Belle & Sebastian – The Boy With The Arab Strap

Vielleicht gibt es nur zwei Platten, die dich daran erinnern, daß Texte mehr sein können als einfach nur Texte. FIVE LEAVES LEFT von Nick Drake ist die eine. Die andere ist THE BOY WITH THE ARAB STRAP. Sie ist es. Herbstblätter. Seife im Abfluß. Haare, die man beim Küssen in den Mund bekommt. Sie ist es einfach. Aber die Musiker verstecken sich vor dir. Es gibt keine Interviews, es gibt (fast) keine Pressefotos, es gibt überhaupt keine Informationen über Belle & Sebastian. Nur Geschichten. Fest steht, daß sie sich nach einer Kindersendung des französischen Fernsehens aus den 70er Jahren benannt haben, und daß der Sänger mit der weichen Kopfstimme, daß Stuart Murdoch also Musik studiert in Glasgow. Seine Band ist so schreckhaft, daß berechtigte Zweifel angebracht sind, ob es sie überhaupt gibt. Immerhin wurden von ihrem Debütalbum TIGERMILK nur 1000 Exemplare auf Vinyl gepreßt, den Rest überspielten sich Fans von Tape zu Tape. Eine dieser Cassetten schaffte es, vielleicht im Gepäck einer schottischen Tramperin, in eine Stereoanlage in Paris. Wo sie erhört wurde von der französischen Dependance der Plattenfirma Virgin, die mit IF YOU’RE FEELING SINISTER das zweite Album produzierte. Bei Belle & Sebastian möchte man sich an die frühen Housemartins erinnert fühlen, wären die nicht so verkniffen. Mit den Tindersticks könnte man sie vergleichen, wären die nicht so rheumatisch. Und jetzt, ladies and gentiemen, THE BOY WITH THE ARAB STRAP. Songs so flüchtig, daß sie sich wahrscheinlich auflösen, sobald man ihnen den Rücken zuwendet. Songs so berauschend, daß Tetrahydrocannabinol dagegen wie Grüner Tee wirkt. Songs so komplex, daß selbst Marcel Proust seine dunkle Freude daran gehabt hätte. Vorgetragen von einer berauschend banalen Stimme, die nichts kann, außer die jeweilige Stimmung exakt aufzufangen und alle Unsicherheiten mit entwaffnender Offenheit transparent zu machen. Eine Stimme mit großäugiger, verletzlicher, ziemlich uncooler Naivität. So klingen selbst sorgsam arrangierte Elegien wie „Seymour Stein“ oder „Rollercoaster Ride“, als wären sie einer beschwipsten Schulband soeben aus der Feder geflossen. Vielleicht sind Belle & Sebastian das ja auch, eine beschwipste Schulband. Eine Band, die sich traut, eine warme Gischt aus Streichern durch die Kompositionen branden zu lassen, weibliche Spoken-Word-Sequenzen über einen peitschenden 2/4-Takt legt und den Song schließlich auf einer euphorischen Dudelsack-Kaskade nach Hause schickt („Dirty Dream #2“). Und trotz vollbesetzter Tonspuren schaffen es die acht Musiker, einfach nur nach Stuart Murdoch zu klingen, Murdoch mit seiner akustischen Gitarre in der Hand. Spätestens dann läßt sich dieses breite, leicht dümmliche Grinsen nicht mehr unterdrücken, das sich aufdrängt, sobald man es mit etwas wirklich -Großartigem zu tun bekommt. Mit nackter Schönheit zum Beispiel. Mit einer Musik, die nicht Soul hat, sondern Seele. Mit einer Lyrik, die dazu bewegt, mal wieder das alte Tagebuch in die Hand zu nehmen – und wenn man nie eines geführt hat, schleunigst damit anzufangen. Belle und ihr Freund Sebastian sind Künstler, die dich vergessen lassen, kein Zeitgenosse von Nick Drake gewesen zu sein. Und THE BOY WITH THE ARAB STRAP ist so gut, daß du dir den Namen der Band auf den Unterarm schreiben willst. Mit Kugelschreiber.