Rock-Spezialitäten

Es hätte ein großer Wurf werden können: Das erste Live-Album vom Gun Club war überall heiß erwartet, doch jetzt entpuppt sich THE BIRTH, THE DEATH, THE GHOST (ABC/RT-Vertr.) als Mitschnitt von besserer Bootleg-Qualität. Trotzdem ein faszinierendes Dokument aus der Frühzeit der Band mit etlichen Songs, die auf keiner anderen Gun Club-LP zu haben sind. Sound (1), Repertoire (5).

WORLD! SHUT YOUR MOUTH! nennt Julian Cope, Ex-Teardrop Explodes, sein langerwartetes Solo-Debüt (Phonogram). Etwa, um Kritik vorzubeugen? Den großen Pop-Schwung von einst sucht man vergebens, dafür ist die LP ein ansprechendes Psychedelic-Werk, liebevoll produziert und voll guter, langsam wirkender Songs (5).

Eine Reihe Maxi-Singles: Das englische Duo Eyeless In Gaza besitzt mit Martyn Bates einen Sänger, dessen Stimme allein schon einen Song zu tragen vermag. „Sun Bursts In“ (Cherry Red) ist ein Live-Favorit der Band, den Produzent John Rivers im Studio etwas zu dünn in Szene gesetzt hat (3).

Nach langer Pause wieder eine neue Maxi von Orange Juice: „Bridge“ (Polydor Import) wurde von Dub-Spezi Dennis Bovell produziert und zeigt Sänger Edwyn Collins auf den Spuren seines Vorbildes AI Green. Schönes Gitarrensolo, den Tanzboden vorher bitte mit Schaumstoff auslegen (4).

Scritti Politti widmen ihre neue Maxi Aretha Franklin, Soul-Star der 60er Jahre. New Yorker Session-Musiker halten den musikalischen Teil von „Wood Beez“ (Virgin) so glatt wie möglich, doch ist Mr. Greens Stimme noch heute so reizvoll ungewöhnlich und androgyn wie auf dem 82er-Album SONGS TO REMEMBER (4).

Pete Bums von Dead Or Alive sieht aus wie eine Kreuzung aus Boy George und Kate Haysi Fantayzee. Um berühmt zu werden, versuchte er es bereits mit Depri-Sound, sanftem Pop und Elektro-Disco – auf „l’d Do Anything“ (CBS) ist’s diesmal harter, weißer Funk (3).

Lasche Routine liefern Blue Rondo auf „Slipping Into Daylight“ (Virgin), wo nicht einmal die Grundidee zündet (2).

Soft Cells Arrangement von Jack Hammers Rockabilly-Stück „Down In The Subway“ (Phonogram) schneidet in der Maxi-Konkurrenz am besten ab: Hinreißend lebendig und originell beweist dieser Song, daß unter Soft Cells Regie auch Studio-Elektronik imstande ist, das originale Feeling eines Songs zu erhalten – wenn nicht zu verbessern. Dabei sei nur an „Tainted Love“ erinnert (6), Für Sammler:“.Wonderland“ von Big Country als Doppelsingle (Phonogram Import). Die Live-Nummer „Lost Patrol“ wird durch vier Farbseiten Fotos illustriert (3).

Platz 1 der britischen Independent Charts wird z. Zt. blockiert von dem hierzulande völlig unbekannten Billy Bragg. der nur mit seiner Stimme und Gitarre eine Mini-LP eingespielt hat. Für Englands langjährige Tradition der Singer/Songwriter mit street credibilily endlich ein neuer Name, der ein fast vergessenes Genre neu aufpoliert und dessen Debüt „LIFE’S A RIOT WITH SPY VS. SPY“ (Rough Trade Vertr.) auf mehr hoffen läßt (3).

Zur jüngeren Garde der neuen Folkies gehört Kevin Hewick, der sich auf seiner neuen Maxi-EP (Cherry Red) von der Liverpooler Band The Sound begleiten läßt. Besonders die Songs auf der zweiten Seite gehören zu den skurrilsten Werken dieser Richtung und erinnern an die ambitionierten Kompositionen Roy Harpers ca. 1972 (4).

Die junge Poetin Anne Clark läßt sich auf ihrer LP CHANGING PLA-CES (RT-Vertr.) jeweils eine Seite von Vini Reilly (Durutti Column) bzw. David Harrow, einem Synthesizer-Spezialisten, begleiten. Miß Clark spricht ihre Texte wie engagierte Gedichte, wobei besonders David Harrows brodelnde Soundgebilde die ideale Begleitung bilden. Durchaus kommerziell und sogar in manchen Discos zu hören (4).

Aus Amerika eine neue Perle Marke Fleshtones/Dream Syndicate: Green On Red mit ihrer ersten LP GRAVITY TALKS: Nicht die High-Speed-Hitze einer Hexbreaker-Party. aber die gleiche, gewinnende Orgel auf den 12 fast durchweg tollen und eingängigen Songs – das Slash-Label bürgt für Qualität (5).

10000 Maniacs sind Favoriten in der John Peel-Show, doch ist ihr Album SECRETS OF THE I CHING so gut wie nirgends erhältlich. Ihr Gemisch aus allen New Wave-Spielarten kommt jedoch auch auf der Maxi „My MotherThe War“ zum Ausdruck, die über Rough Trade zu beziehen ist (3).

DIE RACHE DER ERINNE-RUNG: LP-Titel des Jahres? Unter diesem Motto haben sich eine Reihe Künstler der sogenannten „Jungen Wilden“ zu einer Plattenaufnahme zusammengetan, die man ganz prima als Muzak zum späten Sektfrühstück nutzen kann: Hits aller Epochen von „Billy Beat It“ über „1 and 1 is 1“ bis zurück zu „Drei Lilien“ werden mit künstlerischem Witz und der wahren Hingabe echter Fans mehr zelebriert als gespielt – da bleibt kein Auge (der Erinnerung) trocken. (Zick-Zack/Vertr., Das Büro, 4)