„Unsere Musik kann man gar nicht als Alt-Herren-Rock spielen“


Es war ja nicht nur die Band Blumfeld von der Bildfläche verschwunden -nach 17 Jahren mit einer Abschiedstour im Frühjahr 2007. Auch ihr Kopf und Sänger Jochen Distelmeyer, der 2009 mit seinem Solodebüt HEAVY nicht an den Erfolg der mittleren Blumfeld anschließen konnte, machte sich zuletzt rar. Aber dann kamen die News: Distelmeyer kehrt bei einem Festival im Mai 2014 in Wolfsburg auf die Bühne zurück – stop – sein erster Roman ist fertig, heißt „Otis“ und wird Anfang 2015 erscheinen -und stop, wie bitte? – Zum 20-Jährigen ihres legendären zweiten Albums L’ETAT ET MOI vereint sich die Gründungsbesetzung von Blumfeld wieder und geht im Spätsommer auf Tour.

Kaum hat die letzte Meldung die volle Runde gemacht (ein Konzert ist auch schon ausverkauft), treffen wir die Band an einem sonnigen Sonntagnachmittag in Hamburg-Sternschanze: Jochen Distelmeyer, André Rattay, der bis zum Ende Blumfeld-Schlagzeuger war und danach unter anderem beim Superpunk-Nachfolger Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen mitwirkte, und Eike Bohlken, der schon 1996 ausstieg, um sich hauptberuflich der Philosophie zu widmen. In der Aufnahmekabine des Wohlklang-Studios stehen die drei eng beieinander und machen Musik. Während im Stockwerk unter ihnen die schon 2008 zurückgekehrten Selig an ihrer neuen Platte feilen, probt das wiedervereinte Startrio des „Diskurspop“ seine alten Songs. Neue, heißt es, wird es keine geben.

Könnt ihr euch noch an den Tag erinnern, als L’ETAT ET MOI erschienen ist?

JOCHEN DISTELMEYER: Ich habe keine Erinnerung daran.

EIKE BOHLKEN: Ich weiß noch, wie wir’s aufgenommen haben …

ANDRÉ RATTAY: Es lief gerade irgendeine Weltmeisterschaft, als wir im Soundgarden waren. „Baggio verschießt den entscheidenden Elfmeter!“ Das weiß ich noch.

JOCHEN: Wahnsinn.

ANDRÉ: Ich weiß nicht mehr, gegen wen. Gegen „uns“ vielleicht sogar? (Roberto Baggio verschoss im Finale der WM 1994 in den USA gegen Brasilien seinen Elfmeter -Anm. d. Red.)

Ihr hattet euch 1990 gegründet als ein Konstrukt aus zwei Leuten, die bereits in einer anderen Band – Der schwarze Kanal – gespielt hatten, zu denen nun ein neuer Songwriter stieß. Welche Entwicklung hattet ihr von da bis hin zu L’ETAT ET MOI genommen?

JOCHEN: Unser Debüt ICH-MASCHINE war noch mehr davon geprägt, dass diese unterschiedlichen musikalischen Sozialisationen aufeinandertrafen. Zwar gab es von Anfang an große Schnittmengen, aber mit verschiedenen Gewichtungen.(schaut zu Eike) Zum Beispiel seid ihr noch mehr so in Hardcore reingegangen … Trotzdem gab es eben auch viele Anknüpfungspunkte von Vorlieben, von denen man sich gegenseitig in Kenntnis setzte. Bei ICH-MASCHINE formulierte sich das noch ganz unschuldig und unklar zu einer eigenen Musikalität. Bei L’ETAT ET MOI hatten wir dann eine gemeinsame musikalische Sprache gefunden. EIKE: Wir hatten ein Gerüst und jetzt ging es darum, wie kann man das mit Fleisch füllen oder Farben und welche Art von Klängen passen da noch drumherum. L’ETAT ET MOI war a journey into sound.

Brauchte es hierzu erst eine Art Reibungsprozess, musstet ihr euch vielleicht sogar gegenseitig die Ecken und Kanten abschlagen, um euren gemeinsamen Weg zu finden?

JOCHEN: Nee, das habe ich nie so empfunden.

EIKE: „Abschlagen“ nicht. Aber „Reibung“ würde ich schon sagen. Wir hatten teilweise ja durchaus unterschiedliche Vorstellungen. Aber wir haben immer etwas gefunden, was dann allen gefallen hat.

Oft besteht für frische Bands eine besondere Herausforderung darin, eine gemeinsame Sprache zu finden, in der man sich darüber austauschen kann, wo man musikalisch hin möchte. Man kann sich ja nicht immer nur gemeinsam in einen Raum stellen, spielen und hoff en, dass sich dann alles findet …

JOCHEN: Doch.

EIKE: Das kann man auch machen.

JOCHEN: Doch!

EIKE: Aber natürlich ist es nicht nur das. Ein Beispiel: Ich habe zwar nie Einfluss auf Jochens Texte genommen, aber wir haben im Tourbus sehr viel über alle möglichen Sachen diskutiert und das hat natürlich uns alle beeinflusst und auch verändert.

Wie ist es nun eigentlich dazu gekommen, dass die Urbesetzung von Blumfeld wieder auf die Bühne geht?

JOCHEN: Ich habe die letzten zweieinhalb Jahre an meinem Buch gearbeitet. Eines Tages bin ich dann von jemandem auf der Straße angesprochen worden: Es gäbe L’ETAT ET MOI doch nun bald schon seit 20 Jahren und ob da irgendetwas geplant sei. Und ich so: „Nein, nicht dass ich wüsste.“ Ein paar Tage später hat mich dann aber auch mein Manager Oliver auf das Jubiläum hingewiesen. Und da ich beim Arbeiten an dem Buch wieder Lust bekommen hatte, Musik zu machen, meine eigenen neuen Sachen aber noch nicht so weit gediehen sind, um damit eine Tour bestreiten zu können, dachte ich mir: „Na, vielleicht ist das ja tatsächlich genau der richtige Zeitpunkt, diese beiden Herren anzurufen.“ Wir trafen uns dann im Hamburger Reichshof zum ersten Mal seit langer Zeit wieder und es war sehr vertraut und alles schon wieder sehr „da“. Ein schöner Moment. Ab da ging das alles relativ schnell.

Aber war das nicht auch ein komisches Gefühl? Es ist alles schon eine halbe Ewigkeit her, ihr lebt heute sehr verschiedene Leben. Eike hat sich bereits 1996 gegen eine Karriere als Musiker entschieden …

EIKE: Ich hatte aber noch zweimal mit Blumfeld zu tun. Ich spielte bei einem Stück auf OLD NO-BODY mit und war bei den Hamburger Konzerten der Abschiedstour 2007 bei der Zugabe dabei. Und in beiden Situationen hat es sich eher so angefühlt, als ob wir ein Jahr oder nur zwei Wochen nichts zusammen gemacht hätten.

Warst du in der Zwischenzeit noch als Musiker aktiv?

EIKE: Ich habe immer mal wieder in kleineren Bands gespielt, aber eher so hobbymäßig. Ich hätte wirklich gerne weiter Musik gemacht, aber für mich war die entscheidende Frage: Was möchte ich hauptberuflich tun? Es lief damals sehr gut mit Blumfeld, ich wollte aber auch Philosophie weiter betreiben, meine Doktorarbeit schreiben. Ich hatte den Eindruck, beides kriege ich gemeinsam nicht professionell über die Bühne.

Welche Bedingungen hätten herrschen müssen, damit du dich doch für die Band entschieden hättest?

JOCHEN: Wir hätten ihm mehr bieten müssen.

EIKE: (lacht) Ihr hättet weniger rauchen müssen! Nein, so eine Entscheidung setzt sich ja aus ganz vielen Punkten zusammen und es war auf jeden Fall keine Entscheidung dagegen, mit diesen … Jungs in einer Band zu spielen.

JOCHEN: Das habe ich anders gehört. (Gelächter)

EIKE: Mir ist das damals wirklich nicht leicht gefallen, aber es war auch im Rückblick die richtige Entscheidung. Umso mehr freut es mich, dass sie sich partiell revidieren lässt.

Habt ihr die ersten beiden Blumfeld-Platten jetzt wieder gehört, um euch vorzubereiten?

JOCHEN: Nee. Das war nicht notwendig. Eike hat schon bei einer der ersten Proben festgestellt, dass an Stellen, wo er sich nicht ganz sicher war, sein Körper, seine Hand, seine Finger …

EIKE: … wussten, wo’s langgeht, während der Kopf noch überlegte.

Weil ihr die Stücke früher so oft gespielt habt …

JOCHEN: Das passiert auch mit Songs, die wir gar nicht so oft gespielt haben. Auch wenn das alles lange her sein mag, wir hatten uns ja mit Herzblut und allem da reingegeben.

EIKE: Die Songs haben außerdem auch eine sehr starke Funktionalität. Wir haben damals geschaut, wie kann das alles funktionieren. Wie kriegt man die teilweise auch beachtlichen Textmengen mit welcher Musik dazu, dass sie insgesamt rund ist, dass sie läuft, dass sie rockt. Und dass uns das gelungen ist, zeigt sich jetzt eben auch daran, dass man das so einfach wieder abrufen kann.

Für euch war das eine runde Sache. Während viele Zuhörer sich zuerst wie erschlagen fühlten von so viel Text, so viel Struktur …

EIKE: Ich glaube, es ist beides. Du (schaut zu Jochen) hast neulich festgestellt, wir hätten da „mit Ideen nicht gegeizt“. Deshalb muss ich manchmal doch auch etwas Detailarbeit leisten, mir bestimmte Songs noch mal anhören, um herauszufinden, wie ich das damals genau gemacht habe. Da gibt es kleine Varianten von Strophe zu Strophe, die sind oft sehr unscheinbar, aber man braucht sie, damit es insgesamt funktioniert.

Habt ihr mit heutigem Blick auf die Songs auch Schwachpunkte gefunden?

JOCHEN: Erstaunlicherweise nicht. Ich war schon bei den ersten Proben euphorisch-erstaunt darüber, wie fresh sich das noch anfühlt und wie zeitgemäß ich das finde. Sowohl musikalisch als auch von den Texten her.

Werdet ihr auch Songs aus der Blumfeld-Phase spielen, in der Eike nicht mehr dabei war?

JOCHEN: Das Einzige, was noch in Betracht käme, wären Stücke von OLD NOBODY. Mal schauen.

Über die Jahre haben sich ein paar der frühen Blumfeld-Songs weiterentwickelt, sind live in neuen Versionen gespielt worden. Werdet ihr als Trio nun wieder auf die alten Arrangements zurückgreifen?

JOCHEN: Das Gros der Sachen spielen wir so, wie wir sie zu dritt gemacht haben. Bei Stücken wie „Ich – wie es wirklich war“, die sich im Lauf der Zeit woanders hin entwickelt haben, versuchen wir vielleicht die Versionen zu „mixen“.

EIKE: Ich habe mir die verschiedenen Versionen angehört. Da gibt es Sachen, die ich gut finde, die ich auch gerne übernehme, und Sachen, die ich nicht so gut finde …

JOCHEN: (mit gespieltem Nachdruck) Die du auch gerne übernehmen wirst!

Und genau dafür probt ihr auch so ausführlich, um herauszufinden, wie man welchen Song …

JOCHEN: Einfach, weil’s Bock bringt. Wie ich eben schon sagte: Ich finde das ganz erstaunlich, musikalisch interessant und sehr bereichernd zu gucken, wie wir das zu dritt so spielen … und gleich bei den ersten Proben zu merken: Jetzt schon Stück sieben und es läuft immer noch geil -fett! Uns war von Anfang an klar: Es geht nicht darum, werkschauartig ein Album durchzuspielen, wie das in den letzten Jahren in Mode gekommen ist. Das ist öde, weil es dabei bei einer musealen Darstellung von etwas längst Verwehtem belassen wird. Aber so fühlen sich die Sachen, wie wir sie spielen, nicht an. Es ist klar, dass viele Leute, die zu den Konzerten kommen werden, sich vor allem noch mal erinnern oder vergewissern wollen, aber so wie wir das derzeit spielen, klingt es wie eine neue Band. Wie eine Band von jetzt. (Eike legt die Stirn in Falten.)

Siehst du das anders?

EIKE: Diese These ist vielleicht doch ein wenig steil.

JOCHEN: Hast du gerade mit dem Kopf geschüttelt?(Gelächter)

EIKE: Ich habe es gewagt.

JOCHEN: An welcher Stelle?

EIKE: „Ganz neue Band“ Aber du meintest Band der Jetzt-Zeit.

JOCHEN: Ja, eine Band der Jetzt-Zeit! ANDRÉ: Wie Blumfeld 2014.

Es wird trotzdem viele Leute geben, die eure Reunion als „Ausverkauf“ kritisieren werden, weil sie nicht möchten, dass an ihrer vertrauten Vergangenheit herumgefummelt wird.

JOCHEN: Die Leute dürfen sich gerne überraschen lassen, ob es ihnen nicht vielleicht doch gefällt, wie daran herumgefummelt wird.

EIKE: Der Gedanke ist ja auch nicht so ganz abwegig. Ich hatte diese Bedenken anfangs auch: Ist das vielleicht sogar eine Art Leichenfledderei am eigenen Erbe? Besteht da die Gefahr, dass man da was kaputt macht, was in der Erinnerung als fester und guter Block geblieben ist? Deshalb war es mir auch wichtig, dass wir uns erst einmal treffen und schauen, wie die Chemie zwischen uns ist. Und nun ist es eben Blumfeld 2014. Und wer Blumfeld 1996 möchte, der muss eben …

JOCHEN: in die Zeitmaschine!

EIKE: Videos gucken und zu Hause bleiben.

Gerade diese Platte steht aber ja nun mal auch im Museum, sie wird gefeiert als eine der wichtigsten Platten der 90er-Jahre. Hattet ihr nicht auch den Gedanken: Und weil sie so gut und wichtig ist, haben wir nun auch das Recht, damit mal ein bisschen Geld zu verdienen?

JOCHEN: Nein. Also Nein!

Ist das ein so absurder Gedanke?

JOCHEN: Nicht absurd, nur du schaltest da ein Problem vor Als müsste man darüber nachdenken, ob wir das Recht haben Wir haben alles Recht der Welt! Wir können diese Platte spielen oder nicht spielen. Wir können sie auf 45 live spielen oder rückwärts! Diese Frage stellt sich gar nicht.

Die frühen Sachen von Blumfeld haben nicht zuletzt davon gelebt, dass sie sehr energisch und dringlich vorgetragen wurden. Damit tun sich junge Bands meist ein Stück leichter. Wie bekommt man das mit Mitte, Ende 40 umgesetzt?

JOCHEN: Das ist in den Stücken drin!

ANDRÉ: Die Musik will, dass du da alles gibst. Man merkt sehr schnell, dass man das nicht als Alt-Herren-Rock aufführen kann … Blumfeld zum Mitschunkeln -das ist genau das, was ich nicht machen wollte.

EIKE: Es gibt, glaube ich, aber auch verschiedene Arten von Dringlichkeit. Eine Band wie Wire hat sich schon mehrmals neu zusammengetan und noch im Alter von 45,50 Konzerte gegeben, die extrem punkig und dringlich waren. Ich könnte mir vorstellen, es gibt da dieses jugendliche Ungestümsein, das sich dann transformiert in eine andere Form von Dringlichkeit, die genauer weiß, was man da macht. Was aber nicht heißen muss, dass das weniger intensiv wäre.

Man weiß dann besser, wie man etwas dosieren muss …

EIKE: Man weiß um die Bedeutung, um die Wuchtigkeit der Sache und spielt das auch entsprechend, während man sich vielleicht als 25-Jähriger noch mehr treiben lässt.

JOCHEN: Das Gefühl habe ich aber auch, wenn wir spielen. Man steigt gemeinsam ein in diesen Storm, vertraut darauf, wie es sich anfühlt und geht einfach mit. Genau so war es zu den Zeiten, als wir das geprobt und aufgenommen haben – ich erkenne dieses Gefühl darin wieder.

Das Gefühl wird euch nicht so weit tragen, dass Blumfeld über die Jubiläumstour hinaus Bestand haben könnten, oder?

JOCHEN: Kann man ja gucken.

ANDRÉ: Kann man gucken.

JOCHEN: Es gibt da keine Pläne.

ANDRÉ: Wir setzen uns gemeinsam in den Planwagen unserer kleinen Zirkustruppe, fahren herum und gucken, wie uns das Ganze gefällt – und dann schauen wir weiter.

JOCHEN: (zu Eike) Du müsstest natürlich mit rauchen anfangen.

Habt ihr eigentlich noch irgendwo Mix-Tapes von früher gebunkert für den Tourbus?

JOCHEN: Oh Gott! ANDRÉ: Da wird es wohl ein paar neue geben.

Durch all das müsst ihr nun wieder durch.

JOCHEN: Nein. Das war nicht die Idee.

ANDRÉ: Wir nehmen einen Haufen guter Bücher mit.

JOCHEN: Kannst du ja machen.