Zwischen allen Stühlen


Trash? Disco? Dancefloor? Nein! Nie und nimmer. Schubladen mag Andreas Dorau überhaupt nicht.

Was ziehe ich an, damit mich die Leute nicht einfach in eine Schublade stecken können? Verkleiden kam nicht in Frage. Da habe ich diesen Anzug gefunden-den fand ich einfach kleidsam“, erklärt Andreas Dorau lapidar den alten Damenskianzug, den er auf dem Coverfoto seines neuen Albums trägt. „70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft“ heißt Doraus neues Album, nach „Neu“ von 1993 eine weitere Disco-Platte. Und obwohl seine Single „Girls in Love“auf den Tanzböden Furore machte, beharrt Dorau eigensinnig darauf, zwischen allen Stühlen Platz zu behalten. „Ich mache meine Musik nicht für die Clubs“, erklärt er. Mit Drum’n‘ Bass könne er „nur teilweise etwas anfangen“, und nach dem Erfolg der Disco-Nummern von Whirlpool Productions 1996 habe er kurzzeitig daran gedacht, keine Discomusik mehr zu machen. „Wenn ich gerade an etwas gearbeitet habe und das populär wird, macht mir das eher angst“, sagt Dorau.Jch dachte, dem Thema sollte man nicht noch mehr hinzufügen, damit man da nicht plötzlich wieder so eine Welle lostritt.“

Die Neue Deutsche Welle hat Andreas Dorau hochgespült, als er 16 war. Ende der 80er entdeckte er seine Faszination für Versatzstücke und Sampling, begann Club-Maxis zu produzieren. Songs im herkömmlichen Sinne zu schreiben, ist für den mittlerweile 32jährigen seitdem passe. „An der Orgel zu sitzen und mir Kompositionen auszudenken, reizt mich momentan nicht. Das einzige, was ich derzeit mache ist, auf vorgefertigtes Material zu reagieren.“ Für „70 Minuten Minuten…“ stand Dorau da ein riesiger Fundus zur Verfügung: Seine Plattenfirma Polygram öffnete ihm ihr gesamtes Archiv für Dorau reines Rohmaterial:“Wenn ich etwas sample, erweise ich dem Originalinterpreten damit keine Reverenz. Für mich sind Samples Arbeitsmaterialien, nichts weiter.“ Die meisten Sounds und Schleifen auf dem Album haben einige Jahre auf dem Buckel. „Ich versuche, Stücke zu finden, in denen Harmonien auftauchen. Das gibt es halt eher in älterer Musik.“ Die alten Platten sollen aber nichts anderes sein als „lnitialzündungen“.

Dorau:“lch möchte auf gar keinen Fall Revivalmusik machen. Ich versuche, meine Musik genrefrei zu halten.“

Fast unermüdlich setzt Andreas Dorau alles daran, nicht in einer Schublade zu landen. Bevor er sich aus Samplefetzen einen Song puzzelt, müssen sie vollständig aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen gelöst sein.“Man kann nie ausschließen, daß jemand mit einem Sample eine persönliche Erinnerung verbindet. Bei Vokal-Samples versuche ich, das zu umgehen, indem ich eine Geschichte drumherum schreibe.die das Sample in einen komplett anderen Rahmen setzt.“ Das Ergebnis liegt dann ziemlich genau zwischen vollendeter Einfachheit und schlichter Beschränktheit, hat „einen gewissen Humor“, aber mit Thrash „nichts zu tun“. Wie schon gesagt: Bloß keine Schubladen!