Scorpions – Hülle in Fülle


50 000 DM diverse Graphiker und dicke Nerven waren notwendig die Scorpions endlich das Cover ihres neuen Albums in den Händen hielten.

„So, so, du willst also meinen Leidensweg aufrollen“, seufzte der Art Director der Kölner Plattenfirma EMI Electrola. Nach fast einjährigem Hin und Her, nach außergewöhnlichen finanziellen Investitionen, nach Pannen, Mißvertändnissen und Sackgassen konnte er Anfang Februar das Kapitel Scorpions endlich abhaken.

Der Fall mag in diesen Dimensionen einmalig sein, macht aber zumindest deutlich, wie schwer es geworden ist, gesteigerte künstlerische Ansprüche (der Musiker) und verpackungs- und werbetechnische Gesichtspunkte (der Plattenfirma) auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die minutiösen Überlegungen, die hinter der Produktion dieser Plattenhülle stecken, müssen dabei dem Laien als überspitzt, ja geradezu absurd erscheinen – selbst dann, wenn man in Rechnung stellt, daß die Scorpions als beinharte Perfektionisten berüchtigt sind.

„Es fing“, so Scorps-Sänger Klaus Meine, „eigentlich alles mit dem Namen „Blackout“ an. Rudolf (Schenker) hatte die Idee, als wir damals auf Tour in Amerika waren – und zwar nach einer langen und chaotischen Nacht in Cleveland. Wir haben uns dann im März ’81 mit unseren Freunden von (der Londoner Ideen-Fabrik) Hipgnosis zusammengesetzt, die ja schon die Cover für LOVEDRIVE und ANIMAL MAGNETISM gemacht hatten. Wir haben uns damals schon darauf geeinigt, daß wir für dieses Album nicht wieder eine Sex-Kiste haben wollten wie bei den beiden letzten Alben. Das war irgendwie ausgepowert. Sicher, LOVEDRIVE war ein phantastisches Cover (der „Playboy“ wählte es zum „Cover des Jahres“), aber bei ANIMAL MAGNETISM gingen die Meinungen schon auseinander.

Wir haben dann Hipgnosis ein paar Basic Tracks vorgespielt, um ihnen ein Feeling zu geben, wie unser Album in etwa klingen würde. Wir glauben, daß es sehr rockig und direkt geworden ist -und das sollte sich auch auf dem Cover niederschlagen. Es sollte unmittelbar auf’s Auge gehen.

Nach ein paar Wochen kam der Mann von Hipgnosis ins Studio und legte uns etwa zwei Dutzend Demo-Cover vor. Davon kamen drei oder vier in die nähere Auswahl. Wir haben weiter gesiebt, es Bekannten gezeigt, die Wirkung getestet, bis sich ein Entwurf herauskristallisierte, den auch Hipgnosis favorisierte: Vorne ein Swimmingpool, bei Nacht erleuchtet – und in dem Pool treibt leblos eine Person: Blackout!

Aber bei näherem Hinsehen hatten wir dann doch unsere Zweifel. Irgendwie war uns das schon wieder zu finster, zu negativ. Blackout – schön und gut, aber eine Leiche auf dem Cover wollten wir auch nicht gerade. Nachdem wir es dann schweren Herzens abgelehnt hatten, nahm es übrigens Cozy Powell für sein Album TILT.

Es ging wieder einige Zeit ins Land, auch bedingt durch meine Stimmband-Probleme, und wir sagten Hipgnosis: „Macht doch noch mal was ganz Neues“.

Wieder ein paar Wochen später legten sie uns dann nochmals 15 bis 20 Entwürfe vor, von denen sich dann das – endgültige – Motiv mit der zerberstenden Glasscheibe herauskristallisierte. Das hatte extreme Bewegung und Power und ging genau auf den Punkt. Hätten wir damals nur gewußt, auf was wir uns da einließen …

Wir hatten zwar die Befürchtung, das ließe sich schwer fotografieren, doch Hipgnosis meinte, daß es schon klappen würde. Als sie uns dann aber – nach diversen zerschlagenen Scheiben – das endgültige Foto zeigten, fiel uns nur noch der Unterkiefer herunter. Das sah einfach völlig beknackt aus. Sie hatten die Glassplitter mit Fäden an der Decke aufgehängt, die dann anschließend wegretuschiert werden sollten. Aber das Bild war hoffnungslos tot. „Tut uns leid“, haben wir gesagt, „aber da müßt ihr wohl oder übel nochmal ran“.

Der nächste Versuch war zwar erheblich besser, aber dies mal sah es so aus, als sei der Typ ins Eis eingebrochen. Mit Blackout hatte das nichts mehr zu tun. Außerdem sah er viel zu New Wave-mäßig aus, was wohl auch nicht so recht zu uns gepaßt hätte.

Parallel dazu hatten wir einen guten Freund aus Hannover damit beauftragt, die Szene doch einmal zu zeichnen. Er hat das auch ganz gut hinbekommen, jedenfalls war’s besser als die Fotografie, aber die rechte Power hatte es auch nicht.

Inzwischen hatten wir schon die Nase gestrichen voll und überlegten, ob wir die ganze Sache nicht sausen lassen und ein einfaches Gruppen-Foto nehmen sollten. Nun hatte sich aber unsere Plattenfirma auf dieses Glas-Motiv versteift. Sie wollten eine riesengroße Schaufenster-Kampagne machen gleich in 300 Plattenläden in ganz Europa. Es sollte so aussehen, als flöge jemand von innen durch die Scheibe des Plattengechäftes.

Also haben wir uns noch einmal zusammengesetzt und kamen auf die Idee: ‚Das muß ein Foto-Realist malen‘. Es muß so perfekt sein, daß man nicht mehr unterscheiden kann, ob es nun gemalt oder fotografiert ist.

Und so kamen wir auf den Hein wein in Wien, der vermutlich der beste Foto-Realist zumindest in Europa ist. Wir haben ihn kontaktiert, alles war klar, er wollte nur noch die Platte hören – aber irgendwie verlief das wieder im Sande, weil wir zu dieser Zeit noch einmal ins Studio mußten. Als wir uns dann wiederum die Angelegenheit kümmern konnten, hörten wir zu unserem Erstaunen, daß unsere Firma einen anderen Foto-Realisten in Duisburg damit beauftragt hatte.

Wir kommen also wieder zur EMI und glauben, uns trifft der Schlag. Da hatte dieser Maler das zwar handwerklich phantastisch gemacht, war aber total am Thema vorbeigegangen. Das war kein Typ, der geistig weggetreten ist und einen Blakkout hat, sondern jemand, der völlig klar im Kopf ist. Es sieht aus, als würde er gerade beim Juwelier einsteigen. So wie ein Einzelkämpier. Pure Aggression. Außerdem ähnelt dieser graumelierte Herr dummerweise sehr dem Schauspieler Klaus Löwitsch. Da gab’s eben Kominunikationsschwierigkeiten zwischen dem Maler und der EMI, die ihm unsere Vorstellung nicht exakt klargemacht hat.

Nun war natürlich die EMI leicht genervt und hat uns gesagt: „Tja, wenn ihr so pingelig seid, dann sucht euch doch in Gottes Namen selbst ein passendes Modell“.

Die Zeit wurde allmählich knapp, wir mußten etwas unternehmen. Also sind wir gleich an Ort und Stelle zu Saturn gegangen, dem großen Plattenladen in Köln in der Hoffnung, dort ein geeignetes Gesicht zu finden. Die Hausdetektive haben uns schon mißtrauisch beäugt, da wir uns ja für die Schallplatten offensichtlich gar nicht interessierten. Es war natürlich keiner dabei, die Leute sahen viel zu durchschnittlich aus.

Also haben wir noch einmal einen letzten Versuch unternommen und uns hinter Heinwein geklemmt. „Ich bin nach wievor ganz heiß darauf“, hat er uns gesagt ’nur habe ich nichts mehr von eurer Firma gehört.‘ Wir haben uns daraufhin mit ihm getroffen, die persönliche Basis war vom Feeling her auch gleich da. Im „Stern“ war damals das gleiche Motiv, sein Selbst-Porträt, das er dann auch in abgewandelter Form für uns benutzt hat. Und schon damals haben Rudolf und ich gesagt: „Mensch, das wäre doch ein tieriesches Cover für Blackout“. Der einzige Haken war der, daß es mit unserem ursprünglichen Glas-Motiv nichts zu tun hatte. Wir haben ihm also gesagt: „Gottfried, wenn du diese Verrücktheit, das Ausgeklinkte aus deinem Selbst-Porträt mit der Glas-Kiste kombinieren kannst – dann wäre es das Non-Plus-Ultra!“

Inzwischen fanden wir die Idee auch viel geiler, daß das Glas – so wie in der „Blechtrommel“ – nur durch seinen Schrei, durch seine innere Power zerspringt – und nicht dadurch, daß ein Typ durch die Scheibe fliegt. So hoben sich die Schwerpunkte im Laufe der Monate verschoben.

Heinwein hat es zwar ganz neu gemalt, aber ist von dem gleichen Motiv ausgegangen. Fünf Tage etwa hat er dafür gebraucht – und dabei in seinem Atelier auch diverse Scheiben zerschlagen, um die Reflektion der fliegenden Splitter zu studieren. Er arbeitet wahnsinnig schnell, braucht halt nur viel Zeit für die Vorbereitung. Und er steht auch total drauf, etwas mit einer Rockband zu machen. Für den Franz Marak hat er ja neulich auch das Tour-Poster gemacht.

Grundsätzlich bevorzugen wir ein fotografiertes Cover, weil das viel härter und extremer wirkt als eine Zeichnung. Nur – fotografieren ließ es sich in diesem Fall nun mal nicht. Was Helnwein gemacht hat, ist daher die optimale Lösung.

Wir versuchen halt bei jeder Platte ein Cover zu finden, das die musikalische Stimmung auch optisch rüberbringt. Beides muß stimmen. Wenn die Musik es nicht bringt, kann das Cover noch so gut sein – die Platte verkauft sich dadurch nicht mehr. Obwohl Verpackung vom kaufmännischen Standpunkt sicher sehr wichtig ist, interessiert uns das zunächst einmal weniger. Unser erster Gedanke ist, eine runde Sache abzuliefern. Ein gutes Cover zu machen, kann dir genauso einen Kick geben wie ein optimal zusammengestelltes Album. Bei LOVEDRIVE stimmte alles haargenau, bei ANIMAL MAGNETISM waren wir weder mit dem Cover noch mit der Zusammenstellung der Musik hundertprozentig zufrieden. Bei BLACKOUT nun paßt wieder alles traumhaft zusammen auch wenn wir es erst in allerletzter Minute gepackt haben.