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Vom Getränk zum akzeptierten Suchtmittel: Wieso Euer Kaffeekonsum nervt


Der Kaffee ist für den Großstädter das, was Prosecco für die wöchentliche Mädelsrunde ist: der unverzichtbare magische Trank, der das Leben besser und erträglicher und die Instagrambilder ein Stück weit schicker macht. Warum bloß?

Es scheint zwei Arten von Menschen auf dieser Welt zu geben. Diejenigen, die jeden Morgen aufstehen, eine Routine durchlaufen und danach das Haus in Richtung Büro verlassen. Und dann gibt es offenbar Leute, die als wilde Bestien erwachen, am Rande des Nervenzusammenbruchs und vollkommen unansehnlich, bis eine kleine Zutat sie wie durch ein Wunder in funktionierende menschliche Wesen verwandelt: eine Tasse Kaffee, nein, DIE Tasse Kaffee.

Es gibt in der westlichen Welt kaum ein Getränk, das so verherrlicht und gefeiert wird wie Kaffee. Die braune Brühe soll nicht nur gegen Müdigkeit helfen und die Verdauung begünstigen, sondern wahre Wunder vollbringen: Sie gibt uns soziale Kompetenzen, rüstet uns für einen langen Arbeitstag vor dem Computer und für unendliche Meetings, und ach ja, duftet dabei so herrlich. Man könnte fast glauben, als nächstes beschert uns das Heißgetränk den Weltfrieden.

Klingt vollkommen absurd? Ganz genau. So absurd finden Eure Mitmenschen, die keinen Kaffee konsumieren – ja, die gibt es durchaus – Eure bedingungslose Liebe für und Abhängigkeit von der braunen Plörre, die da morgens aus den veralteten, verschimmelten Bürokaffeemaschinen tropft und in Euren Tassen umherschwappt und hässliche Flecken auf dem Tisch hinterlässt.

Coolness und weltmännische Geschäftigkeit durch Kaffee

Klar, es soll Menschen geben, die tatsächlich leichte Entzugserscheinungen verzeichnen können, falls sie mehrere Tage auf ihre Koffeinzufuhr verzichten müssen – aber sollte nicht genau das als Weckruf dienen? Andere Abhängigkeiten wie Zigaretten, Drogen, Alkohol und Internet werden stets als Problemthema diskutiert, aber Kaffee ist eine sozial akzeptierte, ja sogar durch die Gesellschaft bestärkte Sucht, die einem nebenbei auch noch den nötigen Hauch Coolness und weltmännische Geschäftigkeit verleiht. Zugegeben, Drogen, Alkohol und Zigaretten können zu Krankheiten und Tod führen, während Kaffeekonsum sich laut einigen Studien sogar durchaus positiv auf den Körper auswirken kann. Der Großteil der selbsterklärten Kaffeejünger könnte wahrscheinlich trotzdem ganz wunderbar ohne das Getränk auskommen, volle Leistung bei der Arbeit abliefern und dabei auch noch die paar Euro für den täglichen Kaffee beim Bäcker Coffee Store sparen. Stattdessen hat man Kaffee zum Katalysator für jegliche positive Begebenheit, die einem tagsüber widerfahren kann, auserkoren.

Dass wir alle mit dem Kopf gesenkt, den Blick auf dem Bildschirm das Smartphones fixiert, morgens in der U-Bahn sitzen oder über die Straße laufen, ist für viele der Niedergang der Kultur, eine wahre Apokalypse. Dass wir dieselben Strecken an unseren Kaffeebecher geklammert, immer in der Gefahr entweder sich selbst oder den Mitfahrer zu bekleckern, zurücklegen, ist irgendwie wieder in Ordnung. Wenigstens ist inzwischen eine Bewegung daraus entstanden, seinen eigenen Recyclingbecher auf die tägliche Reise mitzunehmen, viele Cafés unterstützen dies mit vergünstigten Preisen.

Bereits in der Kindheit ist der Kaffee allgegenwärtig. Es ist dieses magische Getränk, das Mama jeden Tag zu sich nimmt. Man selbst darf aber nur mal kurz dran nippen – und es schmeckt meist furchtbar bitter. Doch kaum hat man ein bestimmtes Alter erreicht, darf man sich auch zu dem Kreis der Auserwählten zählen, die sich einreden, mit dem Kaffeebecher in der Hand aktivere und bessere Mitglieder der Gesellschaft zu sein – und die meisten Menschen machen auch noch mit. Denn Stress und Geschäftigkeit signalisiert, dass man im Leben angekommen ist, dass man effektiv und produktiv ist und an seiner Karriere schraubt. Alles andere wäre ja nicht akzeptabel, eine Form des Versagens und Nicht-Genügens.

Die Alternativen sind wohl nicht cool genug

Tauschen wir den Kaffee doch mal durch etwas anderes aus, sagen wir zum Beispiel, Brokkoli. Angenommen dieses allseits unbeliebte Gemüse hätte eine ähnliche, nennen wir es mal Wirkung wie Kaffee – würde dann der Kollege im Büro stehen und so etwas sagen wie: „Bitte sprich nicht mit mir bevor ich nicht meinen Guten-Morgen-Brokkoli gegessen habe“ oder gar „Ohne meinen Teller voller Brokkoli am Morgen bin ich nur ein halber Mensch“? Ein paar Vorschläge: Geht doch morgens joggen, duscht kalt oder esst eine Schale voller Obst. Zu anstrengend? Zu ungemütlich? Klar, dann lieber schlaftrunken den Knopf der Kaffeemaschine bedienen.

Und überhaupt: Wieso um alles in der Welt stehen alle Kaffeetrinker der Welt so gerädert auf, haben grundsätzlich schlechte Laune und sind ihrer eigenen Sprache nicht mächtig, kurz nachdem der Wecker klingelt? Ihr habt doch eben gerade stundenlang in Reich der Träume geschlummert, die meisten Aktivitäten im Körper auf fast Null heruntergefahren – was um alles in der Welt war so schlimm daran, dass Ihr als Monster aufwacht? Wenn Ihr nicht gerade an einer Schlafkrankheit leidet oder am Abend vorher auf einer Party wart, die ausgeufert ist, gibt es so gut wie keine Entschuldigung sich wie der Grinch zu benehmen, bis Ihr eine Tasse irgendeiner Flüssigkeit zu Euch genommen habt.

Geht hinaus in die Welt und genießt Euren Kaffee!

Nein, die Autorin dieses Textes hat nichts gegen Kaffee. Geht hinaus in die Welt und trinkt Kaffee. Verabredet Euch mit Freunden in einem dieser ach so bösen Berlin-Mitte-Cafés, die nachhaltigen Third Wave Coffee servieren und trinkt gemeinsam einen oder mehrere davon. Setzt Euch alleine mit Buch, eBook oder Laptop in ein Café und trinkt einen Latte Macchiato, gönnt Euch einen Espresso nach dem Essen. Aber macht bitte nicht mehr aus einem simplen Heißgetränk so viel mehr als es ist. Hört auf Euch einzureden, dass Kaffee zu Höchstleistung antreibt und aus Euch einen besseren Menschen macht. Denn ganz ehrlich: Menschen, die von sich selbst behaupten erst ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft und ein effektiver Teil eines Teams zu werden, nachdem sie eine oder mehrere Tassen einer aus gemahlenen Bohnen angereicherten Flüssigkeit getrunken zu haben, möchte man eigentlich nicht zu seinen Kollegen und Freunden zählen.