Joni Mitchell – Clouds; Ladies Of The Canyon; Blue :: Zerbrechlich
Woher kommen bloß diese Songs? Judy Collins Version von“Both Sides Now“,Tom Rushs „Circle Came“-Adaption,“Chelsea Moming“ in der Fassung des epochalen Folkrock-Ensembles Fairport Convention? Hat sie ein Windhauch durchs offene Fenster geweht? Hat sie eine Fee geträumt? Sind sie auf einer sonnenüberfluteten Lichtung gewachsen, und sie kam zufällig vorbei und hat sie einfach gepflückt? Sie: Joni Mitchell aus Fort McLeod, Kanada, Kunststudentin, Sängerin, Gitarristin, die in Folk-Clubs auftritt, geschieden ist, die nach New York kommt, dank ihrer Songs rasch „talk of the town“ wird. Im März 1968 erscheint endlich ihr Debüt JONI MITCHELL 4, gelegentlich gern SONGS TO A SEACULL genannt: Eine naiv-betörende Sammlung sanfter Folk-Kleinode, unterteilt in zwei Kapitel („I Came To The City“, „Out Of The City And Down To The Seaside“) mit je fünf Songs, zu zerbrechlicher Akustikgitarren- und Klavierbegleitung Impressionen aus dem Big Apple verhandelnd, wo das von David Crosby produzierte Poesie-Album auch aufgenommen wurde. Auf CLOUDS 5 zeigt sich Miss Mitchell im Jahr darauf als reife Songschreiberin, der unsterbliche Melodien aus der Feder fließen. Wer zweifelt, höre „Both Sides, Now“, „The Gallery“, „That Song About The Midway“ oder „Tin Angel“ und sinke ehrfürchtig auf die Knie. Mag sein, dass der Umzug in den Laurel Canyon bei Los Angeles oder ihr Liebesleben, das – unter vielen anderen – mindestens drei Viertel von CSN&Y involviert, Herz und Sinne überfließen lassen. Jedenfalls gerät ihr LADIES OF THE CANYON 5 erneut zur frappierenden Folk-Fantasie, die Klassiker wie „Woodstock“ oder „The Circle Came“ enthält und dank gelegentlicher Bläser-, Percussion- und Cello-Beigaben mehr Farbe ins ätherische Klangbild bringt. Doch dann senkt sich die Nacht über locker-flockiges Westcoast-Flair und melancholische Minne-Meditationen, und in der Schwärze lodert ein Fegefeuer aus Liebes- und Weltschmerz, aus Lebensüberdruss und Todesfurcht, zerreißen Hilfeschreie die Luft um den Elfenbeinturm: BLUE 6 ist ein kathartisches Meisterwerk, prominent begleitet (Stephen Stills, James Taylor, Sneaky Pete), karg produziert, ein Seelenstrip aus zehn unter die Haut gehenden, vor Intensität pochenden Songs. „Only a dark cocoon before I get my gorgeous wings/And fly away/Only a phase, these dark cafe days“, sinniert Joni am Schluss des letzten Liedes, „The Last Time I Saw Richard“. In der Tat: Sie wird wieder fliegen. Bald schon. Auf und davon. Und sich kein einziges Mal umsehen.
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