Yoko Ono – Season Of Glass

Aus dem Product Fact der Schallplattenfirma: „Veröffentlichungs-Argumente: Ca. 400.000 verkaufte LPs DOUBLE FANTASY haben Yoko Ono auch bei uns einem breiteren Publikum bekannt gemacht.“ Bullshit! Zynismus wie er nur mit der Sensibilität eines Geldschranks verzapft werden kann und mit einem Fingerspitzengefühl, das nur nochauf das Zählen von Dollar-Noten getrimmt ist. Ich werde mich daran erinnern, wenn uns wieder einmal ein neuer act als Mensch verkauft werden soll.

Außer Ratlosigkeit provoziert eine Veröffentlichung wie SEASON OF GLASS mit Sicherheit schon genügend Zynismus. Yoko Ono hat Johns blutverschmierte Brille für das Plattencover fotografiert. („Ich mußte mich dabei übergeben“.) Ihre Stimme ist noch brüchiger, noch unsicherer als sonst. („Haben mir dies die Kritiker nicht sowieso schon immer angekreidet?“) Dieses Album ist im Handel, gerade daß John ein paar Monate unter der Erde ist. Und erst die Songs! Einige von ihnen sind in ihrer Einsamkeit so egoistisch und in ihrer Trauer so entblößt. Warum macht sie das?

Yoko Ono hat Euch John weggenommen. Und jetzt hat man ihn ihr weggenommen. Seid ihr jetzt quitt? Aber so einfach geht das nicht. Die Lennons haben immer alles öffentlich getan. Ihr durftet mit voyeuristischer Freude ihre seelischen und körperlichen Hüllen fallen sehen. Jetzt dürft ihr auch Yokos Trauer teilen. Und euch Sean Ono Lennons „Little History“ anhören. Das ist nur fair.

Natürlich sind das nicht die Motive für dieses Album, das Yoko mit den Musikern aufgenommen hat, die schon DOUBLE FANTASY mitgestaltet hatten. Sie erklärt, daß ihr die Musik das Leben gerettet hat. Und Phil Spector, Co-Produzent, hat sich respektvoll ihren bescheidenen Arrangements unterworfen.

Yoko Ono machte schon avantgardistische Frauenmusik, als hierzulande „Women’s Lib“ noch als amerikanische Erfindung galt. Sie lebte ihre Vorstellung von der Frauenrolle so selbstverständlich, daß sie mit ihrem Song „Woman Is The Nigger Of The World“ neben den lauten, bücherschreibenden Kämpferinnen wie ein Mauerblümchen wirkte. Diese sanfte Konsequenz erlaubt es ihr jetzt, ihre angeknackste Konstitution ohne Versteckspiel offenzulegen. Und das geschieht sowohl in mädchenhafter Lyrik oder sentimentalem Countryfeeling als auch im dünnen Swing amerikanischer Nostalgie oder sparsam spröden, modernen Arrangements. (Sehr gut: „Dogtown“). Sie verarbeitet ihre Beziehung zu John, streift ihre Vergangenheit, festigt sich in ihrer Gegenwart und setzt den Schlußpunkt mit einem matriarchalischen Gebet, dem Mutter Unser … „Our Mother who art of the universe …“, leise, unspektakulär, aber kompromißlos. Eine Bewertung in Sternen? Überlaßt das den Zynikern!