Kritik

„Pure“ bei ZDFneo: Ehrlich psychisch krank (Kritik)


Sie ist jung, laut und alle um sie herum sind nackt: Marnie zeigt in der UK-Serie „Pure“, warum es an der Zeit ist, über psychische Erkrankungen zu sprechen. Ein Statement für mehr Akzeptanz.

Eine Überraschungsparty zum Hochzeitstag der Eltern, ein Saal voller nackter Verwandte und knutschenden Bekannten und mittendrin Marnie, die Hauptfigur der UK-Serie „Pure“, die nun erstmalig auch im deutschen Free-TV ausgestrahlt wird. Was sich anhört wie ein Alptraum, ist es auch – nur dass der allein im Kopf der 24-jährigen Marnie (Charly Clive) abläuft.

Während sie eine Rede für ihre Eltern hält, muss sie mit Entsetzen feststellen, wie ihre Sippschaft übereinander herfällt und ihr Vater sogar über ihre beste Freundin Helen (Olive Gray). Die Flut an Bildern vor ihrem inneren Auge lässt sie schließlich Hals über Kopf nach London fliehen – raus aus der einengenden schottischen Kleinstadt und rein in die Anonymität der Weltmetropole.

Hier geht es zum Trailer:

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„Fuck! Woher kommt das?“

„Hattest du jemals einen dieser seltsamen, quälenden Gedanken, in denen du nur sagst: Fuck! Woher kommt das?“, fragt sie in der ersten Episode die Zuschauer*innen. Die Krankheit an der Marnie leidet, heißt „Pure O“, die mit Zwangsstörungen verglichen werden kann, wie zum Beispiel zwanghaftes Waschen oder Zählen von Gegenständen. Nur dass es nicht um tatsächliche Handlungen geht, sondern um zwanghafte Gedanken, die sich um Tabus drehen, wie Gewalt, Mord oder in Marnies Fall: Sex. Und das ist schroff, abgedreht – vor allem aber schockierend ehrlich: „Ich kann einen Tag verlieren, indem ich daran denke, meine Mutter zu melken oder ein Pferd zu fingern“, erklärt sie später einmal.

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Serienautorin Kirstie Swain („Run“) ist es gelungen, eine kaum vorstellbare psychische Krankheit in den Fokus zu rücken, ohne Bloßzustellen. In sechs Episoden (und dabei bleibt es auch) wird Marnies neues Leben gezeigt, anfängliche Jobversuche sowie Techtelmechtel. Doch die Routine wird immer wieder durchbrochen, wenn sie sich zum Beispiel nur noch vorstellen kann, wie sich ihre Chefin die Achseln leckt.

Akzeptanz statt Mission

Was immer wieder derbe und witzige Momente verspricht, lädt das Publikum im Laufe der Serie jedoch zu viel mehr ein: Verständnis. Auch wenn die Krankheit „Pure 0“ in solcher Form selten auftreten mag, so ist der Zustand, nicht Herr*in der eigenen Gedanken zu sein, für viele Menschen ein alltägliches Problem. Ob Depression, Borderline oder Panikstörungen, immer öfter, doch leider immer noch zu zögerlich, werden psychische Krankheiten in der Öffentlichkeit thematisiert. Serien wie „Pure“ schaffen es, diese Akzeptanz voranzutreiben, ohne anstrengend dramatisch zu sein, wie etwa das Netflix-Original „To the Bone“.

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Dass das funktioniert, liegt vielleicht auch daran, dass es sich um eine Adaption handelt. Der Stoff der Serie basiert auf der gleichnamigen Autobiografie von Rose Cartwright, die schon lange mit der Krankheit kämpft. Zudem hat Drehbuchautorin Kirstie Swain zweieinhalb Jahre Vorbereitung in die Kurzserie gesteckt. Neben der wahren Geschichte, flossen auch Gespräche mit Psychologen und „Mental Health“-Organisationen ein. Auch wurde sich mit Betroffenen ausgetauscht, die mit einer Zwangsstörung leben. Vielleicht ist die Serie deshalb so „Pure“, so unverfälscht. Es braucht davon definitiv mehr!

Alles sechs Folgen von „Pure“ laufen am Freitag, den 26. März 2021 ab 23.40 Uhr auf ZDFneo. Danach erscheinen sich auch in der ZDF-Mediathek.

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