Jam – Hart wie Konfitüre


Über die Musik der Jam gibt es vermutlich weniger Auseinandersetzungen als um das Problem, wie der Gruppenname zu übersetzen ist. Jam (engl.) ruft nämlich nicht nur Erinnerungen an Bad Schwartau wach, sondern heißt auch Verwicklung, Durcheinander.

Gäbe es wirklich zwei verfeindete Lager unter den Musikhörern, gäbe es wirklich eine Partei, die nur auf Westcoast, den 60er-Jahre-Biß der Pretty Things oder den Rock’n’Roll-Traum eines Bob Seger steht, und eine andere, ihr gegenüberstehende, die die Clash nur bis zur Vertragsunterzeichnung bei CBS, musikalisch nichts konventionelleres als die Contortions und politisch nichts rechts von Grass, akzeptierte, gäbe es wirklich eine Front zwischen diesen beiden erdachten Geschmacksrichtungen, so könnten die Jam wohl Vermittler werden. Denn seltsamerweise werden sie allseits respektiert.

Zumindest England feiert die Jam überschwenglich, andernorts sind sie wenig oder gar nicht bekannt. Die englische Musikpresse überschlägt sich jedenfalls regelmäßig mit Lobeshymnen, wenn die Jam nur wieder mal eine Single auskoppeln. Und auch beim Publikum sind die Jam die Helden der Stunde: im Poll des New Musical Express gewannen sie sowohl ’79 als auch ’80 sämtliche nur denkbare Kategorien.

Die Songs der Jam beziehen sich schließlich stark auf speziell englische Probleme. Kein Eisen, das sich im Schwelbrand des englischen Alltagslebens aufgeladen hat, ist Songschreiber Paul Weller zu heiß, als daß er es nicht in seinen Songs zu kleinen, aber gewichtigen Juwelen schmieden könnte. Seine beißende Sozialkritik wird oft mit der von Ray Davies verglichen, doch ist sie psychologisch sensibler und weniger prostestierend, dabei mindestens genauso lyrisch. Die Musik beweist darüberhinaus, daß kein Song länger als vier Minuten sein muß, um alles zu sagen, was zu sagen ist. Kurz: Paul Weller beherrscht die Disziplin des Songwriting im Stil der Kinks, der Who, der Small Faces aus dem Effeff.

Was aber gleichzeitig (s)ein Problem ist. Denn erstens sind alle oben Genannten nur Briten, und zweitens hatten sie allesamt ihre beste Zeit in den 60ern (Ray Davies bildet da die große und wichtige Ausnahme). Daher wird den Jam andererseits genauso oft vorgeworfen, sie würden lediglich die Helden aus den 60ern kopieren und seien darüberhinaus sowieso nur im Vereinigten Königreich zu verstehen und zu genießen.

Sehen sich die Jam denn selbst als eine spezifisch britische Band? „Im gewissen Sinn schon“, räumt Drummer Rick Buckler ein. „Wir sind alle in England aufgewachsen und haben daher selbst die Optik der Betroffenen, wenn es in den Songs um Probleme geht. Und wir haben diese starken englischen Einflüsse aus unserer Jugend: die Kinks, die Who, die Beatles, die Stones und all die starken Gruppen aus den 60ern. Andererseits kann jeder, der ein gewisses Maß an Verständnisbereitschaft mitbringt, auf die Jam und ihre Musik einsteigen.“

Für den Fall, einer der jetzigen Musiker würde die Band verlassen, könnte dementsprechend ein anderer beliebiger Herkunft seinen Posten einnehmen? „Das sicher nicht,“ schränkt Bassist Bruce Foxton ein. „Wir sind doch eine Band aus einem Guß! Und besonders bei nur drei Leuten muß so ziemlich alles stimmen, wenn man miteinander zurande kommen will. Das eben Gesagte war mehr aus der Sicht des Publikums gemeint. Ein Japaner, ein Franzose, ein Amerikaner, jeder, der will, kann die Musik der Jam verstehen und jedem kann sie gleich viel Spaß geben.“ Bisher waren die Jam im Ausland aber nicht besonders erfolgreich. „Wir haben ja auch noch nicht so viel im Ausland gearbeitet. Eine unserer Touren in den USA war allerdings ziemlich katastrophal,“ räumt Rick ein. „Wir mußten als Vorgruppe von Blue Öyster Cult spielen unpassender ging’s wohl nicht!“ Was wäre denn z.B. passender gewesen? „Wir mögen lieber, wenn “ _ man sich den Erfolg selbst erarbeitet und nicht im Zusammenhang mit irgendwem nach oben gespült wird. Deshalb treten wir hier in Deutschland, wo wir noch wenig bekannt sind, auch wieder in kleineren und mittleren Clubs auf, obwohl wir in England nur noch in den größten

verfügbaren Hallen und bei Open Airs spielen.“

Also Superstar-Rummel? »Wir leben nicht als Superstars. Erfolge freuen uns zwar, beeinflussen uns aber nicht. Weder kommerzieller Erfolg noch ideeller wie z.B. die Poll-Ergebnisse. Wir werten das alles nur als Zeichen, daß wir eine große und begeisterte Fan-Gemeinde haben. Aber auch ohne das alles würden wir dieselbe Musik machen. Privat hat sich dementsprechend wenig für uns verändert. Wir wohnen nach wie vor in unseren Londoner Appartments und gehen abends in die Kneipe an der Ecke. Wir wollen alle auf dem Boden bleiben.“

Wie stehen aber nun die Jam selbst zu dem Vorwurf, lediglich eine 60er-Jahr-Nostalgie heraufzubeschwören, bzw. eine bloße Kopie der Who zu sein? „Wir kopieren nicht und haben noch nie kopiert!“ entrüstet sich Rick. Jeder Musiker ist irgendwann mal von irgendwem beeinflußt worden. Deswegen braucht sich keiner zu schämen. Aber Pauls Texte sich doch das beste Gegenbeispiel – die wären in den 60ern undenkbar gewesen. Als wir uns ’76 endgültig zusammengerauft haben, wollten wir wie die meisten Bands damals etwas eigenes und etwas neues machen. Und ich glaube, das ist uns bis heute gelungen.“

Sicher, auf Platte klingen die Jam sehr eigenständig; vor allem, wenn man sich den Luxus des Mitdenkens erlaubt. Im Konzert sieht das etwas anders aus. Da steht ein Trio auf der Bühne, das kraftvoll und direkt Musik machen kann, das unprätentiös und doch perfekt spielt, konzentriert und phantasievoll koordiniert. Was den Schwung und den Biß angeht, würden die Jam jedes anderes Trio, sogar die mit allen Wassern gewaschenen Police, glatt an die Wand spielen. Aber muß denn Paul Weller wirklich die spätestens seit Jimi Hendrix völlig aus der Mode gekommene Rickenbacker-Gitarre spielen, die einst Pete Townshend und John Lennon berühmt gemacht hat? Ist es wirklich Zufall, wenn Rick Buckler an entsprechender Stelle exakt die Rolls von Keith Moon aus der „Underture“ nachspielt, wenn im Song „Start!“ nicht nur die Baßlinie haarklein der von George Harrisons „Taxman“ entspricht? Und es war wirklich nur Koketterie, als die Jam auf dem ersten Höhepunkt ihres Erfolges ausgerechnet den Holland-Dozier-Holland-Hit „Heatwave“ auf ihr Album SETTING SONS nahmen – einen der wenigen Songs, den die Who jemals gecovert haben?

Aber vielleicht ist das alles eben auch wieder ein typischer Fall von englischem Humor, den wir hier auf dem Kontinent höchstens bewundern können, aber nur mit sehr viel Mühe begreifen …