Marius Müller-Westernhagen


Herr Müller möchte am liebsten gähnen. Noch Sonnenbank-gebräunt wegen der just beendeten Dreharbeiten zum Koks & Crime-Streifen „Der Schneemann“, mit modischem Kurzhaar-Igel über spitzer Nase und hoher Stirn, Ray Ban-Brille im Krisentweed-Jackett, sitzt der dürre Düsseldorfer (36) mir gegenüber und muß zum tausendsten Mal erläutern, warum seine Neue DIE SONNE SO ROT zu Glückwünschen Anlaß gibt.

“ Es fing damit an, daß ich mit der Tour-Album-Routine aufhören wollte. Nächtelang habe ich mit Lothar Meid(Langzeit-Partner und Dauer-Produzent von MMW) geredet und gesagt: ,Alter, so geht das nicht weiter.‘ Mir fehlte das Risiko, die Spannung, das Abenteuer. Als ich dann für den Live-Gig auf dem Nürburgring eine Band zusammenstellte, habe ich Kralle Krähwinkel angerufen. Und der fuhr wie ein Donnerwetterin die musikalische Ehe zwischen mir und Lothar.“ Der knuff ige Trio-Gitarrist war es wohl auch, der das atmosphärische Inner Space Studio in Weilerswist ehemals Bastion von Can – und den unbequemen Schweizer Toningenieur Rene Tinner als idealen Aufnahmeort und-Partner empfahl. Das schon gebuchte Musicland wurde abbestellt, Herr Müller fragte Rene, ob er nach Weilerswist dürfe („denn allein das ist schon eine Ehre“)und los ging’s.

Anfänglich waren fünf Musiker an dem Projekt beteiligt. Zwei zuviel! “ Es hat sich nach einiger Zeit herauskristallisiert, daß- Namen nennen wir nicht-die beiden anderen nur Erfüllungsgehilfen waren. Aber gerade dieses Lohnmusikanten-Problem wollte ich nicht mehr. Alles sollte wahnsinnig intensiv sein. Jeder sollte sich voll engagieren.“ Schließlich blieben dann „drei Seelentypen“ übrig: Gert „Kralle“ Krähwinkel, der „jeden Ton richtig gefühlt hat und nur so arbeiten kann“, Lothar Meid, der Münchner Grantier, der die Schlagzeug-Maschine programmierte, und Marius himself.

Das Ergebnis kann sich hören lassen. Der Pfefferminz-Prinz von einst verleugnet zwar nicht seine Rock n‘ Roll-Wurzeln, aber der gewollte „Bruch“ zwischen Tradition und Moderne, Kralles altmeisterliches Sparsam-Spiel über trockenem Drum-Computer-Beat und Holger Czukays Waldhorn-Einlage veredeln Meister Müllers 11 Eigenkompositionen. Selbst die derbe „Kaugummi-Lyrik“ bekommt durch das veränderte Klang-Ambiente einen neuen Stellenwert.

Allein die Tatsache, daß er als etablierter Mr. Rock ’n‘ Roll immer noch und immer wieder das Experiment sucht, macht ihn sympathisch.

„Bei HERZ EINES BOXERS wollte ich ja schon aus den ausgefahrenen Gleisen raus, aber damals hat es mit der Ausführung gehapert. GEILER IS SCHON war so eine Abwarte-Kiste, diesmal ist der Knoten geplatzt.“ Ob sein Publikum auch so denkt, wird man spätestens bei der für diesen Monat angesetzten Deutschland-Tour erfahren; die allerdings wird er nicht in Trio-Besetzung, sondern wieder mit Volldampf-Band absolvieren.