Manfred Mann


Vor 20 Jahren kehrte er seiner Heimat den Rücken. Aber erst jetzt wagt sich Manfred Mann an das Thema Südafrika heran. „Somewhere In Africa“ soll jedoch seine persönliche Vergangenheits-Bewältigung sein – der Rest der Welt möge bitte nur dazu tanzen…

Qwaqwa … Gazankulu … Bophutswana … Kwazulu … das Interview bewegt sich, wenn auch stockend, in Regionen, die man gewöhnlich bei einem 30-minütigen Interview-Quickie mit einem Rockstar äußerst selten streift. Jeder neue Zug wird wie bei einer Schachpartie argwöhnisch belauert, keiner traut dem Gegenüber so recht über den Weg. Manfred Mann, zusammengekrümmt, blickt finster unter seiner Schirmmütze hervor. Die Augen wirken hinter seinem Markenzeichen, der achteckigen Brille, noch verkniffener.

Er fragt sich, warum in aller Welt er dieses Spiel hier eigentlich mitspielt. So wie er die Sache sieht, wird er durch ein Interview mit einer Musikzeitschrift bestenfalls 10 Platten mehr verkaufen. 10 Platten – um konkret zu sein von SOMEWHERE IN AFRIKA, dem jüngsten Werk seiner Earthband. Übernervös pariert er die meisten meiner Fragen erst einmal mit der Aufforderung, den Recorder abzustellen. „Paß auf,“ meint er, „es macht mir nichts aus, wenn du versuchst, mich zu provozieren. Ich bin ein erwachsener Mensch und kann damit umgehen, ebenso gut mit Kritik. Aber ich sehe mich nicht in der Lage, dir Antworten auf Fragen zu geben, die einige Leute in Südafrika in Schwierigkeiten bringen könnten. Und mich ebenso.“ (Ich stelle mir bildlich vor, wie die Berater des südafrikanischen Premiers Botha im Parlament sitzen – und alle mit angehaltenem Atem den Musik Express lesen.) Aber Manfred Mann coolt ein wenig ab und bemerkt eher beiläufig, daß er eine 90-jährige Großmutter in Johannesburg habe, die er ganz gern noch einmal wiedersehen würde …

Eingangs habe ich noch das Gefühl, daß er sich hinter nebulösen Andeutungen versteckt, um das Album dadurch bedeutungsvoller zu machen: Eine zynische Stimme meldet sich in meinem Kopf, die im Telegrammstil zusammenfaßt: „Weißer Südafrikaner verläßt Johannesburg, um sein Glück in London zu machen. 20 Jahre später, als afrikanische Musik in Mode zu kommen beginnt, macht er ein ‚Freiheit-für-die-Schwarzen‘-Konzeptalbum und wartet entspannt darauf, daß die Tantiemen eintrudeln.“

Klar, ich weiß selbst, daß diese Art von Vereinfachung reichlich unfair ist. Mir hat SOMEWHERE IN AFRIKA sogar gut gefallen sauber produziert, kompetent eingespielt, eine intelligent ausgewogene Mischung aus ethnischer Musik und Rock. Die Texte schaffen es vielleicht sogar, das eine oder andere im Kopf des Hörers zu verändern. Die zahlreichen Hinweise auf die Probleme der Bantus hatten mich jedenfalls dazu veranlaßt, etwas über das Thema zu lesen. Auch wenn man nicht erst bis nach Afrika gehen muß, um den alltäglichen Rassismus zu erleben – wie jeder „Gastarbeiter“ in Deutschland bestätigen wird.

Das Problem ist doch, Manfred Mann, daß die „Botschaft“ deiner Platte höchstens bei ohnehin schon überzeugten Liberalen offene Türen einrennt – oder bei jenen selbstgerechten „Alternativen“, die über unsere schreckliche Welt seufzen, um sich anschließend mit Joan Baez zu trösten.

Manfred blinzelt, zuckt nervös und antwortet mit deutlich gestreßtem Unterton: „Ich habe nicht mal eine Sekunde darüber nachgedacht, wer sich davon angesprochen fühlen könnte. Ich habe auch noch nie daran geglaubt, daß man mit Platten in den Köpfen der Leute irgendetwas zu erreichen vermag. Aber immerhin kann ein subtiler Impuls weitaus mehr in Gang bringen als ein Artikel in einer politischen Zeitung. Ich glaube, daß so etwas theoretisch möglich ist; ich behaupte aber nicht, daß es in jedem Fall passiert. Leute, die nichts über Südafrika wissen, werden sich lediglich wundern und fragen, was denn die Texte bedeuten, was beispielsweise Kwazulu ist.“

Mit verkniffenem Lächeln fügt er hinzu: „Andererseits würde ich als Musiker ein Wort wie Kwazulu nie und nimmer benutzen, wenn es sich nicht gut singen ließe. Das ist auch der eigentliche Grund, warum der Begriff „Apartheid“ auf der Platte nicht vorkommt.“

Manfred Mann zu kritisieren, heißt Eulen nach Athen zu tragen; diese Aufgabe übernimmt er selbst. Er agiert in einer Person als Verteidiger und Staatsanwalt.

Also, warum hat er 20 (!) Jahre gewartet, ehe er einen Kommentar über Südafrika von sich gab? „Es ergab sich halt so. Ich las gerade einige Bücher aus Südafrika, die mich zu To Bantustan‘ inspirierten. Und daraus entwickelten sich entgegen jedem Instinkt den ich als Musiker habe immer mehr Titel, bis sich der Rest fast von selbst schrieb. Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern, wie ich das Intra von ‚Alrican Suite‘ komponiert habe. Das Ganze entwickelte sich schließlich zu einer Art ‚persönlichem Statement‘ über das Land, in dem ich geboren wurde.“

Ich mache ihn auf den zweideutigen Text von „Brothers And Sisters Of Azania“ aufmerksam, wo einerseits verlautet: ‚brothers andsisters …its notlormeto teil you what todo… „er aber nichtsdestotrotz unterschwellig anklingen läßt, daß ein blutiger Aufstand alte Probleme schnell aus der Welt räumen könne.

„Aber das wird nicht ausgesprochen, oder?“ fragt Manfred verschmizt zurück. „Du kannst, wenn du willst, überall Andeutungen herauslesen. Für mich ist dieses Statement eher eine Art persönlicher Entschuldigung. Ich mache das Album. Ich lebe in Europa. Ich würde niemandem, der sich in einer Situation befindet, wo seine persönliche Freiheit auf dem Spiel steht, zu sagen wagen, was er zu tun hat. Das wäre verdammt arrogant.“

Die Passagen mit traditioneller Afro-Musik und Guerilla-Gesängen hat Earthband-Bassist Matt Irving an einem nicht genannten Ort in Südafrika aufgenommen. Ursprünglich hatte Mann diesen Job übernehmen wollen, aber… „Ich stellte mit bildlich vor, wie ich zu den Leuten gehe, die alle in einem Raum versammelt sitzen, und ihnen sage: ‚Okay, der Song dreht sich um das und das – und ihr singt jetzt diesen Text hier‘.

Aber dann dachte ich, Mist, wie kannst du sowas machen, das ist doch einfach abgewichst. Die armen Schweine müssen unter diesen Umständen leben -und ich fliege ein, um ihnen mal kurz zu sagen, was sie machen sollen – und fliege mit den Bändern zu meiner Plattenfirma zurück.“

Ich frage ihn, wie er diese Widersprüche in seinem Kopf gelöst hat.

„Also“, sagt er und läßt jetzt den Sarkastischen raushängen, „ich will nicht den Eindruck vermitteln, du hättest hier einen von selbstquälerischen Zweifeln zefressenen Intellektuellen vor dir so ähnlich wie Pete Townshend – der sich Gedanken macht übers Älterwerden und anfängt, über Afrika zu philosophieren. Ich habe eine Platte gemacht ein rein persönliches Statement.

Einige werden nun natürlich fragen: Wie konntest du dich überhaupt in die Lage dieser Menschen versetzen?‘ Ich versuche es nicht einmal! Jeder hat seine Perspektive, du mußt das nicht unbedingt selbst durchlebt haben. Ich habe eine Vorstellung davon und damit hat sich ’s.“

Manfred Mann, früher bekannt als Michael Leibowitz, verließ Johannesburg, als er 20 war. Inwieweit war ihm damals bewußt, was an Rassenunterdrückung um ihn herum vor sich ging?

„Ich bin überhaupt nicht unterdrückt worden, natürlich nicht, hahaha … aber das Unrecht springt dich an, es ist alles absolut offensichtlich. Verschiedenfarbige Leute in verschiedenfarbigen Bussen. Die Gesellschaft existiert nur, um die eine Gruppe von der anderen zu entfremden.

Das war mir schon völlig klar, als ich gerade sechs Jahre war. Aber es wirft ein tragisches Licht auf die sogenannte Menschlichkeit, daß es einigen Leuten dort offenbar nicht einmal ansatzweise bewußt ist.

Obwohl ich es irgendwie auch wieder verstehe, wenn ich auf einen Besuch zurückkomme … Aber du mußt dir dafür immense Scheuklappen zulegen, dich gegen ungeheuer Vieles abschotten und nur in deiner eigenen Welt leben … und dann gewöhnst du dich vielleicht daran. Das ist doch wie in Berlin mit der Mauer. Die Wenigsten kriegen doch davon etwas mit. Wenn jetzt jemand hergeht und München zumauert, würde natürlich ein großes Gezeter einsetzen, aber nachher lernst du doch, dich damit abzufinden.“

Haben dich andere Musiker schon einmal angemacht, weil du aus Südafrika kommst und weiß bist? Hast du Vorurteile gespürt?

„Nie. Die meisten Musiker sind auch zu blöd um daran überhaupt einen Gedanken zu verschwenden – muß ich leider sagen. Die kümmern sich doch einen Scheißdreck darum, ein Musiker würde höchstens sagen, ‚Oh, schönes Land, was?'“.

Und nach einer Pause: „Das Paradoxe daran ist: Als ich mit dem Gedanken spielte, selbst nach Afrika zu gehen, um die Aufnahmen dort zu machen, wurde ich sogarvon den Leuten kritisiert, die gegen die Rassentrennung sind. Sie meinten, daß ich nicht in Südafrika arbeiten sollte… Verrückt!In solchen Momenten habe noch gedacht: ‚Wofür zum Teufel tue ich das eigentlich ? Wenn mich jetzt beide Seiten dafür angreifen …!'“.

Er verliert sich in Gedanken und kommt dann mit dem überraschendsten Statement des Tages …

„Eigentlich würde ich es als größtes Kompliment empfinden, wenn die Leute dieses Album einfach als eine Schallplatte begreifen, die ihnen gelallt. Etwas, was sie im Hintergrund laufen lassen, wenn sie zu Abendessen oder sonstwas tun. Ich finde, die zweite Seite eignet sich dazu ganz gut, weil sie nicht allzu rockig ist.“

Er macht wieder eine Pause. Wie soll er das am besten erläutern? Die Platte ist für ihn einfach vom textlichen Standpunkt aus betrachtet – die persönliche Befreiung von einem Schuldkomplex, aber er hatte nicht die Absicht zu predigen. Laß die Leute doch tanzen, ihm reicht das völlig.

“ Während der Aufnahmen habe ich die Jungs der Band ständig gefragt, ob ich nicht in eine Sackgasse steuere: Funktioniert das auch auf rein klanglicher Ebene? Ich habe außerdem alle Sachen rausgenommen, die mir zu politisch erschienen und musikalisch überhaupt nichts brachten. Eines der afrikanischen Stücke ist ein traditioneller Song, der schon vor 40 Jahren aufgenommen wurde ich habe ihn ausgetauscht gegen einen der Guerilla-Gesänge, die wir ursprünglich aufgezeichnet hatten.“

Nach dieser Klarstellung wollte ich das Thema Südafrika nicht unbedingt totreden. Wozu überhaupt diskutieren, wenn es hauptsächlich darum geht, einfach eine nette Pop-LP unters Volk zu bringen?

„Die Sache ist doch die, daß die Leute, die ‚die Botschaß‘ hören wollen, sie auch ohne Gebrauchsanleitung verstehen.“

So lassen wir hiermit die Rassendiskriminierung i hinter uns und begeben uns zurück zu den bemerkenswerten Ungereimtheiten der Popmusik: Doo wah diddy diddy dum diddy doo, wie es Manfred Mann in einem seiner größten Hits einst buchstabierte.

Ich meine mich zu erinnern, daß sich Manfred Mann nicht besonders gern an seine ersten Erfolge in den 60ern erinnert. Kann er sich denn inzwischen mit der Ex-und-Hopp-Mentalität des Popsingles-Markt anfreunden?

„Also, es kommt nicht so oft vor, daß man mich heute noch nach ‚Mighty Quinn‘ oder ‚5-4-3-2-1 -‚ fragt – und das ist auch gut so. Diese Periode liegt schon sb weit zurück, daß sie für mich bereits historischen Charakter besitzt. Wie die Neger, die auf ,den Baumwollfeldern ihren Blues singen. Ich habe nicht mehr das Gefühl, daß ich mich unbedingt dafür entschuldigen muß, aber richtig ist, daß diese Zeit nicht gerade witzig für mich. Es interessiert mich nicht, ob jemand die Platten mochte oder nicht; oder ob er gerade seine zukünftige Frau traf, als er gerade diesen oder jenen Manfred-Mann-Song hörte. Schön für sie – ich jedenfalls mochte die Art von ‚Ruhm‘ überhaupt nicht, den mir die ersten Platten einbrachten. Das hat mich sehr belangen und unsicher gemacht.

Aus verschiedenen Gründen bin ich sowieso nie an mein Geld herangekommen, aber ich habe mich eh nie um den isolierten Lebensstil eines Stars bemüht. Als ‚Doo Wah Diddy‘ Nummer 1 wurde, wohnte ich in der Walworth Road, das ist in einem Londoner Arbeiterviertel, und fuhr jeden Tag mit dem Bus. Im Bus starrten sie mich alle an und fingen an, ‚Doo Wah Diddy‘ zu singen. Es war grauenvoll.

Ich habe immer versucht, ganz bewußt auf dem Teppich zu bleiben. Denn am Ende landest du genau wieder dort, von wo du dich einst zu deinem kleinen Glück aufgeschwungen hast – aul der Straße.

Nein, mir gefielen die 70er besser, die Zeit war viel gesünder. Das Gekreische hatte sich gelegt – und die Leute, zumindest in Europa, gingen ganz gut auf unsere Alben ein.“

Aber hat sich diese verbissene Einschätzung der Vergangenheit im Laufe der Zeit nicht gemildert? Gibt’s da bei dir überhaupt kein Gefühl von Nostalgie, wenn die alten Hits über’s Radio kommen?

„Paß auf“, erklärt Manfred Mann, und es klingt ziemlich genervt und aggressiv: „Erstens bin ich nicht größenwahnsinniger als jeder andere auch. Und ich bin obendrein stolz darauf, ein Gehirn zu besitzen. Ich weiß genau wie du – daß die stärksten Singles der 60er nicht von Manfred Mann kamen. Die kamen von den Beatles, die kam en von den Stones. Wenn ich heute eine meiner alten Platten höre, dann hebe ich dabei nicht in rosaroter Verklärung ab so nach dem Motto: „Mein Gott, sowas hab’ich schon gemacht, als ich jung war.“ Wenn eine Platte beschissen klingt, dann klingt sie auch nach 20 Jahren beschissen – und das trifft auf’Doo Wah Diddy’zu.

Manfred kommt richtig in Rage und steigert sich in seine Selbstkritik hinein, „… und wenn noch so viel Zeit vergeht, ich werde, was das betrifft, meine Meinung nicht ändern. Das gilt auch für die anderen Hits. ‚Pretty Flamingo‘ war ganz passabel und ‚If You Gotta Go‘. Der Rest …“ er zieht die Mundwinkel so angewidert herunter, als hielte man ihm gerade einen Teller mit faulendem Fisch vor die Nase. “ Wir waren halt ein paar Leute, die irgendwie sahen, wie sie über die Runden kamen und die auch gemerkt haben, daß sie nicht so gute Songs wie Lennon und McCartney schreiben konnten. Was übrigens jeder damals versucht hat.“

Aber Bob Dylan hatte ihn doch vor aller Welt für die beste Coverversion eines seiner Songs gelobt. Konnte selbst das nicht Manfreds angeknackstes Selbstbewußtsein ein wenig aufmöbeln?

Klar, das ging runter wie Butter. Aber es hat meinen Standpunkt nur aufs Neue bestärkt! Wenn wir die Songs besser interpretieren als alle anderen – die Byrds eingeschlossen dann ist das in der Tat ein großes Lob des Songschreibers. Aber Mensch, sowas kann ich eben!

Es hat nichts mit falscher Bescheidenheit zu tun, wenn ich sage, daß ich nicht gut schreiben kann. Ich bin kein guter Schreiber! Und auf diesem Statement beharre ich mit unbeirrbarer Arroganz. Darüber sollte sich das ganze Heer der Möchtegern-Songschreiber allerdings auch einmal klar werden. Alle, wie sie dasitzen und versuchen. Bedeutungsvolles über Gott und die Welt von sich zu geben …“

Ruhiger fügt er hinzu: „Es ist wichtig, daß du deine Fähigkeiten im Griff behältst. Ich bin froh, daß ich überhaupt überlebt habe. Das aber auch nur, weil ich hart gearbeitet habe und auf dem Teppich geblieben bin.“

Es ist drei Uhr, Freitagnachmittag in München. Manfred Mann mußte bis zu einem Radio-Interview noch zwei Stunden totschlagen und will die freie Zeit nutzen, um Geschenke für seine Familie zu kaufen. Ein Pressemann von der Schallplattenfirma soll ihn begleiten.

An der Drehtür des Hilton stürzen sich drei Jungen auf ihn, die geduldig auf ein Autogramm gewartet haben. Manfred bricht der Schweiß aus, Panik macht sich breit auf seinem Gesicht. Er unterschreibt wie wild und versucht, gleichzeitig auf seine Uhr zu blicken.

„Schnell“, schreit er hinter dem Mann von der Plattenfirma her. „Setz dich ins Taxi, die Typen haben hier ungefähr 400 Stück, die ich signieren soll.“

Als das Taxi wegrollt, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Manfred Mann seinen Erfolg auch in den 80ern nicht so recht genießen kann.