Wer trommelt da? Josef Winkler über Joe Morello


Jahrelang dachte Josef Winkler, Jimi Hendrix sähe aus wie Buddy Holly. Dann hörte er Joe Morello, den Schlagzeuger des Dave Brubeck Quartets. Der ihn wiederum an einen Buchhalter erinnerte ...

In der fünften Klasse – wie lange das bei mir her ist, muss jetzt nicht so gaaanz haargenau hinausposaunt werden, aber sagen wir so: Twix hieß noch Raider, es gab noch kein Internet, keinen Grunge und noch nicht mal eine Anschnallpflicht auf PKW-Rücksitzen – in der fünften Klasse, in einer der allerersten Stunden mit unserer neuen Musiklehrerin Frau K. (den vollen Namen nenne ich jetzt mal nicht, obwohl ich ihr fast ausschließlich zu Dank verpflichtet bin), spielte uns diese im Unterrricht zur Verdeutlichung des Themas „Klangfarben“ bzw. „Klangverfremdungen“ vor, wie Jimi Hendrix in Woodstock mit „Star Spangled Banner“ einen akustischen Bombenkrieg entfachte. Die Erklärung, das sei alles mit einer elektrischen Gitarren und Verstärkern kreiert, ging damals noch erst teilweise in mein Hirn rein, weil ich als (rockpop)musiktechnischer Spätzünder (die Zündung hatte erst noch zu erfolgen) mit 12 noch überhaupt kein wirkliches Konzept hatte von elektrischen Gitarren und dergleichen (und gottlob auch nicht von Bombenkriegen). Und während Frau K. über Jimi Hendrix sprach und was der für ein Innovator war und wie er die Rockmusik revolutionierte (sie wird es weniger rockjournalistisch platt formuliert haben, aber so in der Art), hatte ich doch ein recht deutliches Bild im Kopf, wie er aussah, dieser Herr Hendrix. Ich hatte wohl schon mal ein Foto von ihm gesehen, das in meinem Kopf jetzt lebendig wurde und all diese Dinge mit der Gitarre anstellte, die Frau K. schilderte. Es war sehr begeisternd und faszinierend.

Wochen, Monate, was weiß ich, wie viel später, sah ich dann ein Foto von Jimi Hendrix – und fiel fast hinten über. Da musste ein Fehler vorliegen. Genau: bei mir. Mein Bild von diesem Gitarrenzauberer Hendrix im Kopf war durch fehlerhafte Verarbeitung offensichtlich völlig unzureichender Informationen das von Buddy Holly (den Namen dazu hatte ich erst noch später parat) gewesen! Man stelle sich also meine Verwirrung und den Grad der Neuorganisation in meinem noch minimalen Rockverständnis vor, der ob dieser Entdeckung nötig wurde.

Mittlerweile weiß ich ein bisschen mehr über Musik und Musikanten, aber da sind natürlich noch unendlich viele blinde Flecken, und neulich hat mal wieder eine Radiosendung (und dafür liebt man ja gute Radiosendungen) ihren Finger in einen reingelegt, auch wenn dieses Bild schief ist. In einer Samstagnacht gab es zwei Stunden lang Musik von und mit dem kürzlich verstorbenen Jazz-Schlagzeuger Joe Morello, der als Drummer des Dave Brubeck Quartets und kraft seiner unglaublichen rhythmischen Wunderkind-Begabung zu Ruhm gelangt, mir aber – Schande! – bislang nicht geläufig gewesen war. Es war abgefahren und hochfaszinierend, was man da vom Moderator erzählt und von Morello vorgetrommelt bekam. Und in meinem Kopf formte sich ein vages Bild, wie dieser Typ, der mit solchen abgefahrenen rhythmischen Unfassbarkeiten den Jazz ein paar Ecken weitergetrieben hatte, ausgesehen haben mochte. Dann – obwohl’s grad so ein schön analoger Abend war – packte mich doch die Neugier und ich klappte den Rechner auf, um mir mal ein Bild von diesem illustren, geheimnisvollen Herrn Morello zu verschaffen. Und – er sah aus wie ein Buchhalter. Vielleicht ein bisschen wie Buddy Holly. Nur noch viel mehr wie dem Buddy Holly sein Buchhalter-Vater. Aber jetzt schauen und hören Sie sich mal an, wie der getrommelt hat (wenn Sie’s, wovon ich als Spätchecker wohl ausgehen muss, nicht eh schon wissen).

Ich werde diesen Post als Ausgangspunkt nehmen für eine kleine lose Serie von famosen Schlagzeug-Videos, die mir unterkommen. Wenn’s recht ist.