Motels – Neue Sinnlichkeit aus LA


In Los Angeles streiten sich schon die Club-Besitzer um den Ruhm, die Motels als Hausband zu beherrbergen. Kim Fowley mußte seine erste Niederlage einstecken, da er diesmal nicht derjenige war, der den Stein ins Rollen brachte. Außerdem hatte ihm Motels-Sängerin Martha Davis einen Korb gegeben, als er sie als Sängerin für eine seiner sogenannten Teenager-Mädchenbands verpflichten wollte. Schließlich ist sie – kaum zu glauben – selbst schon Mutter zweier heranwachsender Teenies.

£1 teil dir vor. du seist ein „pubertätsgeplagter“ Teenager von 13 oder 15 Jahren. Deine junge, attraktive Mutter spielt, solange du denken kannst. Klavier, ein wenig Geige, klassische Gitarre, singt sehr gut und schreibt Songs. Sie kennt ein paar Musiker aus der Szene, und das, was sich daraus entwickelt, hat mit Hausmusik nun nicht mehr das Geringste zu tun. Du liegst mit deiner Schwester auf dem Fußboden des Übungsraumes: im Halbschlaf hörst du Balladen, die du vielleicht noch nicht so richtig verstehst, und das alles, während deine Schulfreunde sich zuhause wohlbehütet im weichen Bett räkeln.

„Ist schon in Ordnung. Mam“, meinten die beiden Töchter von Martha Davis großzügig, „dann wirst du eben ein Rock’n’Roll-Star.“ So wie: „Irgendwie hast du schon ein Recht darauf, das zu tun, was dir Spaß macht.“ Und zu ihren Freunden: „Irgendwie ist sie ja ein bißchen… (bezeichnende Handbewegung) …aber eigentlich kommt man ganz gut mit ihr aus.“ Und schließlich waren sie dann auch ein wenig stolz auf ihre Mutter, als die Motels nahezu über Nacht die neue Band der LA-Clubs wurden. Genauso plötzlich, wie die Band ins Rampenlicht geschubst wurde.

„Wir hatten auch schon mehrere Saxophonisten, einen Hippie-Keyboardmann… mit den meisten Musikern ging es einfach nicht lange gut, weil das Feeling nie so richtig stimmte. Viele von ihnen waren zwar in der Lage, die Noten korrekt zu spielen, aber die Verbindung funktionierte nicht.“ Martha: „Du kannst fast sagen, daß in LA jeder schon mal bei den Motels gespielt hat.“

Martha und Jeff wärmen sich dankbar mit Tee auf. Nach zwei nächtlichen Sets im Hamburger „Logo“ kamen sie am nächsten Vormittag noch ein wenig fröstelnd in die Redaktion. „Den Tee kann man wenigstens trinken. Das Zeug in London war ja grauenvoll“, erinnert sich Jeff mit Unbehagen. Der Abstecher nach London hatte den Motels vor ihrem Kurzbesuch in Hamburg schon einiges an Publicity beschert. Die englische „Sounds“ zeigte sich in erster Linie natürlich von Marthas Persönlichkeit und ihrer Lebensgeschichte fasziniert. Sie hatte mit 15 einen Jungen von der Marine geheiratet und einige üble Jahre mit ihm zugebracht.

Um die Aura der Band vollständig zu erfassen, muß man die Motels wohl live erieben, danach vertieft sich auch das Empfinden für die aufgeladene Atmosphäre in Marthas Balladen (Vergl. Longplayers ME 12/79). Während die Musiker die ersten Takte spielen, lehnt sie noch halb Madonna, halb Straßenmädchen an der seitlichen Bühnenwand, die elektrische Gitarre umgehängt. Zigarette lasziv im Mundwinkel. Ihre Körpersprache, die oft erotische Trägheit ihrer Songs, der stimulierende Beitrag der Musiker und der zwiespältige Ausdruck in Marthas Stimme, die sich in ständiger Spannung zwischen verletzter Unschuld und dem exakten Gegenteil bewegt, bilden eine sinnliche Einheit. Martha Davis, die mit halbgeschlossenen Lidern vor dem Mikro steht, vermittelt in ihrer Ausstrahlung durchaus kontroverse Assoziationen. Bruchteile von Sekunden erscheint sie mir als typische amerikanische Hausfrau, die -Zigarette im hängenden Mundwinkel – ungekämmt am Küchentisch steht und der Familie die Sandwiches belegt… Sie ist eben die Frau mit Vergangenheit, die ihre Erfahrungen aus sich herausstrahlen läßt. Deshalb ist es absurd, daß in Amerika viele Blondie zum Vergleich bemühten, eine Gruppe, die immerhin zuließ, daß geschickte Stylisten die Seele ihrer Sängerin vakuum verpackten..

„Wir legen in erster Linie wert auf die absolute Beziehung zwischen Text und Sound“, betont Martha nochmal am nächsten Morgen. ,,Du kannst Musik schreiben, die sich anhört wie ein Zug. Oder du schreibst Musik, die wie Wasser ist. Natürlich wird sich die Thematik der Songs jetzt ändern, weil sich unser Leben verändert. Jetzt sind wir inspiriert von Flughäfen, Restaurants, Busfahrten… aber das finde ich auch gut. Die Musik muß wachsen. Die neue LP soll ja nicht wie die erste klingen.“

Jett gesteht noch sein Faible für Klassiker wie Count Basie. Duke Ellington oder George Gershwin. „Apropos Gershwin: Habt ihr ‚Manhatten‘ gesehen mit dieser starken Wechselbeziehung zwischen den schwarz/weiß-Aufnahmen und der Musik von Gershwin?“ frage ich dazwischen. „Leider nicht.“ Martha zuckt bedauernd die Schultern. „Ich bin in den vergangenen Jahren kaum im Kino gewesen. Jetzt habe ich auch keine Zeit mehr dafür, obwohl ich mir vieles gern ansehen würde. Für mich ist es im Moment wirklich Luxus, wenn ich zuhause sein kann.“

Und Jeff: „Ich sehe mir kaum Bands an. Ich werde zwar ständig von Leuten gefragt, ob ich den oder jenen gesehen habe… ich bin froh, wenn ich mir für die nächsten zwei Jahre mal ein festes Apartement nehmen kann.“

Martha erzählt von einem Telefongespräch mit ihren Töchtern, die offensichtlich langsam ungeduldig werden. Sind die beiden nicht mittlerweile von der Kreativität ihrer Mutter inspiriert? „Die Jüngere schreibt wunderschöne Gedichte“, meint Martha. „Gib ihr eine elektrische Schreibmaschine und sie flippt aus.“ Na, wenigstens geben die beiden wohl kein Kanonenfutter für den genialen Kim Fowley ab, der es eher auf die Mutter abgesehen hatte. Weil er offensichtlich noch immer alles unter Kontrolle haben will, was in Los Angeles auf der Bühne steht, behauptete er vorsichtshalber, daß er den Motels die Starthilfe gab. Die Band streitet dies ab, nur Martha erzählt, daß er sie gern als Sängerin für eine seiner mutmaßlichen Teenagerbands, nämlich Venus & The Razorblades, anheuern wollte. Und mit Jeffs Glucksen bei der Erinnerung an Fowleys als Teenager verkleidete Spät-Twens lassen wir diese Motels-Geschichte am besten ausklingen…