Reportage

Chaos, Rock’n’Roll und Amore: Wir waren drei Tage mit Wanda auf Tour


Vor einem Jahr tauchten Wanda wie aus dem Nichts auf. Ihr Debütalbum AMORE eroberte die Herzen im Sturm, im Oktober soll bereits die zweite Platte folgen. Der Erfolg ist ihnen sicher - falls sich die Wiener nicht vorher ins Grab spielen. Auf Tour mit der vielleicht letzten wichtigen Rock'n'Roll-Band unserer Generation.

„Ans, zwa, drei, vier! Es is so schön bei Dir!“ Wanda geben alles, jeden Abend.
„Ans, zwa, drei, vier! Es is so schön bei Dir!“ Wanda geben alles, jeden Abend.

Es ist 23 Uhr, als die Band auf die Bühne des kleinen Bielefelder Clubs „Movie“ geht. Lukas hängt seine Jacke ans Drumkit, wie ein Mann, der seinen Trenchcoat am Kleiderhaken lässt, bevor er sich hinter den Schreibtisch setzt. „Ich glaub’, das wird lustig“, sagt Marco. Die Leute glauben das auch. Die Snare. Der Schrei. „Luzia“.

Ray tänzelt. Christian stampft. Linkes Bein, rechtes Bein. Mehr Bewegung geht nicht. Das Los des Keyboarders. Obwohl wenig Platz ist, führt Marco die üblichen Kunststücke auf. Er hüpft herum wie Rumpelstilzchen, misst die Bühne mit den Armen aus.

Innerhalb weniger Minuten ist jeder im Raum nassgeschwitzt. „Scheiße, dass wir uns nicht schon vorher kannten“, flirtet der Sänger mit dem Publikum. Aus der ersten Reihe reicht ihm jemand einen Kurzen. Vorauseilender Gehorsam, weil man ja weiß, wonach Marco gleich lechzen wird.

„Bologna“ beginnt mit hymnischen Pianoakkorden. Und dann passiert etwas. Während die Bielefelder grölen, dass sie mit ihren Cousinen schlafen wollen, wird Marco schwindlig. Ein Schmerz fährt ihm durch den Kopf. Die Folgen der Leipziger Mittagssonne. Irgendwie rettet sich Marco durch das Set. Danach lässt er sich neben der Bühne auf den Boden fallen.

Feuerzeug, Zigarette, ein paar hektische Züge. Der Applaus klingt nicht ab. Wanda müssen noch mal zurück. Sie spielen drei Zugaben. Sie spielen, als ginge es ums Überleben. Dann stolpern sie davon. Im Vorbeigehen umarmt mich Marco und drückt mir ein Bussi auf die Wange. „A Wahnsinn“, sagt er und lacht. Dann ist er weg.

Zehn Minuten später. Im Backstage-Bereich ist Marco auf die Couch gesunken. Lukas redet beruhigend auf ihn ein.

„Niemand kann uns sagen, was wir tun sollen“, sagt er.

„Wir können nicht den ganzen Sommer in diesem kleinen Bus herumfahren“, antwortet Marco.

„Wenn du willst, sagen wie ein paar Gigs ab. Das ist deine Entscheidung.“

„Das ist nicht nur meine Entscheidung… scheiße, in meinem Kopf knallt’s, als würden Murmeln aneinanderstoßen.“

Eine Mitarbeiterin des Festivals nähert sich mit besorgtem Blick. „Junger Mann, was kann ich für Sie tun?“, fragt sie Marco.

„Erschieß’ mich“, sagt er.
Hasi: „Exekution, das wär’ fein.“
Marco: „Durch acht Franzosen, die nicht schießen können.“
Die Festival-Mitarbeiterin wirkt beruhigt. Wer noch scherzen kann, denkt bestimmt nicht ernsthaft ans Sterben. Wahrscheinlich ist die gute Frau noch nie in Wien gewesen.

TAG 3 – KIRCHANSCHÖRING

La dolce vita: Wanda stärken sich in Leipzig mit „Tschicks“
La dolce vita: Wanda stärken sich in Leipzig erst mit Eis und danach wieder mit „Tschicks“

„Grüß Gott. Kirchanschöring. Erholungsort“, steht auf einer hölzernen Ortstafel. Jemand hat sie mit zwei leeren Flaschen Augustiner-Bräu geschmückt. Durch das bayerische Dorf nahe bei Salzburg dröhnt Musik. Seit elf Jahren organisieren Jugendliche aus der Gegend hier das „Im Grünen“-Festival, bei dem vor allem Indie-Bands aus Deutschland und Österreich auftreten, die Elektroniker Drunken Masters etwa, straight outta Kempten.

Es ist kurz vor 21 Uhr. Marco und Lukas sind noch im Hotelzimmer. Sie haben sich gestern früh zurückgezogen. Der Rest der Band ging auf einen Absacker oder zwei in die Großraumdiskos Bielefelds. Jetzt stehen Manuel, Christian und Ray in einem Allzweck-Zelt hinter der Bühne und nippen müde an ihrem ersten Bier. Sie erzählen mir von den Anfangstagen der Band. Ihre Aussagen bekräftigen sie gerne mit einem abschließenden „Voll“.

RAY: Das erste Wanda-Konzert war im Oktober 2012. Schon da haben alle Leute mitgesungen und getanzt. Da wusste ich: Das Ding wird noch fetter, als ich je gedacht hätte. Voll.

CHRISTIAN: Noch fetter war aber das Nirvana- Konzert, das wir gespielt haben.

MANUEL: Voll. Am 5. April 2014, zum Todestag von Kurt Cobain.

Manuel drängt sich an Ray vorbei zu mir. Wenn es ihm wichtig ist, will er nahe bei seinem Gesprächspartner stehen – und wenige Dinge sind ihm wichtiger als Nirvana.

MANUEL: Die Setlist war: „Negative Creep“, „Stain“, „Love Buzz“, „Lithium“ und „Serve The Servants“. Es war Wahnsinn. An dem Abend waren wir Nirvana.

Marco betritt das Zelt. Er nickt uns zu und setzt sich auf eine Couch.

CHRISTIAN: Nach unserm Cover-Set haben die Leute „Wanda! Wanda! Wanda!“ gerufen. Es war eigentlich verboten, eigene Songs zu spielen – aber wir mussten.

RAY: Das war unser Durchbruch.

MANUEL: Voll.

Plötzlich lässt sich Marco auf die Knie fallen, kriecht auf allen Vieren durch den Raum und bellt. Am Büfett-Tisch hat er eine Flasche Wein aufgespürt. Er schnappt sie sich und kehrt zur Couch zurück.

Wenn man acht Stunden von Bielefeld nach Kirchanschöring gefahren ist, wobei man sich in Leipzig am Tag davor einen Sonnenstich zugezogen hat, dann öffnet man am besten so schnell wie möglich eine Flasche Wein.

Daniel Gebhart de Koekkoek Musikexpress
Daniel Gebhart de Koekkoek Musikexpress