dich verdammt stolz, wenn dein eigener Sohn so etwas sagt.

ME/SOUNDS: Fühlst du dich heute noch immer ein bißchen wie ein Kind?

McCARTNEY: Im Innersten meines Herzens bin ich immer noch Paul McCartney auf der Schulbank. Ich bin noch immer der kleine McCartney. der – wenn er zu spät zur Schule kam – nachsitzen mußte! Und ich sage dir: Dieser Bursche mußte oft nachsitzen! Zu dem Paul McCartney, der erwachsen wurde und nach Amerika fahren durfte, habe ich überhaupt keinen Draht. Irgendwie schizophren.

ME/SOUNDS: Es gibt Leute, die behaupten, häusliches Glück sei Gift für einen Künstler …

McCARTNEY: Das ist schon möglich, aber dann will ich kein Künstler sein. Meine Kinder sind mir tausendmal wichtiger. Außerdem hasse ich diese Vorstellung, man könnte als Künstler nur erfolgreich sein, wenn man schlecht drauf ist. Wenn ich mir Gedanken machen würde, ob ich ein Künstler bin oder nicht, müßte ich mich auch darüber aufregen, daß man John immer als den harten Mann und mich als den Softie dargestellt hat. Das ist Blödsinn, John war der sanfteste Mensch, den ich jemals getroffen habe. Alles andere war nur Fassade für die Öffentlichkeit.

ME/SOUNDS: Diese Charakterisierung macht ohnehin nicht viel Sinn, wenn man bedenkt, daß du es warst, der die „umstrittenen“ Songs der Bealles geschrieben hast – „Heiter Skelter“, „I’m Down“ und „Why Don’t We Do It In The Road“. Und vor einiger Zeit wurde sogar einer deiner Songs aus der MTV-Playlist genommen, weil das Wort „Fuck“ zu oft darin vorkam. Meinst du, die Leute kennen den wahren Paul McCartney?

McCARTNEY: Nein, und sie sollen ihn auch gar nicht kennen. Ich finde, man sollte immer etwas zurückhalten. Dieses Madonna-Buch zum Beispiel – ich habe es nicht gesehen, aber angeblich hält sie darin ja mit gar nichts hinter dem Berg. Was soll das, warum kann man nicht wenigstens ein Kleidungsstück anbehalten? Das ist doch sowieso viel aufregender.

Ich glaube nicht daran, daß man dem Publikum alles von sich mitteilen muß. John war da ganz anders, und das hat ihm auch eine Men- ¿

ge Ärger eingebracht. Wenn er sich besaufen wollte, dann tat er das in einem Hollywood-Club. Mich zieht es in einem solchen Fall eher an ruhigere Orte, mit ein paar Freunden oder Verwandten. Ich habe keine Lust, betrunken in der Öffentlichkeit herumzugröhlen und von der Kellnerin auf die Frage, ob sie wisse, wer ich sei, gesagt zu bekommen: ,Klar, du bist der Idiot mit dem Tampon auf dem Kopf, so wie das John passiert ist, als er einmal im Suff mit gewissen Utensilien herumgespielt hatte, die uns Männer in der Regel nichts angehen.

Vielleicht habe ich deshalb auch keine Autobiografie geschrieben. Über andere herzuziehen, ist nichts für mich. In der Beziehung hänge ich noch den alten Idealen aus den Sechzigern nach: Ich glaube, es fällt alles irgendwann auf dich zurück. Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Im negativen Sinn habe ich das bei vielen Leuten erlebt, auch bei mir selbst. Wenn ich schlecht gelaunt bin, dauert es höchstens einen Tag, bis der Haussegen total schief hängt.

ME/SOUNDS: Um noch einmal auf die alten Beatles-Songs zurückzukommen: Ist es nicht manchmal frustrierend, daß deine spätere Arbeil immer im Schatten dieser Klassiker steht?

McCARTNEY: Wenn du es so sehen willst… aber warum sagst du nicht, daß ich mich glücklich schätzen kann, Material zu haben, das so gut ist, daß es alles andere in den Schatten stellt? So sehe ich das nämlich. Ich bin stolz, bei den Beatles dabeigewesen zu sein, und ich bin stolz, daß manche dieser Songs in dem Teil des Publikums, der damals schon dabei war, immer noch etwas auslöst. Und es freut mich, daß die nachfolgende Generation auf Stücke wie „Sergeant Pepper“ und „Paperback Writer“ so reagiert, als wären sie ganz neu.

Sicher, heute erzeugen wir nicht mehr die Hysterie, die damals bei Konzerten der Beatles herrschte, aber dafür kommen mittlerweile viel mehr Leute. Als ich das erste Mal mit den Beatles in Neuseeland war, spielten wir in einem Gemeindesaal – dieses Jahr war es ein Open-Air-Gig vor 60.000 Zuhörern!

Natürlich gibt es Beatles-Songs, die den Leuten mehr bedeuten als andere. „Yesterday“ hat zum Beispiel gerade einen Preis bekommen, es wurde in den USA insgesamt sechs Millionen mal im Radio gespielt, soviel wie noch kein anderer Song zuvor. Das Merkwürdige daran ist, daß ich das Stück geträumt habe. Ich wachte auf und hatte diese Melodie im Kopf, und ich weiß noch, daß ich den Rest der Band zum Wahnsinn trieb, weil ich mich nicht erinnern konnte, ob ich den Song nicht möglicherweise einfach irgendwo mal gehört hatte. Ich lief rum und fragte jeden: .Kennt ihr diesen Song?‘ Niemand kannte ihn, und allmählich wurde mir klar, daß er tatsächlich aus einem Traum stammte.

Ursprünglich sollte er „Scrambled Egg“ heißen. Die erste Zeile lautete: ,Scrambled eggs, oh my baby how 1 love your legs.‘ Aber die Melodie war irgendwie zu schön dafür, und so wurde daraus „Yesterday“ – und das war wohl auch ganz gut so.

ME/SOUNDS: Träumst du öfters solche Sachen?

McCARTNEY: Keine Songs, nein. Aber ich habe einen Alptraum. Jeder Mensch hat einen, und in meinem Traum fängt das Publikum an, den Saal zu verlassen. Ich versuche, sie mit „Yesterday“ davon abzuhalten, aber mir fällt der Text nicht mehr ein, und dann versuche ich es mit „Long Tall Sally“, und sie rennen mir endgültig weg.

ME/SOUNDS: Ist es ein Problem för dich, daß die Rechte für „Yesterday“ und den anderen Beatles-Songs bei Michael Jackson liegen und daß du seine Erlaubnis einholen mußt, um deine eigenen Stücke spielen zu können?

McCARTNEY: Im Prinzip nicht, nur wurde ich gerne einen neuen Vertrag haben. Den jetzigen Vertrag habe ich unterschrieben, als ich 20 Jahre alt war, er stammt also noch aus der Zeit in Liverpool. Wie gesagt. „Yesterday“ ist sechs Millionen mal im Radio gespielt worden, und ich finde, es wäre an der Zeit, einen Vertrag auszuhandeln, in dem diese Erfolge berücksichtigt sind. Im Moment bekomme ich für den Song 15 Prozent, obwohl ich ihn ganz alleine geschrieben habe – es ist nicht einmal eine Lennon/McCartney-Komposition, aber das ist egal, weil ich es John immer gegönnt habe.

Wenn ich den Song spiele, verdient Michael also mehr daran als ich. Ich habe ihm zu dieser Sache auch schon geschrieben, insgesamt dreimal, aber er hat nie geantwortet. Nach 30 Jahren bei (dem Beatles-Verlag) Northern Songs bin ich nicht bereit, mich so einfach ignorieren zu lassen. Nach 30 Jahren sollte eine kleine Gehaltserhöhung doch drin sein.

Außerdem würde ich gern mit ihm über die Tatsache sprechen, daß diese Songs jetzt für Werbezwecke verwendet werden. Die Beatles haben das nie zugelassen, und ich denke, es sollte auch jetzt nicht erlaubt werden. Ich habe eine Menge Briefe von Fans bekommen, die sich darüber beschweren, daß heute mit „Revolution“ Werbung für Sportschuhe gemacht wird, und ich kann ihnen nur zustimmen. Das hatten wir damals ganz bestimmt nicht im Sinn, als wir den Song schrieben!

ME/SOUNDS: Derzeit werden ja fast jeden Tag neue Vertragsrekorde gebrochen: Madonna unterschreibt für 50 Millionen Dollar bei Warner, die Stones för 40 Millionen bei Virgin, Michael Jackson für vermutlich 50 Millionen bei Epic… Wieviel Geld hat dir denn die Vertragsverlängerung bei Capitol eingebracht?

McCARTNEY: Das ist doch alles Showbiz, dieses „Mein Vertrag ist mehr wert als dein Vertrag“. Wahrscheinlich bekomme ich von Capitol mehr Geld als die Leute, die du gerade genannt hast, aber wir hängen das eben nicht an die große Glocke.

In den meisten Fällen sind diese Summen sowieso erfolgsabhängig: Wenn sie Millionen von Platten verkaufen, alle Tourneen ausverkauft sind und das Merchandising stimmt, dann verdienen sie tatsächlich ein Schweinegeld, aber laß nur einen Flop dabeisein, und die ganze Sache platzt wie eine Seifenblase.

Auf so etwas lasse ich mich nicht ein. Ich plane nicht so weit in die Zukunft, schließlich kann es ja sein, daß ich in zwei Jahren etwas ganz anderes machen will.

ME/SOUNDS: Was wirst du denn in zwei Jahren voraussichtlich machen?

McCARTNEY: Keine Ahnung, ich halte mchts von langfristiger Planung. Im Moment konzentriere ich mich auf diese Tour, und dann will ich natürlich auch im klassischen Bereich weitermachen – ich habe gerade einige Klavierstücke geschrieben.

Außerdem wird es demnächst eine große Fernsehserie über die Beatles geben. Nach all den Büchern, die zum größten Teil von Leuten geschrieben wurden, die ich noch nie im Leben zu Gesicht bekommen habe, ist es jetzt an der Zeit, mal ein paar Sachen klarzustellen. Wenn der Neffe der Cousine der Frau des Typen, der unseren Milchmann gekannt hat, seine Erinnerungen zu Papier bringen kann, dann ist es vielleicht nicht so abwegig, die Beatles-Story mal aus unserer Sicht darzustellen. George ist schon so richtig heiß drauf. Er schließt sogar Wetten darauf ab. daß die Serie am Ende noch länger laufen wird als die Fernsehserie über den amerikanischen Bürgerkrieg. Warten wir’s ab.

Jedenfalls werden wir uns zusammensetzen und unser privates Filmmaterial sichten und daraus eine zehnteilige Serie zusammenstellen. Und wir wollen auch Musik dafür schreiben, besonders zu der Episode, in der es um John geht. Als ich das ankündigte, hieß es in der Presse sofort DIE BEATLES KOMMEN WIEDER ZUSAMMEN!, aber das stimmt natürlich nicht. Wir machen nur ein bißchen Musik für diese Serie, und wenn sonst nichts daraus wird, dann haben wir jedenfalls unseren Spaß gehabt.

ME/SOUNDS: Aber erstmal mußt du diese Tour zuende bringen.

McCARTNEY: Ja, klar. Ich werde standig gefragt, ob es denn schicklich sei, in meinem reifen Alter noch als Rock ’n‘ Roller durch die Weltgeschichte zu ziehen. Aber ich denke schon – die Leute kommen, und es gefällt ihnen immer noch. Und wenn ich dann all diese lächelnden Gesichter vor mir sehe, dann hat es sich auf jeden Fall gelohnt.