Traumhaft


After the hype, it s timefor the delivery“ was wie das Messerwetzen eines Kritikers im Vorfeld der Liveshow einer hochgejubelten, frischen Band klingt, stammt ear nicht aus der Feder eines Rezenseinen. Der beherzte Spruch ist der erste Satz in der Bio-Rubrik auf der Webseite des Quartetts, das offenbar Selbstkritik ernst nimmt. Aufgrund ihrer verträumten, ergreifenden Melodik anfangs als „die neuen Radiohead“ bzw. „die neuen Coldplay“ gefeiert, haben es die vier Briten in kurzer Zeit geschafft, einen eigenständigen Sound zu entwickeln. Benannt nach einem Tim-Buckley-Song aus den siebziger Jahren, bekennen sich Starsailor offen zu ihren musikalischen Wurzeln. Und unterscheiden sich so von vielen Newcomer, die Altbewährtes neu verpacken und dann als neuen Trend unter eigenem Namen verkaufen. Es ist daher nicht überraschend, dass eben jener Tim Buckley und sein Sohn, der immens talentierte und viel zu früh verstorbene Jeff Buckley, die musikalischen Ahnen von Starsailor sind. Doch nicht alle sind vom durchschlagenden Erfolg der Neuankömmlinge begeistert. Die Kollegen von Ash sollen während eines Londoner Konzerts das Publikum aufgerufen haben: „Hands up who hates Starsailor.“ Wievele Hände hochschnellten, ist nicht überliefert.

Fest steht, dass solche Seitenhiebe dem Ruf von Starsailor keinen Abbruch taten. Ganz im Gegenteil. Von anderen Bands beneidet, von Fans verehrt, im Alternative-Radio in den USA rauf- und runtergespielt. Aber wer sind diese vier Briten, die vor wenigen Wochen noch als Support der Charlatans durch die Staaten tourten und kurz darauf schon ihre eigene Headliner-Tour bestritten? Vier bescheidene, ganz normale Jungs, scheint es auf den ersten Blick, die weder im Supermarkt noch in einem Club irgendwie auffallen würden. Und die Erfolg nicht mit Egotrip verwechseln. Ihre Show in Los Angeles ist die Endstation ihrer US-Tour. Im Publikum heute Abend: Musiker, Produzenten, Hipster und Labelleute. Auf einer Empore hinten im Saal sind alle Tische von der Plattenfirma Columbia, die Starsailor in den USA vertreibt, reserviert. Kein bloßer Tour-, sondern auch Vorspieltermin also. Ein Schwärm von Groupies drängt sich vor der Bühne, einige Mädchen versuchen an den Security-Männern vorbei in den Backstagebereich zu huschen – vergeblich. Die Show startet mit einer Projektion auf die Leinwand hinter der Bühne:

on tour

Eisenbahnschienen, die ins Nichts fuhren – das gleiche Bild wie auf dem Cover ihres Debütalbums „Love Is Here“. Dazu ertönt der Hit „Poor Misguided Fool“. Eine großartige visuelle Umsetzung des Lieds. Dennoch: Starsailor feuern einen ihrer besten Schüsse ab, bevor es richtig losgeht. Wie lässt sich das noch steigern? Indem die vier Briten die Bühne betreten und den Song live spielen. Als ob sie wüssten, dass der knapp vierminütige Track zu gut ist, um ihn nur einmal zu präsentieren.

Die Show selbst steht im Einklang mit dem Sound: sparsame Beleuchtung, die bloß Akzente setzt und mehr verhüllt als entblößt. Die Spots zielen allein auf die Instrumente, nicht auf die Gesichter von Walsh, Westhead, Stelfox und Byrne und verkünden somit eine klare Botschaft: die Musik, nicht die Band steht hier im Vordergrund. Und eben jene Musik scheint nicht von dieser Welt zu sein. Schwermütig, zart, entrückt und endlos rührend. James Walshs Stimme verharrt für anderthalb Stunden in überirdischen Sphären. Es klingt-der Vergleich sei bitte an dieser Stelle entschuldigt -, als ob man einer Seance beiwohnt, bei der Walsh zum Medium für den verblichenen Jeff Buckley mutiert. Die Leidenschaft, Intensität und Präzision seiner Vokalisen trägt Walsh in dieselbe Liga wie Thom Yorke, Nick Drake und Fran Healy. „Es gibt nur Menschen, die meine Stimme Heben oder die sie hassen aber nichts dazwischen“, erklärte Walsh unlängst in einem Interview. Auch wenn der Sänger musikalisch im Rock-Nirvana schwebt, so steht der Performer Walsh mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Er lacht zwischen den Songs, scherzt und zwinkert den Mädchen in der ersten Reihe zu. Auch Keyboarder Barry Westhead hält nichts von aufgesetzter Coolness und klatscht gut gelaunt die Hände ab, die nach ihm greifen. Starsailor verstehen durchaus, wie man Dienst am Fan leistet. Nach dem „Fool“-Doublefeature folgen das bittersüße „Alcoholic“ und das langsame, elegische „Love Is Here“. Mit einer Akustikversion von „Comin‘ Down“ beweist Walsh, dass er solo genauso viel bewegen kann und die Gitarre ebenso beherrscht wie das Songwriting. Anschließend überrascht er das Publikum mit einem Cover der Byrds, „Goin‘ Back“.

Auf „Fever“, dem ersten Starsailor-Song, der es in die US-Charts schaffte, improvisiert Barry Westhead wie ein Jazzvirtuose am Piano. Nach „Lullaby“ nimmt sich die Band eines weiteren Covers an: „Hot Burrito #2“ von Gram Parsons. Eine interessante Wahl, bedenkt man, wie jung die Bandmitglieder sind. Aber an musikalischer Reife mangelt es Starsailor nun mal nicht. Der 21-jährige Walsh schreibt seine Lyrics mit der Weisheit eines gestandenen Dichters. Was genau ihn zu solch tiefsinnigen und gleichzeitig unverschnörkelten Texten inspiriert, verrät er allerdings nicht. „Ich bewundere Nick Drake“, ließ er kürzlich verlauten, „weil er nicht eine langjährige vertrackte Affäre brauchte, um ein großartiges Liebeslied zu schreiben. „Wie gut Walsh es versteht, Emotionen zu erzeugen, wird bei dem romantischen „Way To Fall“ noch einmal deutlich. Das Piano untermalt großartig Walshs klagende Stimme und ruft bei den Fans einen akuten Kloß im Hals hervor. Nicht weniger dramatisch geht es bei dem trauernden „She Just Wept“ zu. Walshs Stimme droht jeden Augenblick zu brechen, mitunter scheint es, als ob lediglich die Gitarre diesen Song vorantreibt. Während der Abschlussnummer „Good Souls“ mit dem wunderschönen Vers „Ifit wasn ‚tfor thegood souls life would not matter“ tanzen ein Dutzend Schwarzweißbilder über die Leinwand. Unter den aufgeführten „guten Seelen“: Bob Dylan, Aretha Franklin, Elton John, Joni Mitchell, Miles Davis, John Lennon, Peggy Lee, Marvin Gaye, Mick Jagger und – ein kleiner Scherz sei erlaubt – Lisa Simpson mit ihrem Saxofon.

Es folgen der herzliche Abschied von den amerikanischen Fans, das Versprechen zurückzukehren, laute Zurufe, Beifall und Bitten um Zugaben. Die gibt es natürlich auch: zuerst „Born Again“, ein spirituell angehauchter neuer Song, bei dem Walsh nicht nur die Gitarre, sondern auch die Mundharmonika bedient, und das gitarrenlastige, pulsierende „Tie Up My Hands“. Im Hertist wollen Starsailor ihr neues Album aufnehmen. Und dann hoffentlich bald wiederkommen. www.starsailor.net