Nachruf

Der Mann, der Rock’n’Roll war


Lemmy Kilmister, der Bassist und Sänger von Motörhead, ist vier Tage nach seinem 70. Geburtstag in Los Angeles gestorben.

Was für eine Ironie. Lemmy Kilmister wird 1975 als Bassist der Band Hawkwind gefeuert, nachdem er an der kanadisch-amerikanischen Grenze wegen illegalen Drogenbesitzes festgenommen wurde und fünf Tage im Gefängnis verbringen muss. Hawkwind, die archetypische Space-Rock-Psychedelia-Band, die Anfang der 70er-Jahre wie keine zweite für den Gebrauch illegaler Substanzen steht, wirft ihren Bassisten raus, weil er Drogen bei sich hat! Dass das weiße Pulver, das bei Lemmy gefunden wurde, kein Kokain war, sondern Amphetamin (Speed), dass er freigelassen werden musste, weil Amphetamin damals in Kanada noch nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fiel, änderte nichts an der Entscheidung der abgetakelten Space-Rocker (größter Hit: „Silver Machine“), ihren Bassisten zu feuern.

Kilmisters Rauswurf bei Hawkwind war ein Glücksfall für den Verlauf der Musikgeschichte. Lemmy gründete mit Gitarrist Larry Wallis und Schlagzeuger Lucas Fox kurz darauf die Band Bastard, die wenig später in Motörhead umbenannt wurde – der Titel des letzten Songs, den er für Hawkwind geschrieben hatte. In der „klassischen“ Besetzung mit Gitarrist „Fast“ Eddie Clarke und dem im November des Jahres verstorbenen Schlagzeuger Phil „Philthy Animal“ Taylor – kamen wenig später Alben wie OVERKILL (1979), BOMBER (1979) und ACE OF SPADES (1980) und der Erfolg.

[artistxite]

Das Mirakel, das Motörhead über vier Jahrzehnte in den unterschiedlichsten Inkarnationen mit der einzigen Konstante Lemmy Kilmister umgeben sollte, war in ihrer Uneindeutigkeit begründet. Motörhead wollten in keine Schublade passen, was nichts daran änderte, dass sie von den verschiedenen Szenen vereinnahmt wurden. Für die Metal-Gemeinde waren Motörhead die heiligen Urväter des Speed Metal, für die Punks klang ihre Musik mehr nach Punk als nach Hardrock. Lemmy selber bezeichnete seine Musik als „Rock’n’Roll“, fühlte sich aber den Punks mehr verbunden als den Metalfans, wie er einmal sagte. Zeitweise half er als Bassist bei The Damned aus. Diese Uneindeutigkeit führte dazu, dass bei den Konzerten von Motörhead vier Generationen von Musikhörern aufeinander trafen, von Headbangern bis zu Familienvätern, die sich für eineinhalb Stunden richtig wild fühlen wollten – bei ultralautem Hochgeschwindigkeitsrock, der durch Lemmys Bass, den er wie eine Rhythmusgitarre spielte, und seinen rauen Nicht-Gesang so unverwechselbar wurde. Das T-Shirt mit dem Bandlogo „War Pig“ und dem Schriftzug „Motörhead England“ wurde zu einer Fashion-Ikone des Pop.

https://www.youtube.com/watch?v=r9gaGt9CCXU

R.I.P: Die verstorbenen Persönlichkeiten 2015
Ian Fraser Kilmister wurde am Heiligen Abend 1945 in Stoke-on-Trent in England geboren als Sohn eines Feldkaplans der Royal Air Force und einer Bibliothekarin. Ende der 60er-Jahre ging Kilmister nach London, wo er sich mit Gelegenheitsjob durchschlug, unter anderem als Roadie für Jimi Hendrix. 1971 stieg er als Bassist bei Hawkwind ein. Durch seine Physiognomie mit den stechenden Augen, dem Schnurr- und Backenbart und zwei imposanten Warzen wurde er zu einer Ikone des Rock’n’Roll. Im Gegensatz zu Keith Richards, dem letzten lebenden Toten des Rock’n’Roll, der in späteren Jahren das Image des kaputten Typen nur noch pflegte, war Kilmister einer. Der jahrzehntelange Genuss von Jack Daniels Cola – den er zuletzt aus „gesundheitlichen Gründen“ durch Wodka Orange ersetzte –, zwei Schachteln Zigaretten am Tag und eine nicht
Lemmy Kilmister über den Sex mit 1000 Frauen
bekannte Menge an illegalen Substanzen hinterließen ihre Spuren. Im Jahr 2000 wurde bei Lemmy Diabetes diagnostiziert. 2013 bekam er wegen Herzproblemen einen Defibrillator implantiert, seither hatte er verstärkt mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, was zu mehreren Konzertabsagen führte. Bei seinen letzten öffentlichen Auftritten war er nur noch ein Schatten seiner selbst.

Lemmy Kilmister, der Mann, der Rock’n’Roll war, starb am 28. Dezember, vier Tage nach seinem 70. Geburtstag, in seiner Wahlheimat Los Angeles an einer aggressiven Form von Krebs, die erst zwei Tage vorher diagnostiziert worden war.