Album der Woche

Paula Hartmann

KLEINE FEUER

Himbeertoni/Four Music/Sony (VÖ: 8.3.)

Schwarze Romantik im Club: Die Berlinerin führt ihren Großstadtpop tiefer in den Keller.

Die Sache ist die: Ich kann mit dieser aktuellen Welle an Ex-Kinderschauspieler:innen, die als Rapper:innen reüssieren – Nina Chuba, Symba oder eben Paula Hartmann – eigentlich nicht sehr viel anfangen. Aber dann haut Paula Hartmann so einen Song wie „Sag was“ mit dem durchaus umstrittenen T-Low raus und – ich bin sprachlos.

Amazon

Die Berlinerin, die auch dieses zweite Album im Duo mit dem Produzenten Biztram zusammen schrieb und produzierte, schafft es, mit minimalistischen Mitteln intensive Geschichten aus den Untiefen des Erwachsenwerdens zwischen Nachtleben, Substanzmissbrauch, Lieblingskummer und Todessehnsucht zu erzählen, die so etwas sind wie eine postmoderne Antwort auf E. T. A. Hoffmann und Baudelaire. Nur eben aus den Untiefen des nächtlichen Berlins im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, von der Rückbank eines Ubers, mit Wegbier in der Hand oder vom Clubklo.

Wenn Paula Hartmann eins kann, dann mit wenigen Worten einen Vibe einzufangen, der sehr viel Interpretationsraum offen lässt

Ihre Songs leben vom vermeintlichen Gegensatz zwischen zarter Stimme und harten Texten. Und „Sag was“ ist so etwas wie der Höhepunkt dieses Albums, mit einer harten Geschichte und einem noch härteren Video erzählt sie von einem ultimativen Tiefpunkt einer Freund:innenschaft oder Beziehung, davon, hilflos, wütend und völlig am Ende dem Selbstzerstörungstrip geliebter Menschen zuzuschauen. Zumindest wird das im Musikvideo suggeriert, vielleicht ist ja auch alles ganz anders. Denn wenn Paula Hartmann eins kann, dann mit wenigen Worten einen Vibe einzufangen, der sehr viel Interpretationsraum offen lässt.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Schon mit ihrem vorherigen Album bewies sie ihr Händchen für dunkle Geschichten, die sie selbst als „Großstadtmärchen“ betitelt. Jetzt geht es noch tiefer hinein in die Finsternis, alle Fluchtwege abgeschnitten. Hoffnung auf Rettung gibt es kaum noch, stattdessen nur noch das Be dürfnis, möglichst viel Ablenkung im polytoxischen Alltag zu finden. „Ich will feiern heißt ich fühle mich alleine“, heißt es in „7 Mädchen“, von denen eine noch nachts auf einer Trage landen wird. Puh.

Vielleicht bringen diese Widersprüche den Wahnsinn des Erwachsenwerdens am besten auf den Punkt

Eingerahmt wird das Ganze von ziemlich geschmackssicheren Beats, die mal laut ballern wie im Club (unbedingt laut hören: Jersey-Club-Banger „Candy Crush“), nur um sich dann wieder vornehm zurückzuhalten (dass sich für fortgeschrittenen Seelenkater empfehlende „Zwischen 2 und 5“). T-Low bleibt da nicht der einzige Gast: auch Trettmann, den sie schon auf seinem letzten Album besuchte, ist dabei, aber vor allem andere derzeit ebenfalls gehypte Künstler:innen ihrer Generation wie Domiziana und Verifiziert, Levin Liam und die Berliner Lucio101 und Nizi19.

10 Deutschrap-Songs, die dich durch den Winter bis zum Frühling bringen

Aber zum Phänomen wurde Paula Hartmann natürlich nicht nur deswegen. Ihre Songs leben auch von dem vermeintlichen Gegensatz zwischen ihrer zarten, fast teenagerhaften Stimme und den harten Texten. Und irgendwie hinterlässt genau dieses Spiel mit, hart ausge drückt, dem Kindchenschema ein seltsames Gefühl, das von Coverdesign im Märchenstyle ebenso unterstrichen wird wie Lyrics, in denen Hartmann mit Symboliken aus der Kindheit spielt.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Sollen wir uns Paula Hartmann als aus dem Nest gefallenes Küken vorstellen? Als Grundschülerin, die sich in die verruchtesten Clubs der Stadt verirrt hat? Und wen reizt so eine Vorstellung eigentlich? Ihr und ihren beeindruckenden Skills als Geschichtenerzählerin wird das kaum gerecht. Gleichzeitig kann man sich bei aller Creepiness, die auch da drin steckt, der Faszination für diesen musikalischen Verfremdungseffekt kaum entziehen. Aber vielleicht bringen diese Widersprüche den Wahnsinn des Erwachsenwerdens am besten auf den Punkt.

Spotify Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Spotify
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Welche Alben im März 2024 noch erschienen sind, erfahrt ihr über unsere monatliche Veröffentlichungsliste.