Irak-Tagebuch, Kapitel 7: Fertig, Los! berichten von ihrem Auftritt in Erbil


Fertig, Los! unterwegs in Kurdistan: In Erbil im Norden Iraks hat die Band einen Auftritt absolviert. Für Musikexpress schreiben Fertig, Los! ein Tagebuch.

Fertig, Los! auf Reisen: Die Band trat am 29. September im Nord-Irak/ Kurdistan beim „deutsch-kurdischen Kulturfestival“ in Erbil auf, gemeinsam mit Bands des Landes.

Für uns schreiben Fertig, Los! ein Tagebuch. Philipp Leu schreibt diesmal über einen weiteren Auftritt – sowie ein flammendes Inferno und Cruising-Areas.

Knotenpunkte:

Der Wecker klingelt um drei Uhr morgens. Um einen geilen Winnetou-Sonnenaufgang zu erleben, haben wir uns entschieden unsere Reise nach Suleimania besonders früh anzutreten. Gestern klang das nach einem tollen Plan. Heute nach reiner Folter. Ich schleppe mich in den Bus. Es geht über Serpentinen und Landstraßen mitten durch die kurdische Steppe. Als die Sonne sich über den Kuppen eines Gebirgsmassivs ankündigt, halten wir an und laufen ein paar Schritte ins Morgengrauen. Falls die USA einmal die Marslandung faken müssten: Das wäre der Ort. Ich stehe in einem Häufchen leerer Patronen. Ich klopfe den Staub aus einer Hülse und stecke sie in die Hosentasche. Unser Frühstück nehmen wir in Korre ein. Die Spezialität ist eine Art fettiges Fladenbrot, das genauso heißt wie der Ort. Der Ofen ist eine Art Drehscheibe, die den Teig in ein flammendes Inferno und zurück schickt. Direkt daneben stehen ein Fass Diesel und Sitzbänke. Der Tankstellengeruch und der Korregeschmack verschmelzen zu einem synästhetischen Erlebnis.

Fünf Stunden später kommen wir in Suleimania an. Die Vorgeschichte: Wir dachten uns: Wenn wir schon nach Kurdistan fliegen: Dann sollten wir doch mehr als ein Konzert spielen. Jemand aus Deutschland sagte also wir sollen uns an wen aus Erbil wenden, der jemanden in Suleimania kennt, der wiederum wen kennt, der das organisieren könnte. Jetzt sitzen wir im Büro des Direktors des Kultusministeriums (oder so) und nippen am Tee. Überall hängen Bilder von einem Mann mit Geige. Ein Freund des Direktors, der Saddams Völkermord zum Opfer gefallen ist. Jeder in Kurdistan hat mindestens eine Tragödie hinter sich. Der Direktor wird kurz traurig, überspielt es aber mit einem Lächeln.

Ein Mitarbeiter tritt ein und präsentiert uns die Veranstaltungsplakate. Wir sind in vielerlei Hinsicht baff. Erstmal, weil wir erst vor zwei Tagen definitiv zugesagt haben und dermaßen schnell Plakate gedruckt wurden, und zum anderen, weil ein alter Bekannter – unser früherer Gitarrist Raphi – auf dem Plakat ist. Sie konnten es ja nicht wissen. So erlangt Raphi dank der Google-Bildersuche noch späten Ruhm in Suleimania. Der Direktor bittet uns noch kurz, auf die Werbepause im Fernsehen zu warten. Seit zwei Tagen läuft Fernsehwerbung für unser Konzert. Der Werbeclip ist zusammengeschnitten aus unseren YouTube Clips, kurdische Schriftzeichen drüber, fertig! Wir sind erstaunt wie schnell hier alles organisiert wurde.

Die Bühne befindet sich im Azadi Park. Dem einzigen Ort im Irak, an dem unverheiratete Männer und Frauen sich öffentlich alleine treffen und küssen können. Eine Art islamische Cruising-Area.

Die Bühnentechnik ist aus den frühen Siebzigern und seitdem nicht gewartet worden. Olli, unser Mischer, ist am Verzweifeln. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber am Ende funktioniert alles. Der Direktor bittet ihn, noch ein halbes Jahr hierzubleiben und seine Leute zu schulen.

Das Amphitheater im Azadi Park füllt sich mit Männern. Uns wird gesagt, wenn man als Frau nach 18 Uhr allein auf die Straße geht, hat man den Ruf als Schlampe weg. An die 500 Kerle warten auf ihr vermutlich erstes Indierock-Konzert. Der Kontrast zu Erbil fällt sofort ins Auge. Alle sprechen Englisch. Nachdem das Publikum die ersten zwei Lieder auf „hard to get“ macht und noch etwas schüchtern auf den Steinstufen sitzt, traut es sich immer mehr nach vorne, bis es schließlich einen engen Halbkreis um uns gebildet hat und teilweise im Schneidersitz auf der Bühne Platz nimmt. Ich bringe ihnen ein paar deutsche Wörter bei und wir grölen zusammen in die Nacht, aber am liebsten schreit die gamsige Männerschar wiedermal: „Julia, Julia, Julia!“.

Ahmed, unser Busfahrer, geleitet Julia nach dem Konzert direkt zum Bus. „I security you!“ Ein junger Kerl sagt mir, wir hätten mal im Fernsehen nicht ankündigen sollen, dass wir Rap-Musik machen, weil das hört hier keiner. Suleimania ist ’ne Rockerstadt. Gut zu wissen.

Der Direktor überreicht uns als Gastgeschenk einen Stapel handgeknüpfte Teppiche. Sie zeigen zwei blutige Leichen vor einer Backsteinmauer und das Datum von Saddams Giftgasanschlag, den 16. März 1988.

Kapitel 1: We have Wifi
Kapitel 2: Asian Gokart Cup
Kapitel 3: Man Or Woman?
Kapitel 4: Der Rattenfänger von Erbil
Kapitel 5: Made in Germany
Kapitel 6: The Mystery Of The Taschentuch