John durchs Schlüsselloch


Fan-Kult und Voyeurismus liegen nah beieinander. Vieles, was zur Zeit über Lennon veröffentlicht wird, macht sich sicherlich die Schlüsselloch-Perspektive zunutze. Dennoch: Bei einer Ausnahmeerscheinung wie ihm wird wohl kaum jemand seine Neugier leugnen können. ME/Sounds stellt daher in zwei Folgen Auszüge eines Buches vor, das Lennons Assistentin und Geliebte May Pang in den USA veröffentlichte.

Yoko spielt Schicksal

„May, ich muß mit dir reden“, sagte Yoko. Barfuß, in einem bodenlangen Morgenmantel, die schwarzen Haare lose um ihr Gesicht hängend, sah sie an diesem Morgen wie ein unglückliches Kind aus.

Ich wußte sofort, daß sie Sorgen. hatte Sie zündete eine Zigarette an, setzte sich hin und blickte zu mir herüber. Ich griff automatisch zu meinem Steno-Block, bereit für die tägliche Arbeit. „Hör mal, May“, platzte sie schließlich heraus, „John und ich kommen nicht mehr miteinander aus. Wir streiten uns. Wir driften auseinander“

Ich ließ meinen Block sinken und starrte sie an. Ich war überrascht, daß Yoko sich mir anvertraute. Sicher, es gab zu dieser Zeit schon Gerüchte, daß sich John und Yoko der Masters & Johnsons-Therapie unterziehen wollten, weil es zwischen ihnen sexuell nicht klappte. In den zwei Wochen vor diesem Gespräch hatte ich auch bemerkt, daß sie sich selten im selben Raum aufhielten – und wenn, dann ohne miteinander zu sprechen.

„John wird bestimmt in Kürze mit anderen Leuten ausgehen wollen“, fuhr Yoko fort. „Wer weiß, wer das sein wird“, fügte sie achselzuckend hinzu und lächelte mich an. „May, ich weiß, daß er dich sehr gern hat. “ Ich konnte gar nicht glauben, was ich da hörte. Wovon sprach Yoko?

„May, das ist okay. Ich weiß, daß er dich mag. Wenn er dich also fragt, ob du mit ihm ausgehen willst, dann tu es. “ Yoko sah mich fest an. „Ich finde wirklich du solltest das tun“, bekräftigte sie.

Ich wußte zu diesem Zeitpunkt schon, daß Yokos Vorschläge meistens Befehle waren; dieser „Vorschlag“ aber war glattweg absurd. „Ich kann nicht mit John ausgehen“, stammelte ich.

“ Warum nicht?“

„Er ist verheiratet und außerdem mein Arbeitgeber.“

„Aber es ist in Ordnung, May, es ist in Ordnung – du kannst es ruhig tun.“

„Aber ich möchte nicht mit ihm ausgehen und John will das bestimmt auch nicht. Wie kommst du nur auf eine so absurde Idee?“

Yoko schwieg. Dann versuchte sie es auf einem anderen Weg: „May, wie alt bis du?“ „Zweiundzwanzig.“

„Du arbeitest hart. Du hast kaum Freizeit. Du hast keinen Freund. Richtig?“ „Ja. „

„Hättest du denn gerne einen?“- „Sicher.“

„Aber du hast offensichtlich keine Zeit, einen zu finden. Wäre es da nicht der einfachere Weg für dich, wenn du mit John ausgingst?“

In meinem Kopf drehte sich alles, aber Yoko ließ nicht locker. „Sieh mal, die Sache wäre doch wirklich ganz angenehm für dich – oder magst du ihn etwa nicht?“- „Doch, natürlich!“

Sie bemerkte genau, wie nervös ich wurde, hörte aber dennoch nicht auf, mich zu bedrängen. „Ich weiß, daß John demnächst die Gesellschaft anderer Leute suchen wird. In diesem Fall wäre es mir lieber, wenn er mit jemandem., ausgeht, der ihm nichts Böses will. Meinst du nicht auch?“ – „Doch „

„Du fändest es also auch besser, wenn man ihm nicht wehtut?“

Ich antwortete nicht:

Ablehnung im Aufzug

Auch am nächsten Morgen hatte sich an Yokos Plänen nichts geändert. Punkt zehn kam sie in mein Büro. „Ich glaube, heute ist ein guter Tag für unser Vorhaben. Du wirst heute abend John ins Studio begleiten. „Sie lächelte süß. „Du brauchst keine Angst zu haben.“

John wartete an der Haustür, als ich mein Büro verließ. Wir gingen aus der Wohnung und drückten nach dem Aufzug. Keiner sagte ein Wort. Kaum hatten sich die Türen des Aufzuges geschlossen, drehte sich John um, packte mich und zog mich heran. Er nahm mein Gesicht in seine Hände, drückte seinen Mund auf meinen und begann mich zu küssen. „Das wollte ich schon den ganzen verdammten Tag lang tun“, sagte er. Ich stieß ihn fort. Als er begriff, daß ich außer mir war, schien er bestürzt. Wortlos verließen wir den Aufzug und stiegen in die wartende Limousine. Es herrschte bedrückende Stille im Waqen.

Halb zog er sie, halb sank sie hin

Langsam zog mich John an sich und begann mich zärtlich zu küssen. Mir war unbehaglich zumute – ich war doch nicht die Richtige für einen Mann wie ihn. Sicher würde er enttäuscht sein. „Entspann dich“, flüsterte er. Im tiefsten Innersten wollte ich schon, daß er mich liebt – und schließlich siegte die Leidenschaft über. Schuldgefühl und Unbehagen. Er legte die Arme um mich und dirigierte mich zum Bett. Er begann mich auszuziehen. Vor lauter Ungeduld wurde er so hastig, daß ich mich verkrampfte. Er merkte es und versuchte sich zu beherrschen aber es ging nicht. Wir waren wohl beide viel zu nervös.

Nachher lagen wir einige Minuten still nebeneinander. John rauchte. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich lag neben einem Mann – und dieser Mann war John Lennon und verheiratet mit Yoko Ono und ich war ihre Angestellte. Ich fing an zu heulen. „Bitte geh jetzt“, schluchzte ich, „bitte geh jetzt.“

In der nächsten Nacht liebten wir uns, kaum daß wir die Wohnungstür geschlossen hatten. Diesmal ließen wir uns auch Zeit. John küßte meine Finger, nahm meine Füße – und trieb mich zur äußersten Erregung. Niemals zuvor hatte sich ein Mann so um mich bemüht.

In dieser Nacht wurde mir allerdings auch klar, wie sehr ich meinerseits ihn erregen konnte. Wenn ich seine Beine berührte, seufzte er. Berührte ich andere Körperteile, stöhnte er auf; sein Stöhnen wiederum ermutigte mich, mehr zu wagen. Hinterher sagte er: „Wir sind füreinander geschaffen, geradezu perfekt.“

Yoko, die Furie

Roy Cicala, der Manager des Record Plant-Studios und Toningenieur von IMAGINE, bat Yoko in eine kleine Schlagzeug-Kabine zu gehen, damit man ihren Gesang aufnehmen könne. John blieb mit Roy und seinem Assistenten im Kontrollraum. Dennis Ferrante, ein 21jähnger Bursche, der im Studio als „Mädchen für alles“ arbeitete, stand hinter Roy und sah, wie Yoko zusehends wütender wurde. Die Kopfhörer wollten einfach nicht halten. Jedesmal, wenn Yoko sie aufsetzen wollte, rutschten sie herunter.

Dennis verließ den Kontrollraum und ging zu ihr: „Kann ich dir helfen?“, fragte er freundlich Sie starrte ihn an. „Die Kopfhörer sind kaputt.“

Dennis begriff sofort, daß sie nicht viel Studioerfahrung besaß, denn der erste Handgriff jedes Musikers bestand darin, die Kopfhörer seinem Kopfumfang anzupassen. Dennis nahm Yokos Kopfhörer, justierte die Haltebügel und gab sie ihr zurück: Jetzt sind sie wieder okay.“ Yoko nahm sie wortlos, stülpte sie über und sie paßten wie angegossen, „Alles klar?“ fragte Dennis Yoko starrte ihn an. Sie war immer noch wütend, sagte aber nichts. „Ist alles okay?“ vergewisserte sich Dennis noch ein mal. Yoko blieb still. “ Wenn du ein Problem hast, dann ruf mich ich tue alles, um dir zu helfen.“

Dennis war im Begriff, den Aufnahmeraum zu verlassen, als sich plötzlich ein Sturzbach von Schimpfwörtern über ihn ergoß. Die Wörter platzten so schnell aus Yoko heraus, daß er nichts verstand – bis auf die zwei letzten. „Fuck you.

Dennis drehte sich um. „Fuck you, too,“ antwortete er automatisch. Schweigen. Dann dämmerte es ihm, was er gerade getan hatte. Er hatte Yoko Ono, John Lennons Frau, an den Kopf gesagt, sie solle sich mal…

Verstört verließ er den Tatort, überzeugt davon, daß man ihn auf der Stelle feuern würde. Roy und John starrten ihn an. Vor Angst schlotternd ging er langsam auf den Kontrollraum zu.

„Weißt du, was du da gerade getan hast?“, fragte ihn Roy. „Es tut mir leid“, sagte Dennis, „ich wollte nur freundlich sein.“

Den Tränen nahe, sah er John an. „Verzeih‘ mir bitte“, sagte er, „ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich wollte sie nicht beleidigen. „

„Du weißt, was das bedeutet“, mischte sich Roy ein. Plötzlich sprang John nach vorne, direkt auf Dennis zu. Für einen Sekundenbruchteil sah es so aus, als wolle er auf ihn einschlagen. Statt dessen streckte er ihm seine Hand hin. „Dennis“, sagte er, „ich mag dich. Ich möchte, daß du mit uns arbeitest „

Beine für den Frieden

Yoko stellte mir die Aufgabe, 365 Leute zu finden, die bereit waren, ihre Beine filmen zu lassen. „Hier ist unser Adreßbuch“, sagte sie, „ruf jeden an, der drinsteht. Sag: John und Yoko möchten ihre Beine für den Frieden filmen.“

Sie sah mich prüfend an, um sicherzugehen, daß ich verstanden hatte. „Gebrauche unsere Namen“, wiederholte sie, „und betone, daß es für den Frieden geschieht.“ Ich nickte zustimmend. “ Vergiß das mit dem Frieden nicht“, sagte John noch einmal. Ich wunderte mich zwar immer noch, was das Filmen von Beinen mit Frieden zu tun hat, aber ich fragte nicht weiter. Keiner fragte

Fremdgänger

„Ist das nicht eine tolle Wohnung?“ fragte Yoko. „Ich habe sie sogar selbst ausfindig gemacht. „Ja, es ist wirklich wunderbar hier“, antwortete ich, „ihr werdet hier glücklich sein.“

Yoko starrte aus dem Fenster, als wolle sie mit dem Central Park reden. „Unser Leben ist verpfuscht“, flüsterte sie und zündete eine Zigarette an „Vor ein paar Tagen waren John und ich auf einer Party. Er hat sich sinnlos betrunken. Er war richtig besoffen. Irgendwann im Laufe des Abends hat er im Schlafzimmer eines der Mädchen gevögelt, während ich im Nebenraum saß. Alle haben’s gewußt.“

Paranoia im Planquadrat

Nachdem die Aufnahmen zu IMAGINE abgeschlossen waren, blieben John und Yoko in New York. Sie standen irgendwann zwischen zehn und sechzehn Uhr auf. Dann klingelten sie nach ihrer „Medizin“, kleinen weißen Pillen, die sie mit Orangensaft herunterspülten. Als ich einmal danach fragte, sagte mir John, es sei Methadon.

John, normalerweise voller Energie, wurde immer dann lethargisch, wenn er kein Projekt hatte, dem er seine Aufmerksamkeit schenken konnte. Yoko hingegen war eine verbissene Arbeiterin. Immerzu entwickelte sie neue Ideen, neue eigene Projekte. Wenn John untätig herumsaß, besaß er allerdings eine äußerst rege Phantasie. Seine Gedanken liefen Amok, seine Nervosität und Paranoia traten zutage. Besonders in diesen Momenten brauchte er Yoko.

Sie war und ist ein menschliches Extrem, noch intensiver als John. Jede Idee, jede Bemerkung von seiner Seite übersteigerte sie ins Absurde. Wenn sich John z. B. über einen seiner Beatles-Kollegen beklagte, legte sie es ihm in den Mund, daß genau dieser Beatle schon immer sein Feind gewesen sei. Und daß er sich endgültig von dieser Person distanzieren solle.

Ihre extremen Meinungen faszinierten John und machten es ihm leichter, sich von seinen eigenen Gedanken abzulenken. Wenn allerdings Yoko selbst paranoid wurde – ihre Befürchtungen betrafen gewöhnlich ihre Karriere, ihren Ruhm und die Tatsache, daß jeder gegen sie zu intrigieren schien -, hatte John niemanden mehr, an den er sich wenden konnte. Seine Unsicherheit bezüglich seiner Solo-Karriere, der Kindheit, der Beziehung zu den anderen Beatles, der Art und Weise, wie die Öffentlichkeit Yoko einschätzte, machte ihm schwer zu schaffen. Er griff immer häufiger zu Drogen.

Bald waren sie beide Gefangene ihrer eigenen, sich potenzierenden Paranoia. Alle Welt war gegen sie, niemandem konnte man vertrauen. Sie waren beide so verstört, daß sie beim Hinausgehen sofort zurück in ihr Zimmer flüchteten, wenn ein Fremder auf dem Gang zu sehen war.

Was weiter passiert: John Lennon und May Pang fliehen nach Los Angeles, John besäuft sich und läuft Amok, die Aufnahmesessions mit Phil Spector enden im Chaos, das, andere Episoden – jawohl – pikantes Bettgeflüster im nächsten ME/Sounds.