Lenny Kravitz


Der Schweiß tropft von der Decke. Kein Wunder. Denn hier, im ehemaligen Kölner Elektrizitätswerk, wird heute abend ausschließlich Starkstrom produziert. Die Rolle des Generators in der mit 2200 Besuchern restlos ausverkauften Halle kommt dabei dem gebürtigen New Yorker Lenny Kravitz zu. Quasi als Vorgeschmack auf die für Februar/März ’96 terminierte Deutschlandtournee läßt Kravitz das zum Kulturzentrum umfunktionierte Industriedenkmal in seinen Grundfesten erzittern. Von der ersten Minute an hat der 30jährige, der zu Beginn des Jahrzehnts als die Rock-Entdeckung der 90er Jahre gefeiert wurde, das euphorische Publikum fest im Griff -— was kaum erstaunt. Denn Kravitz ist mit einer veritablen Bigband nach Köln gekommen. Ein besonderer Blickfang ist dabei die wuchtig trommelnde Schlagzeugerin Cindy Blackman. Frisiert wie die Freiheitsstatue im Hafen von New York und eingerahmt in eine solide, auf einem Podium thronende Stahlrohrkonstruktion beweist die Dame an den Drums, daß sie innnerhalb der Männergesellschaft auf der Bühne alles andere ist als die Quotenfrau. Doch auch Gitarrist Craig Ross, der zu Kravitz‘ Stammpersonal zählt, zieht mit messerscharfen Einlagen als Solist die Aufmerksamkeit auf sich. Erheblichen Anteil am Zustandekommen des druckvollen, vollfetten Sounds haben auch Bassist Jack Daley, Keyboarder George Laks, Trompeter Michael Hunter, Saxophonist Harold Todd sowie drei farbige Backgroundsänger. Letztlich jedoch gehört der Abend nur einem. Und das ist Kravitz selbst. Lustvoll läßt Lenny die Dreadlocks fliegen und unterstreicht als Sänger wie auch als Gitarrist — in dieser Funktion allerdings überwiegend für den Rhythmus zuständig — seine Extraklasse als Rock’n’Roll-Entertainer. Ständig in Bewegung und mit ausgeprägter Mimik unter der schwarzen Matte kriecht Kravitz förmlich ins Mikro, um den schwitzenden Menschen im E-Werk nur ja möglichst nah zu sein, im Mittelpunkt des Programms stehen die Songs von Lennys aktueller Langspielplatte: der Kracher ‚Rock And Roll Is Dead‘ (nicht nur hier beweist Kravitz das genaue Gegenteil) ebenso wie die beateleske Baltade ‚Circus‘, der schwergängig psychedelische Dampfhammer ‚Beyond The 7th Sky‘ und die druckvoll nach vorn drängende ‚Tunnel Vision‘ genauso wie die eher verhalten rockende, pop-orientierte ‚Magdalene‘. Doch so sehr die neuen, teils ausgesprochen funky arrangierten Nummern vom Kölner Publikum bejubelt werden, die größte Begeisterung lösen auch bei Kravitz die altbekannten Titel aus. So wird der Refrain von ‚Let Love Rule‘ von den über 2000 kölschen Hobbysängern in der Halle hymnisch mitgetragen. Und auch ‚Mama Said‘, ‚Fields Of Joy‘ und ‚Are You Gonna Go My Way‘ lassen die saunaartige lemperatur im E-Werk noch um ein paar zusätzliche Grad Celsius ansteigen. Den höchsten Wert auf der nach oben offenen Feuchtigkeitsskala aber erreicht an diesem Abend die mit Keyboardstreichern verzierte Softsout-Nummer ‚It Ain’t Over Till It’s Over‘. Da erstrahlen besonders bei den zahlreich erschienenen weiblichen Konzertbesuchern die Äuglein in sehnsuchtsvollem Glanz. Wobei ein Mädel um die 20 ganz besonderen Grund zur Freude hat. Denn sie erlebt Lenny, den begehrten Lover, zum Nulltarif die junge Dame besitzt ein Gratisticket. Den Freifahrschein hat ihr vor Beginn des Konzerts der Boß von Lennys Plattenfirma zugesteckt. Der braucht die Karte nicht, weil er ein VIP-Ticket besitzt. Merke: Selbst im ach so bösen Musikbusiness gibt’s noch ein paar Gute.