Rock-Spezialitäten


Überzeugendes Comeback für den Pechvogel des ersten Halbjahrs ’83: Nach einem doppelten Beinbruch hat Fad Gadget seine Synthis ausrangiert und durch einen kompletten Big Band-Bläsersatz ersetzt, der auf der Maxi „I Discover Love“ (Intercord) im Swing-Arrangement eingesetzt wird. Frank „Fad Gadget“ Toveys knorrige Stimme sorgt gemeinsam mit der tollen Mädchenchor-Hookline für unvergeßliche Nachtclub-Atmosphäre. Mehr als Pop. (6)

Auch Johnny Lydons PL werben um größere Zuhörerschaft: „This Is Not A Love Song“ (Virgin) zeigt den „Copkiller“-Star in bester Form. Zwar haben die New Yorker Sessionmusiker auf dieser Maxi nicht die Ausstrahlung der ausgestiegenen Keith Levene/Jah Wobble, doch sind Ohr und Beine sofort bei der Sache. Vielleicht der große Durchbruch für PL – demnächst in deutschen Großarenen? (5)

Ein Hit vom Schlage „Je t’aime“ könnte „October Love Song“ (Rough Trade) werden. Das Londoner Duo Chris & Cosey, einst bei der Hardcore-Kultband Throbbing Gristle, hat sich von seiner Vergangenheit abgewandt – die neue Single bringt eine traumhaft einfache Synthi-Melodie und Coseys laszive Aufforderungen zu federndem Disco-Beat. Das Video dürfte Deutschlands Jugendschützer auf den Plan rufen. (5)

Neues vom Sektor Folk-Rock, der immer lebendig wird, wenn neue Trends auf sich warten lassen. Routinier Richard Thompson zieht seine Kreise und überrascht mit einer NewWave Kollaboration: Sein Partner ist Pere Ubu-Sänger David Thomas, der seine beachtliche Stimme an Songs erprobt, die tatsächlich an frühere Aufnahmen der legendären Thompson-Band Fairport Convention erinnern. Thomas‘ Spezialität, die „vocal Performances“, kommen ebenfalls nicht zu kurz. Die LP VARIATIONS ON A THEME (Rough Trade) zeigt neue Wege für elektrische Folkmusik. (4)

Daß ausgerechnet The Mekons, post-Punks der ersten Stunde, beim Folk landen sollten, ist eine noch größere Überraschung als die Thomas/Thompson-LP. Ihr Mini-Album THE ENGLISH DANCING MA-STER (CNT/Rough Trade Vertr.) spielt frech und unbefangen mit naturgetreuen Folk-Klischees: Fiedel und Ziehharmonika treffen New Wave-Gitarren und Dub-Effekte. Vier gute Songs, Versuch gültig.(4)

Folkeinflüsse ganz anderer Art bei Ex-Soft Cell Marc Almond und seinen Mambas: Auf TORMENTS & TOREROS (Phonogram/IMS) geht es über vier LP-Seiten spanisch bis dramatisch zu. Ein Doppelalbum mit Höhepunkten und Ausfällen, sehr vielen Musikern und viel Text auf dem Cover. (4)

Slash Records, ehemals auf US-Punk spezialisiert, bringt neben Dream Syndicate (siehe ME/S 10/ 83) und den Violent Femmes mit Rank & File eine dritte Band ins Rennen, die ihre Inspiration aus der Vergangenheit schöpft. Schon das Cover ihrer ersten LP SUNDOWN (Rough Trade Vertr.) zeigt die vier Westküstler als waschechte Cowboys. Musikalisch orientiert sich die Band am ehesten an den New Riders Of The Purple Sage, deren Qualitäten (eingängige Country-Songs mit harmoniegesang und zeitgemäß-ironischen Texten) sich auch bei diesen Newcomem wiederfinden. (4)

Fans der härteren (Country-)-Machart Marke Gun Club werden ihre Freude an Christian Death haben: Die LP ONLY THEATRE OF PAIN (Vertrieb: Normal, Bornheimer Str. 31, 5300 Bonn) stammt zwar schon aus dem letzten Jahr, doch nimmt die späte Europa-Veröffentlichung nichts von der Power des US Horror-Quartetts. (3)

Gleiche Stoßrichtung, doch weniger Pathos, findet sich bei Hack Hack aus England. Mit Enthusiasmus macht sich das Quartett daran, Gun Club („Ride A Horse“) und Birthday Party („Monster Ashtray Man“) auf eigener Spur zu überholen. Mäßig originell, aber sehr fetzig die Mini-LP „Despite Amputations“. (3)

Wie Hack Hack weist auch The Wicked Kitchen Statt auf Verbesserungen beim Shout-Label (Rough Trade-Vertr.) hin. Wo früher zweitklassige Gruftgesänge erschienen, bemüht man sich jetzt um mehr Ideen, was im Falle WKS zu einem orgiastisch-perkussivem Ritual gerät. Passend das herrliche Chaos-Cover und der Titel der Mini-LP: DEBBIE GRILLS PULLS HER SOCKS UP.(4)

Von Marlaria!, der Berliner Frauenband, die es nicht scharrte, gibt es eine posthume Live-Kassette aus den USA, die die Gruppe so zeigt, wie man sich auch von deutschen Konzerten erinnert. „Revisited“ stammt aus dem angesehenen Hause ROIR-Tapes (Vertrieb: Normal/RoughTrade).(3) Die kleine Holländerin Mathilde Santing hat mit zwei Freunden die M.S. Combo formiert und bringt nach ihrem erfreulichen Debüt vier neue Songs, von denen Elvis Costellos „Hand in Hand“ herausragt. (NL-Import). (4)

Zum Schluß die Wiederveröffentlichung des Monats: „Gary Gilmore’s Eyes“, klassische Single der Adverts aus dem Jahre 1977. (Rough Trade Vertr.) (5)