Spritzig an die Spitze


In Europa machten sie erst im vergangenen Jahr von sich reden. Nun sind Blink 182 auch hierzu Lande in aller Munde. Zoten und Chart-Erfolge machten sie berühmt. Doch die Punk-Popper aus den USA können auch anders.

Was war das denn jetzt? Verwundert zieht der neugierige Reporter von dannen, im Gepäck die Aufzeichnungen eines Gesprächs, das so ganz anders verlaufen ist, als man das zuvor hätte vermuten dürfen. Für Christine aus Los Angeles, Pressebetreuerin von Berufs wegen und daher momentan ständig mit den Jungs von Blink 182 zusammen, waren die vorangegangen 45 Minuten hingegen kaum eine Überraschung. „They’re not on stage, you know“, sagt sie und verabschiedet sich mit einem Lächeln. Besagte Dreiviertelstunde zuvor sitzen sie artig nebeneinander auf dem Bett. Mark Hoppus und Travis Barker haben jeder eine Tasse Kaffee neben sich stehen und passen höllisch auf, dass auch ja nichts aufs Laken tropft. Mark spielt bei Blink Bass und singt, Travis ist der Schlagzeuger. Einer fehlt – und zwar aus gutem Grund: Sänger Tom DeLonge hat im heimatlichen San Diego soeben Freundin Jennifer Jenkins geehelicht und glänzt durch flitterwochenbegründete Abwesenheit. Zur Feier des Tages hatte Tom übrigens jedem seiner Hochzeitsgäste ein silbernes Jo-Jo vom New Yorker Nobeljuwelier „Tiffany’s“ geschenkt“ – ein nicht ganz billiger Spaß, den sich der 25-Jährige aber locker leisten kann. Haben Blink 182 doch von ihrem letzten Studioalbum „Enema Of The State“ allein in den Staaten saue vier Millionen Stück verkauft. „Eine halbe Million hätte es wohl auch getan“, findet Barker. „Das hätte vollkommen gereicht. Man überlegt sich gar nicht so sehr, was alles passieren kann, wenn man auf einmal richtig viel verkauft. Auf einmal aber ist es passiert, und man hat prompt keine Ahnung, wie man sich nun verhalten sollte.“

Inzwischen allerdings weiß er es. Aber nicht immer. Wenn seine Freundin mit ihm in ein teures Restaurant gehen will, fühlt sich Travis immer noch unbehaglich: „Die gucken einen da immer so abschätzig an. Sollen sie doch. Denn statt eines Mercedes oder BMW kauft sich der Drummer lieber 40 alte Cadillacs, denn „preislich kommt sich das gleich“. Alte Ami-Schlitten mag Travis. Auf teure Designer-Klamotten legt er dagegen weniger wert: „Mir reichen meine alten T-Shirts“, sagt der 25jährige trotzig. „Wenn ich ins Flugzeg steige und in die erste Klasse möchte, halten sie mich jedesmal, aber auch wirklich jedesmal auf und sagen: ‚Sir, hier sind Sie falsch.‘ Wenn du den äußeren Standards nicht entsprichst, können es viele Leute nicht akzeptieren, dass du im Restaurant das selbe teure Essen bestellst oder dich auch nur im selben Raum mit ihnen aufhältst.“

Nun sieht Travis mit seinen wüsten Piercings und Tattoos in der Tat etwas anders aus als der Rest der Welt, aber schick Essen gehen ist künftig wahrscheinlich noch öfter angesagt. Denn sie liest sich imposant, die Chartbilanz von Blink 182: „Take Off Your Pants And Jacket“, ihr fünftes Album, marschierte gleich in der ersten Woche nach Erscheinen von Null auf Platz eins, und zwar nicht nur im heimischen Amerika. Nein, auch hier zu Lande belegte die Platte ohne lästige Umwege den Spitzenplatz der offiziellen Verkaufshitparade. Alle, die schon mal ein Konzert der drei Paradiesvögel von Blink 182 erlebt haben, wissen: Auf der Bühne bietet diese Bande eine ganz anderes Bild als hier auf dem Bett. Für jene, die noch in Unkenntnis leben und auch den Riesenhit „All The Small Things“ verschlafen haben: Blink 182 (die anfangs nur Blink hießen, sich dann aber umbenennen mussten, weil ein paar Iren den Namen schon besetzt hatten) mischen in ihren Songs Pop mit Punk. Oder besser Punk mit Pop – kommt am Ende zwar aufs Selbe raus, hört sich aber kredibiler an. On stage jedenfalls, da lassen sie die Sau raus. Und zwar buchstäblich. Gern entledigen sich die beiden Frontleute – auch Mark singt bei einigen der Blink-Stücke – bei Konzerten eines Großteils ihrer Kleidung und ergehen sich in Unanständigkeiten aller Art. Travis: „Mark und Tom veranstalten das reine Chaos. Sie tanzen und furzen und donnern ihre Gitarren auf den Boden. Dabei erzählen sie sich zwischen den Songs Geschichten, jeden Abend andere.“ Das erst vor wenigen Monaten erschienene Live-Album „The Mark, Tom and Travis Show (The Enema Strikes Back)“ ist in seiner ganzen albernen Zotigkeit deshalb nachhaltig zu empfehlen.

„Ich selbst bin eigentlich auch ein verrückter Arsch, aber mein Job ist es, alles zusammenzuhalten“, so Drummer Travis, der vor Blink – wer hätte es gedacht? – seit der sechsten Klasse zehn Jahre lang in einer Jazzband gespielt hatte („Was war ich damals uncool!“) und zeitweise selbst vor Marschmusik nicht zurückschreckte. „Beim Jazz“, rechtfertigt sich der Blink-Schlagzeuger, „habe ich gelernt, wie man spielt. Das war eine sehr ausgiebige Form von formalem Training.“ 1997, nachdem sie mit ihrem Album „Dude Ranch“ gerade einen ersten Achtungserfolg gelandet hatten (die Platte verkaufte schließlich 500.000 Exemplare), klopften Mark und Tom dann an und fragten Travis, ob er nicht als Ersatz für ihren damals überforderten Gründungsdrummer Scott Raynor einsteigen wollte. Ab da ging es richtig los. Die Musik von Mark, Travis und Tom ist kein Treppenwitz. Okay, beim schlüpfrigen Titel ihres neuen Albums, „Take Off Your Pants And Jacket“, kann, muss und soll man stutzen. Wenn man denn in Amerika lebt. Im Rest der Welt stößt der Plattentitel weitgehend auf naturgegebene Sprachbarrieren. „To jack it“ bedeutet nämlich im US-Slang – pardon „sich einen runterholen“. Da grinsen sie, die kleinen pubertierenden Fans. Auf dem Soundtrack zur Popp-Klamotte „American Pie“ waren Blink 182 denn auch folgerichtig mit von der Party. Und auch deren Fortsetzung werden sie wieder bereichern, und zwar mit dem nicht auf „Jacket“ enthaltenen Track „Everytime I Look At You . Was die musikalischen Abilitäten des Trios betrifft, so drängt sich der Begriff „underhyped“ auf. Denn je größer die öffentliche Aufmerksamkeit, desto tiefer stapeln Mark, Tom und Travis mit ihren Fähigkeiten. „Wir wollen auf der kommenden Tour noch schlechter spielen als auf der letzten“, gab Hoppus gegenüber den „MTV News“ zu Protokoll. „Geübt haben wir überhaupt nicht, und auch die Texte kann keiner. Letztes Mal haben wir einige der Songs wirklich gut gespielt, das wollen wir diesmal vermeiden. Soll bloß keiner denken, wir wären talentierte Musiker.“

Hier, heute Morgen auf dem Bett, jetlagged, wie sie sind, rücken Mark und Travis aber auch schon mal mit einer realistischeren Einschätzung raus. Sie sind schlicht zu müde, um den üblichen Bullshit zu erzählen. Denn selbstverständlich haben die Blink-Jungs ihre Instrumente im Griff. Nicht zuletzt ihre Fähigkeit, melodische Punksongs zu schreiben, deren kompositorische Qualität bisweilen selbst strengere Kritiker zu anerkennenden Äußerungen nötigt, hat die Jungs dahin gebracht, wo sie heute sind – an der Spitze. Man will ja nicht mit dem Finger auf andere zeigen, aber die Fertigkeiten von beispielsweise Wheatus oder Green Day, als deren Erben Blink 182 oft gelten, reichen nicht an die musikalischen Fähigkeiten des kalifornischen Trios heran. Mark Hoppus, mit 29 Jahren der Älteste der drei Blinks und offenbar auch der Eloquenteste, sagt dazu: „Unsere wichtigste Mission ist es, bessere Songs zu schreiben als die, die wir zuvor zu Papier gebracht haben. Take Off Your Pants And Jacket‘ ist eine Platte, die uns sehr leicht von der Hand gegangen ist. Wir waren alle sehr enthusiastisch, haben toll zusammengearbeitet, und nach drei Wochen war das ganze Ding im Kasten.“ Einen Hauch mehr Härte haben Blink 182 ihren neuen Liedern verpasst. Toms Gitarren wirken energischer und stechen etwas stärker hervor. Ganz so poppig wie in „All The Small Things“ geht es jedenfalls nicht mehr zu. Noch mal Mark: „Wenn du jedes Jahr ein Album schreibst, passiert auch jedes lahr etwas anderes. Diese Platte ist etwas rauher, schneller und härter, aber trotzdem bin ich zuversichtlich, dass die Kids sie lieben werden. Wir schreiben die Songs zwar mit unseren Fans im Hinterkopf, aber wir denken nicht: ‚Hoffentlich gefällt es den Kids‘ oder .Hoffentlich gefällt es dem Radio‘.“

Dennnoch, den Durchbruch in den Staaten haben Blink 182 dank massiver Medienpräsenz in Radio und MTV geschafft. Die Bandmitglieder selbst sind die letzten, die diess Tatsache nicht einräumen würden. „Die meisten unserer Fans sind Teenager, die uns aus dem Fernsehen kennen. Manchmal kommen aber auch Leute, die so alt sind, dass sie noch die Buzzcocks, die Ramones oder Iggy Pop am Anfang von deren Karriere gesehen haben. Das sind Ausnahmen, aber wir lieben diese alten Punks. Mit denen kann man am besten über Musik diskutieren.“ Selbstredend sind Blink 182 nicht als MTV-Band zur Welt gekommen. Sie haben sich ihre Meriten und ihre Anhänger erst erspielen müssen, und zwar „the hard way“. Mit Bands wie Pennywise und NoFX tourten sie Mitte der Neunziger unablässig durch die Staaten, aber auch durch Australien, Japan und Europa. Und während ihre Popularität bei den Punk-Fans allmählich zunahm, wurde die Zeit, die fürs geliebte Surfen und Skateboardfahren blieb, kontinuerlich weniger. „Als wir vor fünf Jahren anfingen, war die Skatepunk-Szene in Südkalifornien ganz groß“, blickt Mark wehmütig zurück. „Es war stark, jeden Tag konntest du zu irgendeiner Show gehen, mit Freunden abhängen, dich prügeln. Kurz: Es war wunderbar. Leider ist das heute alles etwas anders. Die Dickies, Rhythm Collision, NoFX – das waren tolle Bands, aber man hört nicht mehr viel von ihnen.“ Der geliebten „Warped Tour“, auf der sie 1996 und 1997 mitspielten, haben Blink nicht umsonst ihre aktuelle Single „The Rock Show“ gewidmet. Die Story: Mark lernt während „Warped“ ein Mädchen kennen – der Beginn einer bittersüßen Teenager-Romanze.

Wenn eine Karriere so verläuft wie die von Blink 182, gibt es immer Zeitgenossen, die derart erfolgreichen Musikern kommerziellen Ausverkauf nachsagen, ihnen ankreiden, frühere Ideale verraten zu haben und nur noch dem Kommerz das Wort zu reden. Mark Hoppus weiß: „Diese Typen sind gelegentlich echt herb und können richtig agressiv werden. Was wollen die überhaupt? Wir haben nie behauptet, dass wir eine Underground-Punkband sein wollen. Wir haben nie behauptet, dass wir MTV scheiße finden und keine Videos drehen. Wir haben auch nie behauptet, dass wir keinen Bock drauf haben, unsere Songs im Radio zu hören. Ich werde später jedenfalls nicht darüber heulen, dass ich meine Band nicht so weit gebracht habe wie irgend möglich, weil ich Angst hatte, dass irgendein Schwachkopf mir den Sellout vorwirft.“ Erwachsen wollen diese Youngster erst gar nicht werden. „Man kann schon sagen, dass wir auf dem Stand von 18-jährigen Kids sind, die gerade frisch aus der Highschool kommen“, räumt Travis Barker ein, der am Vorabend beim Einchecken ins schicke Hotel Ärger bekam, weil er den in seine Jacke integrierten CD-Spieler nicht ausschalten wollte. „Jeder Erwachsene würde sich doch wünschen, sich hin und wieder wie ein Kind benehmen zu können. Lind wir tun das eben, weil wir die Möglichkeit dazu haben. Als Jugendlicher willst du skateboarden, einen trinken, mit den Mädels abhängen und Spaß haben. Wir tun genau das. Mit dem Unterschied, dass wir deswegen nicht mehr den Unterricht schwänzen müssen.“ Stimmt natürlich nur halb, denn seit der Erfolg Travis, Sänger Tom DeLonge und Hoppus mit dem Holzhammer traf, heißt es fast jeden Morgen: früh aufstehen, diszipliniert schuften, aber dabei immer so wirken, als sei alles die leichteste Sache der Welt.

Mit dieser Masche haben die Drei es geschafft, sich quasi als die großen Brüder ihrer jugendlichen Klientel zu etablieren. Mark, Travis und Tom sind in hohem Maße glaubwürdig; hier merkt der Fan sehr schnell, dass er nicht für dumm verkauft wird. Logisch, Teenager sind Blink 182 schon lange nicht mehr. Aber es gelingt ihnen in so manchem Text, sich ins Seelenleben der Girls und vor allem der Boys zwischen 12 und 22 einzuklinken. Wenn Tom DeLonge in „Story Of A Lonely Guy“ über einem herzigen Gitarrenriff klagt, „just a stupid worthless boy“ zu sein, wirkt das absolut aufrichtig und unaffektiert. Mark: „Wir sind keine wilden Rebellen, aber wir reden über die Dinge, die einen im Leben beschäftigen. So viele – ob Lehrer, Eltern oder der Idiot, dem das Hotel hier gehört – wollen einem sagen, was richtig ist und was falsch. Wir sind aber der Meinung, dass der einzige vernünftige Weg, der dich zu einem verantwortungsvollen Erwachsenen macht, der ist, aus deinen eigenen dummen Fehlern zu lernen.“ Dass die Blink’schen Botschaften zielgruppengerecht dargeboten werden – fair enough. Wer gern „South Park“ guckt und sich dort etwa an den fortwährend furzenden Terence und Phillip zu ergötzen vermag, ist genau richtig in einer Blink-Show. Im Video zu „What’s My Age Again?“ traten Blink überwiegend nackt auf- keine sonderlich gute Idee. Und so war die Entscheidung der MTV-Macher, die Gemachte der Jungs im Clip unkenntlich zu machten, kein schlechter Einfall. „Peinlich war mir das im Nachhinein schon“, behauptet Mark, „was ja echt nicht allzu häufig vorkommt. Ich kam mir sehr unwohl dabei vor und war überglücklich, dass kaum einer unsere Schniedel gesehen hat – nur im Internet gab es die unzensierte Version. Wären wir auch im Fernsehen nackt zu sehen gewesen, hätte uns das bestimmt einige Fans gekostet.“ Dennoch, die Kindsköpfigkeit gehört quasi zum Konzept von Blink 182. „Es kommt vor, dass wir anderthalb Stunden nur Faxen machen“, sagt der Bassmann. „Aber garantieren tun wir das nicht. In letzter Zeit geben wir auch manchmal Konzerte, bei denen wir wirklich die Musik in den Mittelpunkt stellen.“

Auch in ihren Texten sind Blink nicht ganz so albern wie sie tun. „Wir schreiben fröhliche Lieder über Mädchen, die wir mögen und traurige Lieder über Mädchen, die nichts von uns wissen wollen“, sagt Hoppus, „aber wir können auch ernst sein, wenn wir wollen.“ „Stay Together For The Kids“ ist zum Beispiel ein gar nicht so gut gelaunter Song über das Schicksal von Scheidungskindern. Und in diesem Punkt kommt viel Realität ins Spiel, denn sowohl die Eltern von Hoppus als auch die von DeLonge trennten sich, als ihre Kids noch kleine Jungs waren. „Über die Hälfte aller amerikanischen Kinder wachsen früher oder später mit nur einem Elternteil auf. Viele Kids sind sehr einsam.“ Wohlgemerkt: Eine schwere Kindheit hatte keiner bei Blink. Mark, Tom und Travis stammen aus geordneten Verhältnissen und bekamen alle erdenkliche elterliche Unterstützung. Im September soll ein Buch von Marks jüngerer Schwester Anne erscheinen. Thema: die frühen Jahre von Blink. Arbeitstitel: „Tales From Beneath Your Mom“.

Auch „Anthem Part Two“, der Eröffnungssong von „Jacket“, reiht sich in die Riege der Lieder ein, die von adoleszenter Zerbrechlichkeit und der Notwendigkeit zur Selbstbehauptung handeln. Bassist Mark, der inzwischen mehr wie ein Jugendpolitiker denn als Radaumucker rüberkommt, erläutert: „Unsere Gesellschaft krankt an einem grundsätzlichen Problem, das es unserer Jugend erschwert, anständig erwachsen zu werden. Keiner ist mehr bereit, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Alle wollen es nur noch kuschelig, hygienisch und behaglich. Das ganze Leben der Kids erscheint mir mehr denn je auf Homogenität ausgerichtet. Die Kinder sollen auf Teufel komm raus geschützt werden vor allem und vor jedem. Aber man kann die Kids nicht vor der wirklichen Welt bewahren. Man sollte den Jugendlichen erlauben, smarter zu sein, als man es ihnen zugesteht, denn das sind sie. Ich bin der Meinung, den Teenagern wird viel zu viel vorgekaut, sie bekommen deutlich zu wenig Respekt von der Gesellschaft.“ Die Dominanz so kantenloser (und nach Meinung vieler auch konturlosen) Acts wie Backstreet Boys, N’Sync oder Britney Spears, die während der letzten zwei, drei Jahre das Bild vom Teen-Pop beherrscht hätten, sei ein Beleg für seine These, meint Hoppus. „Es ist eine gute Sache, dass wir mainstreamig genug sind, um per Radio und Video in Kontakt mit den Fans dieser merkwürdigen Acts zu kommen. Viele laufen dann zu uns über und sind künftig für diese Milchbärte verloren. Ich wette, dass diese ganze Teenpop-Szene spätestens Ende des Jahres gestorben sein wird.“

Nun klingt sich auch Barker wieder ins Gespräch ein. „Wir sind nicht so tough und rockig wie Limp Bizkit. Bei unseren Konzerten reden wir so zum Publikum, als wären das unsere besten Freunde. Wir schreiben unsere Stücke zwar aus der Perspektive unserer Fans, aber das heißt nicht, dass wir uns anbiedern.“ Nein, das nun bestimmt nicht. Als versteckten Bonustrack wollten Blink 182 auf ihrer neuen Scheibe ein punkiges Kleinod mit dem Titel „When You Fucked Hitler“ platzieren. Darauf haben sie dann zwar doch verzichtet, „aber es stimmt schon, wir probieren gerne aus, wie weit wir mit unseren Provokationen gehen können“ Einigen gehen Blink 182 aber jetzt schon zu weit, und einen prominenten Lieblingsfeind haben sie auch schon. Und was für einen. Joseph Lieberman ist der rapide Aufstieg der drei schrillen Vögel aus San Diego ein ganz gewaltiger Dorn im bürgerlichen Auge. Der politisch interessierte Leser erinnert sich: Lieberman war im vergangenen Herbst „running mate“ von Al Gore bei dessen eher unglücklich verlaufener Kampagne mit dem Ziel, das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten zu übernehmen. Hätte nicht viel gefehlt, und der gute Joseph Lieberman wäre heute Vizepräsident der USA. Doch so muss sich der Demokrat weiter mit dem Senatorenposten in Connecticut und einem Sitz im Senat begnügen.

Dort aber treibt er ein gewisses Unwesen, das ihn in bestimmten Kreisen zur „persona non grata“ werden ließ. Lieberman nämlich hat der ungebremsten kulturellen und künstlerischen Freizügigkeit den Krieg erklärt, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. „Culture wars“ nennt der 59-Jährige sein Ansinnen, mit der er bereits im Wahlkampf um das Weiße Haus unangenehm aufgefallen war. Liebermans Ziel: Tonträger, Videos und Computerspiele sollen – analog zu Kinofilmen – Altersfreigaben bekommen. Verkauft ein Einzelhändler dann zum Beispiel eine, sagen wir mal, ab 17 freigegebene Blink-182-CD an einen 13jährigen, würde er dafür haftbar gemacht werden. Das mag auf den ersten Blick absurd erscheinen, ist aber typisch für das momentane Klima in den Vereinigten Staaten. „Was der Kongress und speziell Lieberman vorhaben, ist in meinen Augen lächerlich, dämlich und schädlich“, ereifert sich Mark Hoppus. „Ohnehin ist Rockmusik schon viel zu sehr unter dem Brennglas der kritischen gesellschaftlichen Beobachtung, das fällt ja nicht nur uns auf. Es wird zu wenig Wert gelegt auf Selbstverantwortung und Selbstkritik. Für alles und jedes wird die Schuld woanders gesucht, bloß nicht bei sich selbst. Ich halte das für falsch und unbegründet. Es ist doch nur Kunst, und in der Kunst muss vieles erlaubt sein.

„Es ist sicher nicht die Schuld der Musik, genausowenig wie es etwa die Schuld eines Gemäldes ist, wenn ein Kind in die Schule geht und wie wild um sich ballert. Das ist die Schuld der Eltern. Ich kann in der Kunst sagen, was ich will. Die Leute können es sich anhören, es gut oder scheiße finden oder gar nicht erst hinhören. Aber erst meine Musik hören und mich dann dafür angreifen, das geht nicht. Als Rockmusiker weise ich die Verantwortung von mir. Verantwortlich fühle ich mich lediglich dafür, dass es den Fans im Konzert gut geht und ihnen nichts passiert.“ Die Beratungen im US-Kongress dauern an.

Während die Beratungen über Liebermans Vorstoß noch im Gange sind, scheinen Blink 182 schon jetzt nicht mehr zu stoppen zu sein. In diesem Jahr waren sie schon auf den Titelseite diverser US-Blätter, von „Rolling Stone“ über „Alternative Press“ und „Cosmo Girl“ bis hin zu „Teen People“. Sie kassierten den Teen Choice Award und den Blockbuster Music Award, wurden von MTV Europe als beste Newcomerband geadelt und performten in der ihnen eigenen, chillischarfen Art und Weise „All The Small Things“, um hinterher vom selben Sender auch gleich noch den Preis für das beste Video einzusacken.

Über ihre Kernzielgruppe, die pubertierenden Skater-Jungs, sind die Drei inzwischen jedoch weit hinausgewachsen. „So würde ich das auch sehen“, pflichtet Mark Hoppus bei: „Ich denke nicht, dass es den typischen Blink-182-Fan gibt. Wir sind zugänglich für eine große Bandbreite von Leuten. Wir schreiben gute Songs, die von einem großen Spektrum von Musikhörern angenommen werden. Wir schreiben poppige Punkrocksongs, und aus irgendeinem Grund spricht das eine Menge Leute an.“ Und um deren Ansprüche zu befriedigen, wird im kreativen Umfeld der jungen Männer aus dem sonnigen Kalifornien fleißig gewerkelt. Und zwar längst nicht mehr nur auf musikalischem Sektor. Im Internet kann man auf Travis‘ Seite Klamotten erstehen, Mark und Tom offerieren gemeinsam Skaterwear, und die eigene Blink-Kleidermarke „Atticus“ ist auch schon im Anrollen.

www.blink182.com