Lenny Kravitz: Berlin, Wuhlheide


HIPPIE, HIPPIE, YEAH, YEAH: „HEUTE ABEND LASSEN WIR keine negativen Gefühle zu“, sagt der kleine Mann im Designeranzug. „Heute Abend feiern wir den größten Segen, der uns allen zuteil wurde: das Leben!“ Lenny Kravitz predigt wieder einmal von der Rock’n’Roll-Kanzel, die an diesem lauen Abend in der mau besuchten Berliner Wuhlheide steht. Dabei wählt er für die einleitende Ansprache Worte, die aus anderer Leute Mund fraglos den Charme von Kirchentagsrethorik hätten. Bei Lenny aber wirkt alles sexy, selbst wenn er seine Versicherungspolicen vorläse. Letzteres tut er denn doch nicht, denn Hendrix sei Dank hat sich der gebürtige Brooklyner vor gut zehn Jahren dafür entschieden, von der Größe des Lebens, von Gott, der Liebe und von sich selbst ein Lied zu singen. Vor allem von sich selbst. Um dies zu unterstreichen hat er die Quartett-Besetzung seiner Stammband auf eine neunköpfige Showformation aufgeblasen, in deren Mitte glücklicherweise noch immer die fantastische Drummerin Cindy Blackman thront, der Motor einer grandiosen Funk-Rock-Soulband, mal brachial wie eine Harley, mal im Bentley-Timbre schnurrend. Darüber legt ein ganzes Pack technisch brillanter Musiker los, wie technisch brillante Musiker nun mal loslegen: Alle naslang jault ein Gitarrensolo in einen ausklingenden Refrain hinein. Saxophon,Trompete, Keyboards – sie alle wollen mit jeder Note zeigen, daß sie’s draufhaben und daß sie heranreichen an Chef Kravitz. Mit dieser technischen Perfektion, den endlosen Hippie-Jams, dem Las-Vegas-Glamour (inklusive Showtreppe im High-Tech-Bühnenbild) und ihrer Selbstverliebtheit hat diese Truppe eigentlich alles an sich, was man an Rockmusik hassen kann. Und doch kommt man nicht umhin, sich in dieses Konzert zu verlieben. Zu süß schmeichelt sich „It Ain’t Over ‚Til It’s Over“ ins Gemüt, zu nonchalant knarzt „Rock’n’Roll Is Dead“ durch die Eingeweide der Verstärker, zu pastoral wird man von „Let Love Rule“ in die Arme genommen. Das alles ist bis ins Detail ein Klischee seiner selbst, aber-verdammt nochmal-es ist auch grandioses Entertainment. Und wer das selbst nach der furiosen, alle Amps in Schutt und Asche legenden Zugabe „Are You Gonna Go My Way“ immer noch nicht zu schätzen weiß, sollte sich in Zukunft besser fernhalten von Rock’n’Roll-Shows wie dieser.