Kettcar

Sylt

In Interviews ist das für den Musikjournalisten ja ein absolutes No-go: die Band nach dem Hintergrund und dem Für und Wider eines Albumtitels zu befragen. Weshalb es unbedingt herrlich ist, sich in einer Plattenkritik mal so richtig austoben zu können. Die neue Langspielplatte von Kettcar heißt sylt. Sie wissen schon: Deutschlands größte Nordseeinsel. Das Eiland, das Deutschlands Trockenhaubenfachzeitschrift „Bunte“ in einer Eigenreklame- Maßnahme so einsortiert: „Ohne uns wäre es nur eine Insel“. Sylt. Der Franjo Pooth unter den deutschen Inseln: scheinbar schweinereich, de facto schon lange auf den Hund gekommen. Und alle Jahre wieder kommt im Winter das Meer und frisst ein Stück Strand in sich hinein. Sylt: die Zuschaustellung prolligen Reichtums. SYLT: Album Nummer drei von Kettcar – und das erste, das mit einem so kurzen wie einsilbigen Titel daherkommt.Die Musik darauf: Stagnation auf hohem Schrammelgitarren- Niveau, inklusive Platz für ruhige Momente im stillen Raum: „48 Stunden“ heißt auf SYLT „Am Tisch“. Wie schön doch die Bläser darauf sind, wie relevant doch der Text darauf ist. Kettcar bleiben sich treu und Sänger Marcus Wiebusch (ausgedacht) ehrlich bis auf die Knochenhaut. Wofür man auch ohne Frage dankbar sein kann: Neben der talentierten Gefühlsverpackerei haben es Kettcar auch weiter schwer mit dem Nicht- Einverstanden-Sein. In „Graceland“, der Vorabsingle, geht’s nicht nur um den Ort, der nicht hält, was Elvis versprach, sondern auch um adäquates Agieren im eigenen Alltag. Ebenso wohltuend: dass Kettcar wiederum ganz weit weg bleiben von dem Klassensprecherpop all der Silberjulihelden – und dass ihnen der neoliberale Impetus, den zum Beispiel Bands wie Revolverheld nur mäßig originell in sich verstecken, ganz und gar zuwider ist. Wir hören „Kein Außen mehr“ – und würden gerne mal mit Wiebusch und Kollegen drinnen stehen. An irgendeinem Tresen. Der kann auch auf Sylt sein.

Martin Weber – 29.04.2008

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