Neville Brothers


Sie zählen zu jener aussterbenden Sorte Mensch, für die Musik ohne Message undenkbar ist. Warum die Nevilles an ihrem sozialen Engagement festhalten, erfuhr ME/ Sounds-Mitarbeiter Jörg Feyer, als er die "First Family Of New Orleans Music" In Ihrer Heimat besuchte.

Anfang Mai steht die „Crescent City“ wieder ganz im Zeichen des alljährlichen „Jazz & Heritage“-Festivals und läßt dem Besucher keine Chance, der „First Family Of New Orleans Music“ (Konzertansage) nicht in irgendeiner Form über den Weg zu laufen. Nicht nur, daß die Nevlles in dieser Woche viermal auf diversen Bühnen stehen: Aaron gibt, begleitet von dem Pianisten Amasa Miller, Solo-Konzerte; der stets kämpferisch aufgelegte Cyril steht seinen Reggae-orientierten „Uptown Allstars“ vor; Art hilft dann und wann bei seinen Ex-Meters-Kollegen Leo Nocenteui & George Porter aus, und der umtriebige Youngster Ivan stürzt sich allzu gern auf vakante Keyboard-Hocker… Auch Charles, der an diesem Vormittag das Interview-Los gezogen hat, packt sein Saxophon häufig für lokale Jazz-Bands oder Tochter Charmaine aus. Das, so analysiert der Besonnene des Quartetts, mache überhaupt die Eigenart der Neville Brothers aus: Verschiedene Einflüsse, Geschmäcker, Stile kämen zusammen, um jenen einen, definitiven Sound zu formen.

Nie zuvor allerdings ist die Saat der Solo-Projekte so fruchtbar aufgegangen wie jetzt mit YELLOW MOON. Zentrale Titel des Albums, etwa „My Blood“ oder „Sister Rosa“, hat Cyril immerhin zuerst mit seiner eigenen Band gespielt, während Aaron seine Passion für den frühen Dylan (der gerade ein neues Album in New Orleans aufnimmt) mit „Hollis Brown“ oder „God On Our Side“ ausleben kann. „Ein Grund“, erläutert Charles, „Warum wir diese Coverversionen aus den 60ern gemacht haben, ist die Tatsache, daß sie durchaus einen Bezug zu heutigen Lebensumständen haben. Die Bedingungen, etwa in der Umwelt, haben sich rapide verschlechtert, und auch die Aufmerksamkeitfür soziale Mißstände ist bei weitem nicht so hoch wie sie sein sollte.“

Wer hinter dem Remix ihrer Single „Sister Rosa“, betreut von der schwarz-militanten Gruppe Public Enemy, nun allerdings sine umstürzlerische Allianz wähnt, liegt falsch. Die Überarbeitung geschah auf Initiative der Plattenfirma, die so das „Black Radio“ für die Single gewinnen will, „denn“, so Charles, „die schwarzen Stationen haben nicht so auf den Song reagiert, wie wir es erhofft hatten.“

Auf den großen Hit gehofft, freilich auf Kosten der eigenen Identität, hatten die Nevilles noch vor zwei Jahren: UPTOWN klang 1987 wie alles mögliche – nur eben nicht wie die Nevilles. „Es war der Versuch“, redet Charles nicht lange um den heißen Brei herum, „eine Platte zu machen, die Pop-Radio-Airplay bekommt.

Dank interner Machtkämpfe bei der Plattenfirma blieb der große Dollar-Push jedoch aus – und die Platte erreichte nicht mal die amerikanischen Top 100. YELLOW MOON hingegen war zum Zeitpunkt unseres Gesprächs gerade von 0 auf 38 in die Billboard-Charts eingestiegen.

Produzent Daniel Lanois (U2, Peter Gabriel) hat offenkundig genau den Effekt erzielt, den Charles so beschreibt: „Er hat uns geholfen, die rauhen Ecken etwas glattzubügeln, die das Material sofort in die regionale Ecke gestellt hätten – Oh, das ist ein New Orleans-Song! -,ohne dabei den typischen New Orleans-Sound völlig zu eliminieren.“

Der soziale und politische Anspruch des Albums soll vor allem ein junges Publikum aufhorchen lassen. „Die College-Kids“, so hat Charles beobachtet, „sind daran interessiert, diese Informationen im Kontext einer positiven Dance-Music zu erhalten. Nicht mit Zorn, Haß oder Agitation, sondern im Bewußtsein, daß wir uns sorgen und kümmern. Und das können wir alle und so vielleicht tatsächlich etwas erreichen. Es mag altmodisch klingen, aber wir glauben nun mal, daß diese Botschaft wirklich einen Effekt haben kann, jemanden inspirieren kann, einen positiven Wechsel bewirken kann,“

Zumindest in der eigenen Familie sollten die Nevilles keinerlei Probleme haben, die Fackel am Brennen zu halten. Aarons dreijähriger Enkel schaut zwar noch leicht unsicher in der Gegend umher, doch Cyrils Tochter – geschätzte sieben oder acht – löst ihre Aufgabe bravourös: Beim Open Air am letzten Festivaltag übernimmt sie kurzerhand Papas Mikro und rappt eine Strophe von „Sister Rosa“ mit.