Zehn Jahre Storytelling: Eine kurze Geschichte von Belle & Sebastian anhand ihres Gesamtwerkes


Was für ein Blitzstart: Anfang 1996 lernt der arbeitslose Songwriter Stuart Murdoch, 28, bei einem Förderprogramm für Musikberufe in Glasgow den Autor und Bassisten Stuart David kennen. Bei einem Medienbusinesskurs am Stow College erhalten die beiden Gelegenheit, als Klassenprojekt eine Single aufzunehmen. Flugs trommeln sie eine Band aus flüchtigen Cafe-Bekanntschaften zusammen, und weil Murdoch so viele ausgereifte Songs auf Lager hat, wird statt der Single ein ganzes Album produziert. Aufgenommen in drei Tagen, erscheint am 1. April auf dem College-eigenen Label Electric Honey in einer 1000er-Vinylauflage das Debüt Tigermilk (Co-Coverstar: Tigger aus „Winnie Puh“), das mit charmanten, liebevoll inszenierten Sixties/Folkpop-Melodien gepaart mit schrägen, melancholischen, bösen, schmutzigen, traurigen Geschichten wie aus französischen Filmen herausgepurzelt den Ton setzt für das, was da kommen soll.

Das kommt bald: Bereits Ende Oktober des gleichen Jahres erscheint bei dem Glasgower Indielabel Jeepster das frühe Meisterstück If You’re Feeling Sinister, das erst unter Indie-Hipstern, dann darüber hinaus [in Deutschland erscheint es erst im Jahr 1997) seine Kreise zieht. Die Band macht in der wachsenden Euphorie um sie in den folgenden Jahren dadurch von sich reden, daß sie keinerlei Interviews gibt und Fotos an die Presse lanciert und auf ihren Platten abdruckt, bei denen oft genug unklar ist, wer darauf Bandmitglieder und wer – üblicherweise schick gekleidete – befreundete Statistinnen sind. Man bleibt geheimnisvoll.

Ab Mitte Mai 1997 erscheinen im Abstand von je etwa zweieinhalb Monaten die drei legendären, essenziellen „Sommer-EPs“: Dog On Wheels, Lazy Line Painter Jane (zu großer Hall-Effekt aufgenommen in der Kirche, in der Murdoch mittlerweile als Hausmeister arbeitet und im Titelstück mit einem Dolly Partonesken Beitrag von Gastsängerin Monica Queen) und zuletzt 3.. 6.. 9.. Seconds Of Light, mit der Belle & Sebastian zum ersten Mal an den britischen Singles-Charts (Platz 31) kratzen. Mit dem dritten Album The Boy With The Arab Strap ist die Band 1998 dann reif für die umjubelte Indie-Sensation, gewinnt gar den Brit-Award als beste New(!)comer, gibt sich aberweiterhin enigmatisch verschlossen und bleibt mit der famosen EP This Is Just A Modern Rocksong später im Jahr ihrer stxtiesschooligen Linie treu, keine Album-Auskopplungen, sondern nur eigenständige EPs als Singles zu veröffentlichen.

1999 veröffentlicht Jeepster auf vieltausendfachen Wunsch endlich das sagenumwobene, seit Jahren als Tape-Kopie unter Fans kursierende Tigermilk auf CD, während es in der Band offenbar rumort: Nach der Fertigstellung des vierten Albums Fold Your Hands Child, You Walk Like a Peasant verläßt Stuart David die Band, um sich seinem Soloprojekt Looper und seinem Fortkommen als Schriftsteller zu widmen. Das Album markiert im Frühsommer 2000 den ersten und bislang vorletzten leichten Durchhänger im Belle & Sebastian-Oeuvre. Musikalisch dominiert zum letzten Mal eine träumerisch-folkige Stimmung, fortan geht es zunehmend in eine straffere, poppigere Richtung, die schondie kurz zuvor erschienene 60s-Twang-Single LEGAL man angedeutet hatte und die 2001 mit zwei Singles, dem raffinierten Jonathan David und I’m Waking Up To Us, fortgesetzt wird. Den bitteren Titelsong von Letzterer über das Ende einer Beziehung kann man unautorisierterweise als Abgesang auf Isobel Campbell lesen, die nach anhaltenden Problemen im internen Verhältnis Belle & Sebastian Ende 2001 als zweites Gründungsmitglied in Richtung Solokarriere verläßt. Ihre letzten Beiträge sind auf dem durchwachsenen, semi-instrumentalen Album Storytelling (2002) zu hören, das ursprünglich für den gleichnamigen Film von Todd Solondz entstand, der aber zur Enttäuschung der Band nur wenige Minuten der Musik im Film einsetzt.

Es wird durchgeatmet im Hause Belle und zum großen, ihnen vielseits nicht mehr zugetrauten Wurf ausgeholt: Dear Catastrophe Waitress, produziert von 80s-Koryphäe Trevor Horn, ist 2003 eine Rückkehr zu alter Form, die die Zartfühligkeit der „frühen“ Belle & Sebastian mit dem Pop-Schmiß neuerer Färbung vereint.

Die Band veröffentlicht nach der Pleite von Jeepster jetzt auf Rough Trade. hier erscheinen auch die ersten Album-Singles der Band: Step Into My Office Baby

und – zur EP Books erweitert – „Wrapped Up In Books“. Jeepster betreiben derweil wert- und respektvolle Nachlaßverwaltung: Mit der DVD Fans Only (2003), die frühe Clips und von der Band selbst gefilmte Kuriositäten enthält. Und der Compilation Push Barman To Open Old Wounds (’05), die alle Tracks der Jeepster-EPs und -Singles vereint. Das neue Album THE LIFE PURSUIT geht jetzt unbeirrt weiter in Richtung Pop-Perfektion. Und geht. Und geht…