Schwarzes Schaf: der unaufhaltsame Abstieg des Ike Turner, letzter Teil


Turner deep, Tina high. Je mehr Erfolge seine Ex-Frau feiert, desto rapider geht's mit Ike Turner bergab. ME/Sounds besuchte den Unglücksraben auf der vorläufig letzten Stufe seiner Karriereleiter: hinter Gittern.

Ike sitzt im Besucherraum eines kalifornischen Gefängnisses und übt sich in Spitzfindigkeiten. Diskutiert wird die Frage, ob Turner, der bereits 13 Monate einer vierjährigen Haftstrafe wegen Kokain-Besitzes abgesessen hat. von der Droge tatsächlich jemals abhängig war. Klar, er hat das Zeug 20 Jahre lang genommen. Und ja doch. 1989 hat er innerhalb von zwei Monaten Koks im Wert von 100.000 Dollar gekauft (das meiste davon hätten ihm Freunde gestohlen, behauptet er). Als weiteren Beweis seiner innigen Beziehung zum Kokain schiebt sich Turner, gut sichtbar für den Besucher, einen Filzstift durch die Nasenscheidewand. „Siehst du das?“ fragt er. „Ein richtiges Loch, geht glatt durch.“ Trotzdem sagt er etwas später: „Ich weiß nicht, ob ich wirklich abhänig war.“

Turners Begabung, Dinge abzustreiten, die anderen ganz eindeutig erscheinen, hat einiges zu seiner Metamorphose vom Popstar zum Knastbruder und dem Scheitern seiner I jährigen Ehe mit Tina beigelragen. Diese mutmaßt in ihrer 1986 erschienenen Autobiographie „I Tina“, daß Drogen den weniger angenehmen Charakterzügen ihres Ehegespanns noch zusätzlichen Auftrieb verschafft hätten. „Er war schon immer gewalttätig“, schreibt Tina, die angibt, von Ike regelmäßig geschlagen worden zu sein.

„aber das Kokain machte es noch viel schlimmer.“

Turner, mittlerweile 58. war seit 1974 Stammkunde bei Kokain-Dealern und schaffte es erst nach seiner Festnahme im letzten Jahr, von der Droge wegzukommen. Sein Vorstrafenregister konnte sich schon vorher sehen lassen: zehn Verhaftungen und zwei Gerichtsurteile. „Ich hab mich 15 Jahre lang auf derselben Party rumgetrieben“, sagt er. „Dieses Loch war so schlimm, daß ich nachts versuchte, meine Hand die Nase hochzuschieben … solche Schmerzen waren das. Das erste, woran ich am Morgen dachte, war Kokain, um den Schmerz zu betäuben. „

Seine neue Heimat bis mindestens 1991 (dann kann er seinen ersten Antrag auf vorzeitige Entlassung stellen) ist im Vergleich zu anderen amerikanischen Gefängnissen das reinste Erholungsheim: Die Insassen können frei inmitten von gepflegten Rasenflächen und Blumenbeeten herumspazieren. Basketball spielen. Bodybuilding betreiben und sich die Außenwelt durch Stacheldraht ansehen. Aus den Auseinandersetzungen verfeindeter Lager-Gangs hält sich Turner heraus: „Ich komme mit allen zurecht… Latinos, Schwarzen, Klan-Brüdern und Skinheads. „

„Bei seiner Ankunft machte er erstmal jedem klar: „Hey, ich bin Ike Turner'“, berichtet einer der Wärter. „Für die Jüngeren hier ist er eine ganz große Nummer.“

Die lebende Knast-Legende wuchs in einem Kaff in Missouri auf. Als sein Vater, ein Baptisten-Prediger, bei einer Prügelei ums Leben kam, heiratete seine Mutter noch einmal, aber an Ikes freudlosem Leben änderte sich dadurch wenig. „Mein Stiefvater und meine Mutter stritten sich dauernd“, sagt er. „Eines Tages kam er nach Hause und demolierte ihre Nähmaschine. Dafür bekam er von ihr eine Bratpfanne über den Schädel.“

Ike flog in der achten Klasse von der Schule und fing an. sich in örtlichen Spelunken herumzutreiben. 1948 gründete er seine erste Band, die Kings of Rhythm. Anfang der Fünfziger traf er in East St. Louis eine gerade 16jährige junge Dame namens Anna Mae Bullock, die innerhalb eines Jahres unter dem Showbiz-gerechteren Namen Tina zur Hauptattraktion der Gruppe wurde. Mit „A Fool In Love“ hatten die beiden ihren ersten Hit. 1962 schwor man sich in Tijuana ewige Treue. „River Deep, Mountain High“ katapultierte sie 1965 an die Spitze der Soul-Charts, und 1969 rockten sie mit ihrer Cover-Version von „Proud Mary“ den Hippies in Woodstock die Marihuana-Schwaden aus den Köpfen.

Um ihre Ehe war es zu diesem Zeitpunkt bereits weniger gut bestellt. Seine Schürzenjägerei war dabei nur eines von vielen Problemen. „Ich hab’s mein Leben lang getrieben“, sagt Ike, der einmal behauptete, sich zu Tinas Zeiten mit mehr als 100 Frauen vergnügt zu haben, „Im Moment kann ich nicht feststellen, ob es besser geworden ist.“

Ein weiterer kritischer Punkt war sein aufbrausendes Temperament. Einer der schlimmsten Zwischenfälle ereignete sich Ende der Sechziger in Dallas: „Nach der ersten Show zog ich mich um, und als ich aus der Garderobe kam, stand Tina da und schrie mich an“, erinnert er sich. „Ich sagte: ‚So redest du nicht mit mir!‘, und dann knallte ich ihr eine. Ich kann’s nun mal nicht ausstehen, wenn Frauen mich anschreien, ich schwör’s bei Gott. „

An diesem Abend spielten sie zwei Konzerte. „Tina kam auf die Bühne – sie kann einiges aushalten, Mann – und zog ihre Show ab. Hinterher fragte ich sie: ‚Wo willst du essen?‘ Sie sagte: ‚Ike, bring mich ins Krankenhaus. Ich glaube, mein Kiefer ist gebrochen.‘ Sie hat sich den ganzen Abend nichts anmerken lassen.“

Nach Ikes Meinung war das alles naturlich nicht seine Schuld: „Tina konnte nicht zwischen Ehefrau und Angestellter unterscheiden, sie begriff nicht, daß es auf der Bühne nun mal anders zugeht als daheim. Bei unseren Auseinandersetzungen ging es immer darum, daß sie wegen irgendwas deprimiert war. Das kann mich fertigmachen, wenn jemand sich Sorgen macht und nicht sagt warum. Das läßt mich nicht mehr los, und dann schlag ich zu.“

Selbst nach der Scheidung hatte Tina Angst vor ihrem Ex-Gemahl. 1981 behauptete sie, jemand hätte auf ihr Haus geschossen. In ihrem Buch schreibt sie: „Damals begannen die Bullen auf diesen Ike Turner aufmerksam zu werden.“

Ike, außer sich wegen dieser Unterstellung, verteidigt sich vehement. „Ich hatte mit diesen Schüssen nichts zu tun. Wenn ich ihr etwas hätte antun wollen, Mann, und das weiß Tina ganz genau, dann wäre ich losgezogen und hätte das verdammte Haus in die Luft gejagt. Ich hatte nicht die Absicht, ihr oder den Kindern zu schaden. So etwas wäre mir nicht im Traum eingefallen!“

Tina gibt an, auf alles verzichtet zu haben – „Vermögen, Masterbänder, Rechte, Tantiemen“ – um Ike endlich loszuwerden. Der wiederum besteht darauf, außer Schulden, Problemen und mickriger 6.000 Dollar Tantiemen pro Jahr nichts gesehen zu haben. Im Gegenteil, Tina schulde ihm auch heute noch Geld. „Nach meiner Entlassung werde ich unseren Scheidungsprozeß neu aufrollen und sie wegen übler Nachrede verklagen. Ich liebe sie immer noch, aber daß sie vergessen hat, wo sie herkommt, das nehme ich ihr übel. Letztes Jahr soll sie 35 Millionen verdient haben. Dabei gehört der Name ‚Tina Turner‘ eigentlich mir. Unter 70 Millionen kommt sie nicht weg.“ „Ich glaube nicht, daß er damit durchkommt“, sagt Hy Mizrahi, seit 20 Jahren Ikes treuer Freund und Agent.

„Er ist einfach selbst schuld. Wenn überhaupt, hat Tina ihm auf die Beine geholfen. Sie und ihr Manager Roger Davies haben sich uns gegenüber sehr anständig verhalten. Ike wird das schon noch kapieren und das Gefängnis als besserer Mensch verlassen.“

Vielleicht. In der Zwischenzeit steht er um 6 Uhr auf. arbeitet sechs Stunden täglich in der Gefängnisbücherei und schmiedet Pläne für eine neue Karriere. „Gute Songs, gute Mitmusiker – ich habe alles, was es braucht, um hier rauszukommen und die Nr. 1 zu werden“, sagt er. „Mit Drogen habe ich nichts mehr am Hut.“

Mizrahis Kommentar dazu: „Ich glaube schon, daß er es noch einmal schaffen kann. Wenn jemand neun Leben hat, dann Ike Turner. Aber acht davon ist er schon los.“