Pink Floyd

The Dark Side Of The Moon (50th Anniversary Box Set)

Polyphone/Warner (VÖ: 24.3.)

Intellektuelle Kühle, emotionale Wucht: Art-Rock als Massenphänomen.

Zeitgenossen, die einem Superlative als untrügliches Qualitätsmerkmal verkaufen wollen, dürfen einem grundsätzlich suspekt sein. Aber die Chronistenpflicht zwingt einen förmlich dazu, ebenfalls in dieses Horn zu stoßen: Seit der Veröffentlichung am 1. März 1973 verweilte Pink Floyds achtes Album 967 Wochen in den amerikanischen Billboard-200-Charts. Stand Januar 2023. Natürlich mit Unterbrechungen, aber man ahnt, wo ein nicht unerheblicher Teil der fast 50 Millionen verkauften Exemplare eine neue Heimat fand. Dass demnächst noch die ein oder andere Woche in diesem oder jenem Land der Welt dazu addiert werden darf, ist anzunehmen, denn Plattenfirma und Band, Letztere durchaus berühmt für einen ausgeprägten Hang zum Bohren dicker Bretter, lassen sich beim „50th Anniversary Box Set“ nun wirklich nicht lumpen.

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Da kann der Fan kaum anders, als zuzuschlagen. Und Fans gibt es genug. Doch schön der Reihe nach: CD 1 und LP 1 enthalten neu gemasterte Versionen des Originalalbums, in der Digitalausführung ergänzt um ein zwölfseitiges Booklet, als schwarze Scheibe um die damals mitgelieferten Poster. Dem gleichen Schema folgen auch CD 2 und LP 2 mit einem Konzertmitschnitt aus dem Londoner Wembley Empire Pool von 1974. Buch und Poster auch hier. Zwei Blu-rays und eine Audio-DVD liefern 5.1.-Surround-, Stereo- und Dolby-Atmos-Mixe, dazu gibt’s zwei 7“-Singles („Money“/„Any Colour You Like“ sowie „Us And Them“/„Time“), ein 76-seitiges Notenbuch und einen 160 Seiten starken Bildband mit schwarzweißen Fotografen der Tourneen von 1972 bis 1975.

Pink Floyd etablierten sich mit THE DARK SIDE OF THE MOON als Konsens-Band

Ein dickes Brett also, wie gesagt. Das natürlich auch nicht ganz billig ist. Nur hat man es hier eben mit einem Gesamtkunstwerk zu tun, das dem Lauf der Musikgeschichte vor 50 Jahren einen recht erstaunlichen Twist verlieh: Zuvor war progressive, gar mit den Zutaten der Avantgarde arbeitende Rockmusik tendenziell ein Minderheitenprogramm für ein meist studentisches, dem Experiment nicht gänzlich abgeneigtes Publikum.

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Danach war sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie man so sagt, woran kurz darauf selbst Disco-Welle und Punk-Furor substanziell nicht viel ändern konnten. Pink Floyd etablierten sich mit THE DARK SIDE OF THE MOON als Konsens-Band, was umso bemerkenswerter anmutet, wenn man sich ihren nur neun Monate zuvor erschienenen Soundtrack OBSCURED BY CLOUDS zu Gemüte führt, jenes psychedelisch wabernde Experiment, das besorgte Erziehungsberechtigte einst dazu gebracht haben mag, den Nachwuchs prophylaktisch zur örtlichen Drogenberatungsstelle zu schleifen.

Es sind die Kontraste, die jene gewisse Magie ausstrahlen

Apropos: Die Syd-Barrett-Fraktion mochte den Verrat am heiligen Wahnsinn beklagen, zumal der drohende Erfolg des Werks natürlich auch höchst verdächtig schien. Der Band einzig kommerzielles Kalkül zu unterstellen, ist allerdings grober Unfug, ein gesteigertes Sendungsbewusstsein dürfte die ungleich größere Rolle gespielt haben: Man kann durchaus Softrock wie das harmonische „Breathe (In The Air)“ mit seinen weichen Gitarren-Slides wagen, das seit 50 Jahren zu wattigen Tagträumereien auf der Blumenwiese animiert – wenn man mit der unmittelbar folgenden Synthesizer-Schussfahrt „On The Run“ als Tonsetzer für die dunkleren, bedrohlicheren Aspekte des Daseins brilliert.

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„Time“ bringt diese beiden Pole vielleicht am besten in Einklang, wenn auf filmmusikartigen Minimalismus schwelgerische Chöre folgen. Womit womöglich auch die Frage beantwortet werden kann, warum dieses Album derart universell funktioniert: Es sind die Kontraste, die jene gewisse Magie ausstrahlen, von den technisch und kalt klingenden Tape-Loops auf „Money“ bis hin zu Gastsängerin Clare Torrys ganz großem Gefühlskino auf „The Great Gig In The Sky“. Intellektuelle Kühle und emotionale Wucht – hier ist für jeden was dabei.

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Wenn man jetzt ernsthaft die Frage stellt, wie gut das Werk über all die Jahrzehnte gealtert ist, übergeht man die Tatsache, dass es – generationenübergreifend – stets irgendwie präsent war und noch immer ist. Es ist eines dieser Alben, die eigentlich gar nicht wiederentdeckt werden müssen, da sie ohnehin längst zum festen Kanon der Populärkultur zählen. Die Frage lautet dann eher: Warum eigentlich? Vielleicht deshalb, weil THE DARK SIDE OF THE MOON ein nahezu perfektes Beispiel für jene Musikepoche abgibt, in der die Kunstform Langspielplatte in höchster Blüte stand – und dabei offenbart, dass dieses Format eben doch deutlich mehr sein konnte und kann als nur die Summe seiner Teile. Im Zweifelsfall sogar seit 50 Jahren ein Begleiter für weltweit fast 50 Millionen Menschen. In guten wie in schlechten Tagen.

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