La Düsseldorf – Viva

Helau!! Was für eine Platte!! Da die höchste ME-Auszeichnung nun mal mit fünf Sternen feststeht, hat es wenig Aussicht, sechs zu fordern. Aber dafür dekoriere ich diese fantastische LP mit fünf Sternen in Gold.

Hätte mir einer im verflossenen Jahr vom Dahinscheiden La Düsseldorfs berichtet, ich hätte nicht ernsthaft gezweifelt. Denn zwei Jahre sind seit dem Debut-Album „La Düsseldorf“ vergangen, und nichts war seitdem von der Gruppe zu hören. Abgesehen davon, daß ihr Glanzstück „Silver Cloud“ jedem, der es einmal gehört hatte, noch lange in den Ohren nachhallte. Jedoch: Klaus Dinger und seine Mannen sind, gottlob, wohlauf. Von Juni bis September 1978 haben sie in ihrem eigenen Studio die zweite LP eingespielt.

Was man landauf landab ziemlich unachtsam in einen Topf geworfen hat, muß man spätestens jetzt sehr deutlich voneinander trennen: La Düsseldorf haben nichts mit „seelenlosem, neonbeleuchtetem und maschinellem Elektronik-Rock“ zu tun, der mit Düsseldorf verbunden wird. Während Kraftwerk ihren artifiziellen und wertneutralen Stil immer mehr perfektionieren, machen La Düsseldorf ihren Rock mehr und mehr zu einer engagierten Sache von Fleisch und Blut. Viel weniger austarierter Elektronik-Sound, als man durchaus erwarten durfte. Keine makellose Glätte, wie sie dem Klein-Paris der Industrie-Kontore, Werbeagenturen und Fotomodels anhaftet. La Düsseldorf ist La Düsseldorf! Diese Band hat sich ihren eigenen Platz geschaffen. Etwas Besseres läßt sich über Künstler, bzw. Entertainer kaum sagen. Beide Düsseldorfer Gattungen faszinieren auf ihre Weise, sind aber grundverschieden.

So beginnt dieses Album nicht mit einem bei Elektronik-Rockern üblichen Surren, Rattern oder Einschweben, sondern mit einem lauthals hinausgeschrienen „Viva“ -Es lebe das Leben!“ Daß nicht nur unser Leben angesprochen ist, sondern gleich der ganze Planet Erde, macht klar, daß auch La Düsseldorf an dem General-Thema Umwelterhaltung und Ökologie nicht vorbeigehen wird (siehe „Cha Cha 2000“). Ob die Mehrsprachigkeit der Texte das bessere Verständnis auf fremden Märkten fördern oder anzeigen soll, daß die Themen über Länder- und Sprachgrenzen hinweg gültig sind, bleibt offen.

„White Overalls“ geht mächtig los. Hektisch bis überdreht. In Übereinstimmung mit den sich überschlagenen Text-Kapriolen. Wer sind die weißen Engel, die hier fliegen? Und warum schreit einer „Scheiße“, als von ihnen die Rede ist? Sind’s die Düsseldorfer Traumgestalten, die in schicken Overalls über’s Pflaster, durch die Cafes und Discotheken schweben? Soll sie das „Scheiße“ als fade entlarven, oder klingt so der Aufschrei der ständig Hochgekitzelten und alsdann zur Frustration verdammten? Diese Zeilen lassen mehrere Deutungen zu. In jedem Fall regen sie zum Assoziieren an.

In „Rheinita“ ertönt die Entsprechung zu „Silver Cloud“, hier schlagen die „Flammenden Herzen“ der Düsseldorfer. Es gibt ja allerhand Zweifelhaftes um uns herum und Gründe genug zu klagen, zu fluchen, zu warnen. Aber ein Tropf, wer den ganzen Tag die Stirn runzelt und mit den Zähnen knirscht. Dinger, Dinger und Lampe wissen, was eine gute Stimme wert ist. In den acht Instrumental-Minuten von „Rheinita“ ist sie eingefangen. Positiv, melodiös, einfach, gut tanzbar. Wenn von der LP ‚was für die Discotheken abfällt, hier ist es.

„Geld“ beginnt wie weihnachtliches Gesäusel, das zum Shopping einlädt und schlägt unvermittelt in die rotzigste Nummer der LP um. Von der Pollution unserer Seelen und unserer sozialen Welt ist die Rede, durchsetzt mit der elementaren (wenn auch wenig originellen) Aufforderung „Make love not war!“

„Cha Cha 2000“ verlangt nach einer lebenswerten Zukunft. 20 Minuten lang. Eingängig, die notorische (Ein) Dringlichkeit von einigen Minuten wohldosiertem zurückhaltendem Piano unterbrochen, steigert sich das Herzstück dieser Platte zu einem ekstatischen Beschwörungstanz. „Cha Cha 2000“ hat seinen Platz neben unvergeßlichen LP-Hälften wie „Sister Ray“ (Velvet Underground), „In A-Gadda-Da-Vida“ (Iron Butterfly), „Get ready“ (Rare Earth), „Revelation“ (Love). Das akustische Klavier, gespielt von Andreas Schell, tritt hier als wesentliche Klangfarbe hervor. Hans Lampes Schlagzeug, angereichert von Thomas und Klaus Dingers Perkussion, trommelt die Antithese zum leichtfüßigen Funk und sonnig-beschwipsten Offbeat. Germanische Adaption von US-stämmigem Rock. Ob nun an Maschine oder Marsch oder am eigenen Herzschlag orientiert, in jedem Fall eigenwillig und eindrucksvoll. Der eine wird sich behämmert vorkommen, dem andern wird’s als kraftvolle Intensivierung erscheinen.

Lang lebe La Düsseldorf!