Kritik

„Joker“ mit Joaquin Phoenix im Kino: Eine unerhörte Monstrosität


Once Upon a Time in… Gotham: Joaquin Phoenix tanzt auf den Trümmern Amerikas.

Todd Phillips war 23 Jahre alt, als er seinen ersten Film drehte. „Hated“ ist eine Doku über G.G. Allin, einen amerikanischer Punksänger, der so berüchtigt war für seine unberechenbaren Ausbrüche, dass man ihn als gefährlich erachtete: Allin sang krude Songs über Sex und Gewalt, kackte auf die Bühne, schmierte sich seine Scheiße auf die Brust, würgte Zuschauer und machte dabei keinen Unterschied, ob es sich um Frauen oder Männer handelte. In einer Szene des Films sieht man ihn auf einer Party nach einer Show, wie er sich ins Gesicht urinieren lässt. Phillips’ Film ist das Porträt eines Wracks, und man sieht zu, wie man bei einem Autounfall zusieht, fasziniert von der nächsten Grenzüberschreitung, von der Bereitschaft alle gesellschaftlichen Normen hinter sich zu lassen.

Was uns ganz direkt zu „Joker“ bringt, ein amerikanischer Held nach dem Geschmack von Todd Phillips, der danach Karriere machte mit Komödien wie „Old School“ und natürlich der „Hangover“-Reihe – alles für sich Filme über männliche Aggression im Dampfkessel. Fernab der D.C.-Comic-Vorlagen, in denen der Joker der ikonischste, weil schillerndste und unberechenbarste aller Batman-Gegenspieler ist, sieht der Regisseur in diesem traurigen und eigenartig berauschenden Film zu, wie aus einer lächerlichen Gestalt namens Arthur Fleck – buchstäblich ein Fleck auf dem Gewissen eines sauberen Amerika – der größte aller Tabubrecher, der schamloseste aller Mörder wird, während ihm ein Mob auf den Straßen von Gotham bejubelt, wie er Öl in das Feuer gießt, das die Stadt brennen lässt.

Gespielt in einer bizarren Performance außerhalb jeder Menschlichkeit von Joaquin Phoenix, ist der künftige Joker hier ein Muttersöhnchen, ein geprügelter Hund, eine geschundene Kreatur, der Macht in Gewalt entdeckt. Anders als Christopher Nolan, der den Joker in „The Dark Knight“ ambivalent anlegt, als ein ungreifbares Phantom, machen Phillips und Phoenix den Joker ganz klein und erbärmlich und piefig. Zu Größe kann er in seiner tristen Existenz nur erweckt werden, indem man ihn in einer Welt handeln lässt, die sich aus dem Kino speist, dem Kino der 70er-Jahre, wohlgemerkt.

„Joker“ bezieht sich nicht nur auf seine Vorbilder – Filme wie „Taxi Driver“, „Ein Mann sieht rot“, „Der Exorzist“ oder „Clockwork Orange“ – er verwebt sie regelrecht in seine DNA. So wird diese Höllenfahrt zum grotesken Zerrspiegel Amerikas. Eine unerhörte Monstrosität, die mehr Hier und Jetzt ist als jeder andere Film in diesem Jahr.

„Just smile“, sagt „Joker“. Dabei ist einem zum Heulen zumute.

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6/6 Sterne

„Joker“, von Todd Phillips, USA 2019, mit Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Kinostart: 10. Oktober 2019