Styx – Ich zeig dir den Weg ins Paradies


Zum aufwendigsten Tournee-Unternehmen in der Geschichte amerikanischen Rockmusik starteten vor einigen Wochen Styx mit ihrer „Paradise Theatre“- Show. Sylvie Simmons flog für den MUSIK EXPRESS nach Chicago und wurde dort Zeuge einer Woge von Patriotismus. Auf die werden sich Styx natürlich nicht stützen können, wenn sie im Spätsommer mit alle Requisiten in die Bundesrepublik kommen.

„Paradise Theatre“, die pompöse Konzept-Tour zum aufwendigen Styx-Konzept-Album, stürzt sich auf den Verfall der amerikanischen Zivilisation, wie ihn die Geschichte dieses sterbenden Chicagoer Theaters erzählt Die Sorge um den Zustand dieses Staates ist für Styx allerdings nichts Neues, obwohl dieses yellow ribboned America der post-Carter-post Revolverhelden-Ära mit Sicherheit nur noch eine Frage der Zeit ist Damals, als Platin für Styx noch ein wertvolles Metall war, über das sie nur recht vage Bescheid wußten, schrieben sie so politische (politisch für Hardrock) flag wavers wie ‚Blue Collar Man‘ und „Suite Madam Blue“, aus denen die Kritiker – falls überhaupt – schlossen, daß sie sich um die junge Ehefrau von Songautor Dennis De Young oder ums Wäschewaschen drehten. Wichtige Inhalte gehen natürlich schnell verloren inmitten eines Spektakels, wo sich fünf erwachsene Männer in Anzügen tänzelnd in der Arena bewegen. Aber heute abend, mit dem „Paradise Theatre*-Aufhänger, gehören diese alten Songs sogar als unterstrichener Bestandteil in die klare Thematik hinein. Die Band legte keinen Wert auf eine live präsentierte Greatest Hits-Sammlung. Eine Idee, die sich perfekt in ihre grandiose Show einfügte und in eine fesselnde theater-ähnliche Präsentation mündete.

Es versteht sich von selbst, daß das Theater ausverkauft ist. Paare in ihren Endteens wandeln zu ihren Sitzen, während aus den Lautsprechern Filmmusik aus der Zeit der Depression klingt.

Alles wartet auf die Band, die gerade mitten im größten Tournee-Unternehmen der amerikanischen Rockgeschichte steckt. Keine Vorgruppe, also auch nur kurze Zeit des Wartens, bis eine Stimme die Damen und Herren zur großen Wiedereröffnung des Paradise Theatre mit Styx“ begrüßt. 17 000 Zuschauer zünden ihre Ronsons und Streichhölzer, als sich der schwarze Brokatvorhang hebt der dieses Basketballstadion für einen Abend in ein Theater verwandelt Die Backstageansicht eines verlassenen Theaters nimmt im Halbdunkel Formen an; ein alter Mann, dessen Mantel auch schon bessere Tage gesehen hat, fegt die Bühne und verschwindet in den Kulissen. Die besten Spotlights, die für Geld zu haben sind, treffen sich daraufhin auf der Gestalt von Dennis Young, der wie ein Rod Stewart der Music Hall am Flügel lehnt und singt „Tonight’s The Night We’ll Make History“. Die Bühne explodiert in Lichtern und Blitzen, darüber flackert das in Neon geschriebene „Paradise“. Wer jetzt noch nicht völlig blind und taub ist der erkennt wie sich das hintere Bild hebt um den Rest der Band zu enthüllen, wie sie gerade „AD. 1928“ zuende spielt und eine Menge von „jungen Amerikanern“ (wie uns De Young in seinen Zwischenansagen immer wieder nennt) flippt völlig aus.

„Wir sorgen für das Licht und die Musik“, meint Dennis (exzellent getimt wenn ich das mal hier einfügen darf, die Show ist so glatt wie Bryl Creme), „aber ihr bringt den Zauber.“ Die Feuerzeuge gehen wieder an für „Grand Illusion“, als sich nämlich die drei Gitarristen für eine dreifach-Attacke am Bühnenrand sammeln; ein seltener Augenblick der Gemeinsamkeit übrigens, bevor jeder Musiker auf der Bühne wieder seine eigenen Wege geht Bassist Chuck Panazzo hat die Madame Tusseaud-Schule der regungslosen Bühnenpräsenz hinter sich, und der zierliche Tommy Shaw hüpft in grünem Satin über die Bühne wie ein Peter Frampton-Kobold geradewegs aus dem Ausklapp-Poster eines Teenie-Magazins. Der pudelhaarige James Young demonstriert Ted Nugent-Mimik und Heavy Metal-Posing, während er die Gitarre (mit den Zähnen wie auch mit den Händen) so subtil spielt, daß sie selbst Eure Mutter nicht stören würde. Irgendwie erinnern mich Styx in ihren völlig unterschiedlichen Bühnenpersönlichkeiten an Cheap Trick. Eine Band, die jedermann alles bedeuten kann und die in ihren zumeist jungen Fans auf geradezu brillante Art patriotische Inbrunst zu entfachen versteht.

Wo wir gerade von dieser Inbrunst sprechen – davon gibt es reichlich! Die Kids springen auf und ab wie ein einziges Jojo und salutieren dem schönen und optimistischen Amerika; sie klatschen und singen sogar noch ausgelassener, als es bei den Spalier-Claqueuren für Politiker üblich ist Styx haben die zündende, fast Abba-eske Hymne perfektioniert, die sie gern mitten in Songs einbauen, die fast wie Balladen anfangen. „Lights“ ist so eine ausgefeilte Ballade, die sich von netten Harmonien bis zu kraftvollem, pompösem Rock hinaufsteigert „Lady“, ein Liebeslied, das von styxmanischem Kreischen begleitet wird, beschreitet denselben Weg, dem die Band schon bis zur Vollendung gefolgt ist Dennis schmilzt eine Miss PiggyPuppe an, die irgendjemand auf die Bühne geworfen hat ehe er in einem pompösen Crescendo aufgeht Auch „Suite Madam Blue“ und „Babe“ beginnen sanft, ehe sie sich zu einem derart mächtigen Rocksound aufschwingen, der dich selbst dann in die Eingeweide trifft, wenn du das letzte Mal etwas mit der amerikanischen Flagge zu tun hattest als du sie dir in den späten 60em hinten auf die Jacke oder aufs T-Shirt genäht hast Bis auf „Snowblind“, einen Kokain-Song, der klingt wie von LSD-Opfern gesungen, oder so ein bißchen Heavy Metal-Schauspiel zum Ende hin, vermischten sich die alten und neuen Songs perfekt zum Konzept „sterbendes Theater“ mit Spiegelballen, Stroboskop-Lichtern und ständig wechselnden Bühnen-Bildern. „Come Sail Away“ beendet die Show und die Musiker verlassen die Gaze-verhüllte Bühne. In einem Star-Wars-ähnlichen Film driften zum Schluß Bilder von Styx durch den fernen Raum, ehe die credits für diese „Paradise Theatre“-Produktion hinterherflimmern. Zweieinhalb Stunden professionell gespieltes und organisiertes gutes, altes Entertainment. Ein Risiko, das sich für Styx ausgezahlt hat.