Verwirrungen


Seit 30 Jahren widmet sich David Thomas, Stimme und Kopf von Pere Ubu, der Kunst der Rockmusik.

Es könnte auch in einer Kirche sein. Die hohen Fenster, die nach oben hin spitz zulaufen. Das kalte Licht, das durch die Fenster scheint. Die Feuchtigkeit in der Luft von gestern abend. Der Hall, der jedes Wort, das fällt, majestätisch aufwertet. Es ist keine Kirche. Es ist die Muffathalle in München. Sie ist leer, bis auf einen Tisch und zwei Stühle. David Thomas sitzt an diesem Tisch mit seinem massigen Körper wie Buddha, und Buddha erkundigt sich fürsorglich, ob denn genug Licht für das Interview da sei. Er wird freundlich-distanziert alle Fragen beantworten, obwohl er, der ehemalige Musikjournalist, sich ganz sicher ist, dass er auch diesmal wieder falsch zitiert werden wird und dass das meiste, was er sagt, ohnehin nicht gedruckt wird. Thomas schaltet überflüssige Sinne aus beim Reden, kneift angestrengt die Augen zu, wenn er nach den richtigen Worten ringt. Die richtigen Worte sind sehr wichtig für ihn. Er sieht sein Gegenüber selten an, er wendet sich zur Seite, wie ein Priester, der die Beichte abnimmt.

1974 Spielte Thomas mit einer Band, die so legendär war. dass sie zu ihren Lebzeiten keine einzige Platte veröffentlichte: Das „Debüt“ von Rocket From The Tombs erschien erst im Jahr 2002 – eine Sammlung von allen Original-, Demo- und Liveaufnahmen, die ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Band noch in irgendwelchen Kellern gefunden werden konnten. Als Keimzelle des Punk wurden Rocket From The Tombs bezeichnet, als Proto-Punk. „Nein“, sagt David Thomas, „aber ich glaube, es ist besser, als Proto-Punk bezeichnet zu werden als als Punk. Punk war ein antiamerikanischer, imperialistischer Versuch der Europäer, die amerikanische Kultur zu zerstören. Es war Musik, die von Ausländern gemacht wurde, um Kleider in einem schäbigen, kleinen Laden in London zu verkaufen. Punk ist der endgültige Sieg der Oberflächlichkeit über die Substanz, von Schein über Realität, von Mode über Vision. Punk repräsentiert Oberflächlichkeit, den Niedergang der Kultur diese ganze Doktrin, dass Kunst von jedermann gemacht werden kann: alles was du brauchst, ist eine Gitarre, und dann bist du ein Künstler. Punk war darauf ausgerichtet, die Kultur zu zerstören, vor allem die amerikanische Kultur – Rockmusik ist eine amerikanische Kulturform. Das hat nichts mit Rebellion zu tun. Der Gedanke, dass Rockmusik überhaupt etwas mit Rebellion zu tun hat, ist absurd.“

Rocket From The Tombs tanzten nur einen Sommer lang, sie waren eine lokale Sensation in der Gegend von Cleveland. Ohio, um 1975. Gene OXonnor [„Cheetah Chrome“) und Johnny Madanski („Johnny Blitz“] gründeten anschließend die Dead Boys, David Thomas und Gitarrist Peter Laughner Pere Ubu – benannt nach der Hauptfiguraus Alfred Jarrys surreal-absurdem Theaterstück „Ubu Roi“. Seit bald 30 Jahren existieren Pere Ubu in wechselnden Besetzungen, deren einzige Konstante David Thomas ist. Vom Debüt the modern dance von 1978 bis zum bisher letzten Album st. Arkansas von 2002 war das dekonstruierter Avant-Garagenrock, der nicht genug Bleeps und Blongs und Verschlingungen, nicht genug von Thomas‘ Vokalakrobatik haben konnte. Solche Musik hatte man Ende der 70er noch nicht gehört. Pere Ubu wurden immer besser im Lauf der Jahre, reiften in Würde vor sich hin, während sich hunderte von Nachfolgern auf sie beriefen, darunter Joy Division, Pixies, Sonic Youth, R.E.M. Das sei ein „nettes Kompliment“, sagt Thomas, aber: „Ich höre die Dinge auf andere Weise. Die Sache mit den Einflüssen kann auch problematisch sein. Jeder sagt, Pere Ubu wurden von Captain Beefheart beeinftusst. Es gibt aber nicht den geringsten Einfluss von Captain Beefheort in unserer Musik. Natürlich war Captain Beefheart ein Einfluss, weil er uns gezeigt hat, was möglich ist. Also waren wir von seiner Existenz beeinflusst. Wir imitieren nicht, wir werden ober inspiriert.“

David Thomas lebt mit 51 Jahren seine Kunst in einem halben Dutzend Projekten aus – im September geht er wieder auf Tournee mit Two Pale Boys. Der Mann, in den soviel hineininterpretiert wird, sieht sich nur als „Rockmusiker“, auch wenn im Namen der Rockmusik die übelsten Verbrechen begangen wurden. „Rockmusik ist Volksmusik“, sagt er. „Ich glaube, es ist unmöglich, Rockmusik zu verstehen, wenn man sie nicht unter diesem Aspekt sieht. Ich verwirre die Leute zu sehr, aber ich sehe mich selber als sehr traditionell. Ich würde es nicht aushalten, etwas Durchschnittliches zu machen, das wäre Zeitverschwendung. Es gibt so viele andere Musiker, die viel besser sind im Durchschnittmachen. Aber ich kann das nicht. Die Leute wollen nicht verwirrt werden. Sie wollen wissen, was sie kaufen. Deshalb ist McDonald’s so erfolgreich, weil du weißt, was du bekommst.“