When it Started


10 Jahre Is This It: Wie Nirvana eine Dekade davor den Hair-Metal aus den Charts prügelten, gab das Debüt der Strokes 2001 NuMetal der Lächerlichkeit preis. Nach Is This It regierten Optimismus, Lässigkeit und Stil. Die kurze Hose wich der Röhrenjeans, das Baseballkäppi dem Hut. Dies ist die Vorgeschichte der bislang letzten Rock’n’Roll-Revolution.

Die beiden Platten, mit denen das Debütalbum der Strokes am 8. September 2001 gemeinsam von null in die Top Drei der britischen Charts einsteigt, könnten für ihre Zeit nicht symptomatischer sein: Iowa von Slipknot und Kingsize von 5ive, Fressenpolierermusik und Boyband-Angeberei, sandwichen Is This It. In Deutschland tragen die No Angels mit einem überflüssigen Eurythmics-Cover von der Spitze der Hitliste aus dem einsetzenden Castingwahn Rechnung. Ja, es ist keine gute Zeit für Rockmusik. Wobei man das nach einem Blick in die Charts praktisch jederzeit sagen kann. Doch um die Jahrtausendwende gibt es tatsächlich fast nichts, was den Glauben an das Gute im Rock aufrechterhalten kann: Cool Britannia ist seit dem Sommer of ’96 im Reha-Zentrum und verträgt dort katerbedingt nur die leiseren Töne von Starsailor, Travis und Coldplay. In den USA werden Blender wie Limp Bizkit, Linkin Park und Papa Roach mit einem HiTech-Update von Crossover reich, Creed vertonen den gottesfürchtigen Neokonservativismus. Und die Hits, die die Guano Apes 2001 in Deutschland landen, heißen „Dödel Up“ und „Kumba Yo!“. So muss es sich in den späten Siebzigern angefühlt haben, kurz bevor Punk kam und mit beherztem Ziegelsteinwurf die Villa des Prog Rock zusammenkrachen ließ. Mit so viel Rohheit geht es 2001 nicht zu. Die Revolution ist geschmackvoll gekleidet und gut frisiert.

Julian Casablancas, Sohn des Gründers der Modelagentur „Elite Model Management“ und einer ehemaligen Miss Dänemark, und Nikolai Fraiture kennen sich bereits seit der Grundschule, als sie sich an ihrer Highschool, dem Lycée Français de New York, einschreiben. Als Fraitures Großvater nicht weiß, womit er seinem Enkel zur bestandenen Abschlussprüfung gratulieren soll, wendet er sich an Phil-Collins-Fan Casablancas. „Schenk ihm einen Bass“, sagt der, „Bass ist cool.“ Fraiture sieht das anders und gibt das Instrument nach ein paar Anstandswochen lustloser Testläufe an Casablancas weiter. Der kehrt gerade nach einem kurzen Abstecher in die Schweiz, wo er immerhin lang genug war, um auf dem Nobel-Internat Institut Le Rosey Albert Hammond, Jr. kennenzulernen, nach New York zurück. Auf der dortigen Dwight School freundet er sich mit Fabrizio Moretti und Nick Valensi an. Gemeinsam arbeitet man an ersten Songs. Als das Trio nach einem Jahr immer noch keinen Bassisten hat, erbarmt sich Fraiture und lernt die vier Saiten doch noch zu bedienen. Nach der Scheidung von Casablancas‘ Eltern heiratet seine Mutter den Maler Sam Adoquei. Der treibt Casablancas den Phil Collins aus und macht ihn zum glühenden Verehrer der Doors. 1998 zieht auch Hammond, Jr. nach New York und schließt sich der immer noch namenlosen Band an. „Nach unseren Proben gaben wir uns Hausaufgaben auf“, sagt Moretti, „bis zum nächsten Mal musste sich jeder neue Namen ausdenken.“ Fraiture: „Eines Tages sagte Julian: ‚Wie wäre es denn mit The Strokes?‘ Das war der einzige Name, dem keiner widersprach. Also blieb er.“

Im September 1999 steht das erste Konzert an, zehn Leute, fünf davon Freunde der Band, sehen sich das Livedebüt der bald darauf größten Gitarrenband ihrer Generation im New Yorker „Spiral“ an. Fraiture erinnert sich: „Wir waren so wahnsinnig aufgeregt, ein paar von uns mussten sich vor dem Auftritt mehrmals übergeben, andere pfiffen sich Drogen rein, um sich zu beruhigen. Wir waren einfach noch nicht so weit. Manche der Songs hatten nicht mal Texte, Julian musste jedes Mal improvisieren.“ Auch der Kleidungsstil der Band, der seine Schatten bis heute über die H&Ms der Welt wirft, muss sich damals erst noch entwickeln. Hippiesohn Hammond, Jr. sucht zu diesem Zweck den angesagten Secondhand-Laden „Rags-A-Go-Go“ auf. Servicekraft Adam Green (ja, DER) empfiehlt enge Klamotten. „Okay, dann gib mir das Engste, was du hast“, sagt Hammond, Jr. Das Engste, was er hat, trägt Green an diesem Tag selbst. Er zieht sich aus und verkauft dem Lockenkopf seine Klamotten. Hammond, Jr. zahlt und drückt Green einen Flyer seiner Band in die Hand. Flyer sind von Beginn an elementarer Bestandteil für die Mythenbildung um die Band. Einmal spielen The Strokes im Vorprogramm der All-Girl-Band Girl Harbour. Backstage hat Nick Valensi Sex mit einem Mädchen, irgendjemand drückt auf den Auslöseknopf und das Foto wandert mit der Aufschrift „Das geschah bei unserem letzten Konzert“ auf den nächsten Flyer von Girl Harbour.

Im Sommer 2000 schicken die Strokes ein Demo an den 22-jährigen Ryan Gentles, damals Booker der „Mercury Lounge“, einem Club an der Lower Eastside. „Am 31. August 2000 spielten sie ihren ersten Gig bei mir“, erinnert sich Gentles, „French Kicks, Radio 4 und die Realistics standen auch auf dem Programm. 83 Gäste kamen nur wegen der Strokes – das waren mehr als alle Fans der anderen Bands zusammen. Ab dem Zeitpunkt wusste ich, dass diese Gruppe enormes Potenzial hatte.“ Kurz darauf sieht Gentles sich ein Konzert der Strokes in der Brutstätte des Punk, dem „CBGB“, an, wo sie sich mit einem Tontechniker prügeln, der ihnen den Sound abgedreht hat. Gentles: „In dieser Woche schrieben sie ‚The Modern Age‘. Als ich ein Demo des Songs zugespielt bekam, gab ich es an meinen Boss Matt Hickey weiter. Ich wusste, dass er gute Connections zu Geoff Travis, dem Chef von Rough Trade Records, also dem Label der Smiths, in London hatte. Matt rief Geoff sofort an – in England war es erst sieben Uhr morgens – und spielte ihm den Song vor. Nach zehn Sekunden unterbrach ihn Geoff und sagte mit fester Stimme: ‚Ich werde diese Band signen.'“ Travis fliegt umgehend nach New York, lädt die Band in ein Café in der Bowery ein – Casablancas muss arbeiten und kann nicht kommen – und unterbreitet der Band Pläne für eine UK-Tour. Kurz darauf schickt er ihnen sogar einen Plattenvertrag zu. Der Band geht das etwas zu schnell, sie schaltet einen Gang zurück, schickt Demos an andere Labels und wartet erst mal ab. Nichts passiert. Bis auf ein Rückschreiben von DreamWorks mit dem Wortlaut: „Es tut uns leid, euch enttäuschen zu müssen, aber wir wollen euren Rock’n’Roll nicht“, meldet sich kein einziges Label. Rough Trade nimmt die Band unter Vertrag.

Zu dieser Zeit überreden die Strokes Gentles dazu, ihr Manager zu werden. Albert Hammond, Sr. gibt die notwendige finanzielle Starthilfe für ein Bandmanagement und Gentles schlägt ein. Einen Monat lang spielt die Band jeden Mittwoch in der „Mercury Lounge“. Bereits am zweiten Abend kommen über hundert Leute. Gentles: „Wir dachten, wir hätten den Höhepunkt unserer Karriere erreicht. Hundert Besucher – nur wegen uns!“ Der letzte Abend der Konzertreihe ist bereits ausverkauft. „Die Strokes waren Profis, was Eigenwerbung betrifft“, sagt Gentles, „wo immer du abends hingingst, einer von ihnen war schon da, erzählte Leuten von der Band und verteilte Flyer. Wahrscheinlich sind sie deswegen heute so pressescheu, das war für sie einfach ein absoluter Overkill damals.“

Im Februar 2001 spielt die Band erstmals in England. Zu ihrem Auftritt im „Barfly“ in Camden kommen sie 45 Minuten zu spät, Casablancas muss sich noch die Aufregung aus dem Leib kotzen. Zurück in New York beginnen im Mai 2001 die Arbeiten am ersten Album der Band. Als Produzent fungiert der damals noch unbekannte Gordon Raphael, der die Band kurz zuvor in der „Luna Lounge“ an der Lower East Side live gesehen hat. Moretti: „Er lud uns in sein Studio TransporterRaum, ein Kellerloch unter dem Bürgersteig der Avenue A, ein. Gegenüber lag die Bar ‚2A‘ – immer wenn einer von uns mit seinem Kram durch war, ging er auf die andere Straßenseite, ließ sich volllaufen und wartete auf den Rest. Dort lernte Julian auch seine heutige Frau Juliet kennen, sie arbeitete in der Bar als Bedienung.“ Am letzten Tag der Aufnahmen bringt die Band die erste gebrannte CD mit den elf theoretischen Singles von Is This It ins ‚2A‘ und lässt sie über die Anlage laufen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Strokes längst Stammgäste in der Bar, kennen dort jeden. Bis auf einen. Und genau der läuft an die Bar und fragt Juliet, was das denn für eine fantastische Band sei, die hier gespielt werde. „Das sind die Jungs da drüben“, sagt Juliet und deutet grinsend auf die Band, die kurz darauf eine Revolution auslösen wird.

Is This It wird dann von 9/11 zwar etwas aus der Bahn gedrängt: „New York City Cops“ muss auf der US-Version der Platte mit „When It Started“ ausgetauscht werden und generell klammern sich die Amerikaner zu dieser Zeit eher an Landesväter wie Bruce Springsteen als sich für junge, hedonistische Bands zu interessieren. Is This It hat bis heute auch nur relativ übersichtliche dreieinhalb Millionen Exemplare verkauft – Nirvanas Nevermind fand mehr als das Zehnfache an Käufern -, aber die Welle an Bands, die das Album in der Folge aus den Kellern auf die großen Bühnen spülte, ist mit dem Tsunami des Grunge durchaus vergleichbar. Und auch wenn Limp Bizkit heute wieder an der Spitze der Albumcharts stehen, dürfen wir dank der Strokes doch auf ein Jahrzehnt voller Libertines, Kills, White Stripes, Yeah Yeah Yeahs, Arctic Monkeys und Franz Ferdinands zurückblicken. Die Geschichte beruhigt und lehrt den Rockfreund: Dreck wird es immer geben. Aber wenn er erst mal weggespült ist, sieht man nur noch klares Wasser.

Smell The Glove – Die zwei Covers von Is This It:

In seinem Buch „The Greatest Album Covers Of All Time“ meint Grant Scott Einflüsse von Helmut Newton und Guy Bourdin auf das Motiv mit dem Damenpo und dem Handschuh auf der internationalen Version von Is This It zu erkennen. Der Fotograf des Bildes, Colin Lane, weist das zurück: „Meine damalige Freundin kam gerade aus der Dusche und ich wollte einfach nur ein sexy Foto machen.“ Den Handschuh hatte ein Stylist in Lanes Wohnung liegen gelassen. Die Band fand das Bild in einem Katalog des Fotografen. „Wir waren Kids und hatten keine Ahnung von nichts, vor allem nicht von Fotografie“, sagt Fabrizio Moretti, „wir fanden das Bild halt cool. Nur Julian war nie zufrieden damit.“ In vorauseilendem Gehorsam vor dem prüden US-Markt entschied sich Casablancas für ein alternatives Motiv für die Veröffentlichung in Nordamerika: eine Nahaufnahme von Partikelkollisionen.

Hard To Explain – die Musikwelt über Is This It:

„Die Strokes haben die richtigen Songs, das richtige Aussehen, die richtige Haltung und dieses unbestimmbare, unerklärbare Etwas, mit dem du geboren werden musst.“

(Noel Gallagher, 2001)

„Ich liebe dieses Album. Aber danach klang jede Band wie die Strokes. Ich erinnere mich noch daran, wie ich damals alles, was zu sehr nach den Strokes klang, aus meinen Songs wieder herausschnitt.“

(Alex Turner, Arctic Monkeys, 2008)

„Nach diesem Album wollte ich nur noch in einer Band spielen. Ich war 15, als es herauskam und lernte gerade Bass. Der Basslauf des Titelsongs ist einer der ersten, die ich draufhatte.“

(Jared Followill, Kings Of Leon, 2009)

„Keine Rockplatte vor oder nach Is This It kam klassischer Musik je wieder so nahe. Die Musik der Strokes ist außergewöhnlich systematisch durchkomponiert.“

(Regina Spektor, 2011)

„Ich hörte ihre Musik zum ersten Mal über den Computer. Vor Begeisterung wollte ich mir am liebsten mit dem Keyboard eins drüberziehen! Ich bekam eine Gänsehaut. Dieser Moment lässt sich nur mit dem vergleichen, als ich zum ersten Mal ‚Jump‘ von Van Halen hörte.“

(John Eriksson, Peter Bjorn And John, 2011)

… und eine persönliche Erinnerung von Pete Doherty:

„Als die Strokes 2001 zum ersten Mal nach England kamen, arbeitete ich in einer Bar. Es hatte sich wohl herumgesprochen, dass man bei mir auch unter der Theke bedient wird. Die Strokes kamen und ich verkaufte ihnen Acid. Sie bezahlten mit Tickets für ihre Show. Später kamen sie noch mal, ich gab ihnen noch mehr und so ging das immer weiter. Ich lernte sie also auch außerhalb ihrer sensationellen Musik gut kennen.“

(Pete Doherty, 2009)